29. Juni 2017

G20-Gipfel: Freihandelsshowdown in Hamburg?

Wer denkt, mit dem Amtsantritt von Donald Trump hätten auch die Bundesregierung und die EU-Kommission das geplante Freihandelsabkommen TTIP still und leise zu den Akten gelegt, irrt. Erst letzte Woche hat die Bundeskanzlerin vor dem Bund der Deutschen Industrie (BDI) ihr anhaltendes Interesse an der Wiederaufnahme der Verhandlungen um die Handels- und Investitionspartnerschaft zwischen der EU und den USA kundgetan. Gleichzeitig sagte sie – scheinbar beiläufig – ein Freihandelsabkommen der EU mit Japan stehe kurz vor dem Abschluss. Inzwischen ist klar, dass beides so zusammenhanglos nicht ist.


Heute Abend schon machen sich die für Handel und Agrarfragen zuständigen EU-Kommissare, Cecilia Malmström und Phil Hogan, auf den Weg nach Tokio, um den Freihandelsdeal mit Japan noch vor dem G20-Gipfel Ende nächster Woche zur Unterschriftsreife zu bringen, was als deutliches Zeichen gegen den protektionistischen Kurs Trumps gewertet würde. Ohne diesen beim Namen zu nennen, schrieb Merkel heute Morgen ihrem Kollegen in Washington schon einmal ins Stammbuch: „Wer immer denkt, die Probleme dieser Welt ließen sich durch Protektionismus und Isolation lösen, unterliegt einem riesigen Missverständnis.“

In der Tat käme ein Freihandelsdeal mit Japan all jenen gelegen, die die Hoffnung auf das transatlantische Mega-Abkommen noch nicht aufgegeben haben und auch denen, die wie Japan hoffen, vom pazifischen Gegenstück TPP doch noch etwas retten zu können. Zumal die Europäische Union mit Japan das durchziehen könnte, was sich im Falle TTIP aufgrund einer breiten und kritischen Öffentlichkeit nicht durchsetzen ließ. Nach den Erfahrungen mit den TTIP- und Ceta-Protesten wollte die EU Streit zwischen Unternehmen und Regierungen von öffentlichen Gerichten lösen lassen. Die Japaner bestehen jedoch auf private Schiedsgerichte. Eigentlich sollten die Berichte aller Freihandelsgespräche veröffentlicht werden. Doch aktuell sind nur vier Dokumente zugänglich. Schuld ist allerdings nicht die EU, sondern die Mitgliedsstaaten. Japan, einer der weltweit größten Holzimporteure, kauft illegal Hölzer aus Rumäniens Urwäldern. Die sind Schauplatz eines skrupellosen Raubbaus. – Viele sagen deshalb zu Recht, dass die Europäer aus den Erfahrungen mit den jüngsten Handelsverhandlungen nichts gelernt hätten. Ob ein Freihandelsshowdown mit Trump auf dem Hamburger G20-Gipfel alles das wert ist?

25. Juni 2017

Gipfelvorbereitungen: Feilschen um Ungleichgewichte statt Handelspolitik

Am Montag letzter Woche gab sich die Kanzlerin auf dem C20 ein Stelldichein mit der Zivilgesellschaft und redete über die Notwendigkeit einer menschlich gestalteten Globalisierung. Am Mittwoch beim Bund der Deutschen Industrie (BDI) wurde sie schon konkreter: Man wolle die G20 auf dem kommenden Gipfel zu einer Stellungnahme zu „offenen Märkten und freiem, fairem, nachhaltigen und inklusiven Handel“ gewinnen. Hinter den Kulissen freilich geht das Gefeilsche weiter, wie die Vorgeschichte zeigt: Seit Trump in den USA im Amt ist, wurde das bislang übliche Bekenntnis gegen Protektionismus jeder Art zu den Akten gelegt. Beim G7-Gipfel in Italien hieß es im Communiqué, man unterstütze „freien, fairen und gegenseitig vorteilhaften Handel und Investitionen, der gleichzeitig reziproke Vorteile bringt“. Beim G20-Finanzministertreffen im März war nur von der "Stärkung des Beitrags des Handels zu unseren Ökonomien“ die Rede. Und bei einem kürzlichen Ministerratstreffen der OECD verzichtete man gleich ganz auf ein gemeinsames Communiqué mit den USA.

Was immer sich hinter derlei Floskeln verbirgt – auf jeden Fall sind es neue Meinungsverschiedenheiten, denn wenn beispielsweise von „fairem Handel“ die Rede ist, meinen längst nicht alle das Gleiche. In einem Punkt bringt sich die Bundesregierung für den G20-Gipfel schon mal eindeutig in Stellung: die Frage der Verantwortung für die weltwirtschaftlichen Ungleichgewichte bzw. die wachsende internationale Kritik an den extrem hohen deutschen Leistungsbilanzüberschüssen. Die dabei ins Feld geführten Rechtfertigungen, etwa: unsere Produkte seien halt so gut im internationen Vergleich, werden auch durch ständige Wiederholung nicht besser. Wie gerufen kommt da eine neue Broschüre des Weltzukunftsrats (WFC), Schulden und Vermögen: Was unterscheidet eine Volkswirtschaft von einer Einzelwirtschaft? Daraus geht hervor, dass hohe Exporte nur dann nachhaltig sind und zu mehr Wohlstand für alle führen, wenn das verdiente Geld für entsprechende Importe genutzt wird. Nur dann können schädliche Ungleichgewichte verhindert werden.

Die zunehmende internationale Kritik hat in der Tat die Leistungsbilanzüberschüsse Deutschlands in den Fokus der Öffentlichkeit gerückt wie selten zuvor. Die deutsche Verteidigung des eigenen Überschusses liegt in dem einzelwirtschaftlich richtigen Gedanken, dass Überschüsse immer etwas Gutes sind, Defizite dagegen schlecht, argumentiert die Studie. In einer gesamtwirtschaftlichen Betrachtung zeigt sich jedoch, dass die Überschüsse des einen immer den Defiziten, bzw. der Verschuldung, der anderen entsprechen. Der Saldo aller Länder ist immer Null. Demnach kann die Anwendung einzelwirtschaftlich richtiger Regeln auf makroökonomische Probleme zu fatalen wirtschaftspolitischen Fehlentscheidungen führen.

Ähnliches gilt für den rein binnenwirtschaftlichen Geldvermögensaufbau. Erspartes Geld kann nur dann mit Zinserträgen angelegt werden, wenn ein Schuldner mit einem erfolgversprechenden Geschäftsmodell bereitsteht, der das geliehene Geld inklusive der vereinbarten Zinsen zurückzahlen kann. Und fällt der Schuldner aus, weil das Geschäftsmodell nicht so funktioniert, wie erwartet, fällt auch das Vermögen aus. Das Verständnis der saldenmäßigen Zusammenhänge von Finanzströmen ist aber auch für die Finanzierung des globalen Klimaschutzes und der UN Sustainable Development Goals (SDGs) wichtig, weil dazu in den nächsten Jahren erhebliche Gelder von den reichen, industrialisierten Ländern in die Entwicklungsländer transferiert werden müssen.

21. Juni 2017

Civil20 in Hamburg: Nette Worte vor dem Gipfel

War es Phantasielosigkeit der Pressesprecher oder die bange Sorge, dass das aufwändige Treffen zivilgesellschaftlicher Organisationen am Ende wenig bewirkt haben könnte? Jedenfalls beschworen die Protagonisten vor und nach dem C20-Gipfel am 18./19. Juni wortgleich die gleiche Hoffnung: „Die Beteiligung der Zivilgesellschaft ist entscheidend für die Erarbeitung von Lösungsansätzen für globale Krisen und Herausforderungen. Die Bundesregierung hat diesen Dialog im Rahmen ihrer G20-Präsidentschaft angestoßen. Jetzt müssen die G20 beweisen, dass sie unsere Forderungen und Anliegen ernst nehmen und in Politik umsetzen“, erklärte die Geschäftsführerin des NGO-Dachverbands VENRO, Heike Spielmanns vorher. Und hernach folgte VENRO-Vorsitzender Bernd Bornhorst fast wortgleich: „Die G20 müssen jetzt beweisen, dass sie die Forderungen und Anliegen der Zivilgesellschaft wirklich ernst nehmen und in Politik umsetzen.“ Wieso eigentlich?


Dabei ist das in Hamburg verabschiedete Communiqué mit den umfangreichen Empfehlungen an den offiziellen G20-Gipfel weiterreichender als so manches Papierchen, das die NGOs im Vorfeld solcher Spitzentreffen fabriziert haben. Es geht um nicht mehr und nicht weniger als „einen Politikwechsel im Sinne einer gerechten Globalisierung für alle. Es geht darum, endlich aus einem wachstumszentrierten Wirtschaftsmodell auszusteigen, welches immer mehr Verlierer zurücklässt und unsere ökologischen Lebensgrundlagen zerstört“ (Bornhorst). „Zusammengefasst brauchen wir eine radikale Transformation des derzeitigen neoliberalen Systems“, postuliert das Communiqué, das am Ende der Veranstaltung der Bundeskanzlerin überreicht wurde. Ob diese und ihre G20-Kollegen derlei Forderungen jedoch ernst nehmen und einen Bruch mit überkommenen neoliberalen Konzepten vollziehen, gehört in den Bereich des Kinderglaubens.

Aussagekräftig in Bezug auf den Realitätsgehalt der G20-Agenda ist beispielsweise ein Reality-Check, den die Entwicklungs- und Nothilfeorganisation Oxfam nach dem Gespräch der NGOs mit der Kanzlerin vornahm. Darin werden Merkel schöne Worte konzediert, wenn sie die Bedeutung der Zivilgesellschaft betont oder dass die Globalisierung menschlich gestaltet werden muss und nicht zu mehr Ungleichheit führen darf oder dass gemeinsames Handeln nach dem US-Ausstieg aus dem Klimaabkommen wichtiger denn je ist. Die Realität steht jedoch auf einem anderen Blatt. So spiegelt sich das Problem der Ungleichheit in der G20-Agenda bislang kaum wider. Wichtiger als klimapolitische Lippenbekenntnisse ist, dass sich die Bundesregierung bislang um den Ausstieg aus der Kohlekraft herum drückt. Und in Bezug auf das große Thema Afrika, mit dem Berlin auf dem Gipfel punkten möchte, ist festzustellen, dass Initiativen wie der „Compact mit Afrika“, der „Marshallplan mit Afrika“ oder „Pro! Afrika“ über das Stadium des Nebulösen bislang nicht hinausgekommen sind – es sei denn man hält die Förderung eines günstigen Investitionsklimas für den „letzten Schrei“ einer Politik, die der Entwicklungszusammenarbeit schon immer eine „Geländerfunktion“ für die Wegbereitung privater Investitionen zugeschrieben hat.

7. Juni 2017

USA unter Trump: Der neue Schurkenstaat

Gastblog von Joseph Stiglitz

Donald Trump hat eine Handgranate in die globale Wirtschaftsarchitektur geworfen, die in den Jahren nach Ende des Zweiten Weltkriegs so sorgsam errichtet wurde. Der Versuch einer Zerstörung dieses regelgestützten System globaler Steuerung – der sich nun im Rückzug der USA aus dem Pariser Klimaabkommen von 2015 durch Trump manifestiert hat –, ist nur der letzte Aspekt des Angriffs des US-Präsidenten auf unser grundlegendes Werte- und Institutionssystem.

Die Welt ist nur langsam dabei, die Bösartigkeit der Agenda der Trump-Regierung voll zu realisieren. Trump und seine Spießgesellen attackieren die US-Presse – eine für die Bewahrung der Freiheiten und Rechte der Amerikaner und der amerikanischen Demokratie unverzichtbare Institution – als „Feind des Volkes“. Sie versuchen, die Grundlagen unserer Erkenntnisse und Meinungen – unsere Epistemologie – zu untergraben, indem sie alles, was ihre Ziele und Argumente hinterfragt, als „fake“ bezeichnen und sogar wissenschaftliche Erkenntnisse verwerfen. Trumps verlogene Rechtfertigungen für den Austritt aus dem Pariser Klimaabkommen sind hierfür nur der jüngste Beleg.


Bis Mitte des 18. Jahrhunderts stagnierte der Lebensstandard für tausende von Jahren. Es war die Aufklärung, die, indem sie sich einen vernunftgestützten Diskurs und wissenschaftliche Fragestellungen zu eigen machte, die enormen Verbesserungen beim Lebensstandard in den sich anschließenden zweieinhalb Jahrhunderten ermöglichte...


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