18. Dezember 2015

In Nairobi nur Minimalismus und Symbolismus

Von Tobias Reichert*) – Vor dem Hintergrund der ungelösten Frage nach der Zukunft der Doha-Runde insgesamt versuchen die WTO-Mitgliedsstaaten in Nairobi den Ansatz der letzten Konferenz in Bali zu wiederholen. Zu Einzelthemen der Doha-Agenda sollen separate Übereinkommen getroffen werden, die dann unabhängig vom Gesamtergebnis in Kraft treten können.


● Exportwettbewerb: Der wichtigste Themenbereich, zu dem eine Einigung möglich scheint, ist der Exportwettbewerb bei landwirtschaftlichen Gütern. Anders als noch in Bali ist die EU nun bereit, Exportsubventionen endgültig abzuschaffen, und hat sogar den seit gestern in Nairobi zirkulierenden Textentwurf maßgeblich mit vorbereitet. Das fällt ihr leicht, da die EU schon seit einigen Jahren keine Exportsubventionen mehr gewährt. Vor 30 Jahren wäre dieser Beschluss ein entwicklungspolitischer Meilenstein gewesen, nun verhindert er nur noch den Rückfall in alte Fehler.

Wird der Text verabschiedet, müssen alle Industriestaaten direkte Exportsubventionen bis 2020 abschaffen, Entwicklungsländer (die sie ohnehin nicht nutzen) bis 2023. Eine spezielle Ausnahme für Entwicklungsländer, die es ihnen erlaubt, die inländischen Transportkosten von Exportgütern zu subventionieren, soll sogar noch bis 2028 gelten. Die entwicklungspolitische Sinnhaftigkeit dieser Regel ist durchaus fragwürdig, eine Verkürzung der Frist wäre gegen den Widerstand großer Entwicklungsländer aber kaum durchzusetzen.

Noch hartleibiger zeigen sich die USA bei den Instrumenten zur Exportförderung, die sie einsetzen: staatlich gestützte Exportkredite und Nahrungsmittelhilfe. Um eine indirekte Subventionierung durch künstlich verbilligte Kredite zu verhindern, waren im letzten Vertragsentwurf aus den Doha-Verhandlungen strikte Kriterien für die Exportkreditprogramme definiert worden. So müssten diese sich selbst finanzieren, also Verluste innerhalb von vier Jahren durch eigene Einnahmen statt staatliche Zuschüsse ausgleichen. Zudem hätten Kredite nur für eine Laufzeit von 6 Monaten vergeben werden dürfen. Die USA hatten klargemacht, dass sie dem auf keinen Fall zustimmen würden. Der Vertragsentwurf sieht nun vor, dass Exportkredite bis zu 18 Monate laufen dürfen und sich nur "langfristig" selbst finanzieren müssen. Dass dies exakt den Bedingungen des aktuellen Exportkreditprogramms der USA entspricht, ist kein Zufall.

Auch bei der Nahrungsmittelhilfe bewegen sich die USA nicht: Sie bestehen darauf, diese auch weiterhin vor allem in Form von Naturalien statt Geld zu gewähren. Zudem sollen die als Hilfe gewährten Nahrungsmittel weiter in den Empfängerländern verkauft werden dürfen. Um dabei oft auftretende negative Effekte auf lokale Bauern und regionale Märkte zu vermeiden, sieht der Verhandlungstext vor, dass vorab eine Folgenabschätzung für die lokalen Märkte vorgenommen werden muss. Zudem sollen die Regierungen der Empfängerländer eine Art Vetorecht erhalten.  Ob die USA dem zustimmen werden, ist ungewiss.

Das mögliche Abkommen würde also im Kern nur die derzeitige Praxis der Industriestaaten festschreiben. Gleichwohl wäre das nicht sinnlos, da die EU nach bisherigem Stand das Recht hat, Exportsubventionen in Höhe von 6 Mrd. € zu zahlen und für Exportkredite und Nahrungsmittelhilfe praktisch gar keine Regeln bestehen.

● Baumwolle: Seit 2005 versprechen die WTO-Mitglieder den baumwollexportierenden Entwicklungsländern immer wieder, nicht nur Exportsubventionen, sondern auch handelsverzerrende interne Subventionen für Baumwolle ganz oder weitgehend abzuschaffen. Damit soll die unfaire Konkurrenz auf dem Weltmarkt verringert werden. Obwohl die Beschlüsse vorsehen, dies besonders eilig, vordringlich und unverzüglich zu tun, haben vor allem die USA als wichtiger Baumwollexporteur ihre Politik kaum verändert. Auch in Nairobi wird es keine greifbaren Fortschritte geben – mögliche Ausnahme sind die Exportsubventionen, die Industrieländer laut Entwurf sofort und Entwicklungsländer 2017 einstellen müssen. Da derzeit de-facto keine Exportsubventionen gezahlt werden, ist auch dieser Beschluss vor allem symbolisch.

● LDCs: Auch die Entscheidungen, die speziell den am wenigsten entwickelten Ländern (LDCs) zu Gute kommen sollen, sind letztlich unverbindlich. Ein neues Papier, mit dem die Ursprungsregeln vereinfacht werden sollen, mit denen die importierenden Industriestaaten die Voraussetzung dafür definieren, dass Güter aus LDCs besseren Marktzugang bekommen, wirkt stellenweise wie Realsatire.
So sollen Länder, die die Wertschöpfung zum Kriterium machen, den Wert importierter Vorprodukte als Grundlage nehmen. Dies klingt verbindlich, wird aber durch den nächsten Satz ausgehebelt, dass Länder, die das jetzt anders machen, das auch in Zukunft tun können. Länder, die verlangen, dass ein Produkt so weiterverarbeitet wird, dass es in eine andere Zollkategorie fällt, sollen dazu keine zusätzlichen Beschränkungen und Ausnahmen einführen – außer wenn sie dies für notwendig erachten... In den übrigen Artikeln des Entwurfs wimmelt es von Begriffen wie "sollte", "in Betracht ziehen" und ähnlichem.

● Fischereisubventionen: Zu Beginn der Ministerkonferenz haben die AKP-Staaten und Peru gefordert, verbindliche Grenzen für Fischereisubventionen festzulegen. Ein Beschluss dazu ist unwahrscheinlich – ein Auftrag, bis zur nächsten Ministerkonferenz ein Abkommen zu verhandeln dagegen eher.

● Spezieller Schutzmechanismus für Kleinbauern: Die Forderung Indiens und 47 weiterer Entwicklungsländer mit überwiegend kleinbäuerlicher Landwirtschaft (G33), einen speziellen Schutzmechanismus gegen plötzliche Importanstiege einzuführen, ist in Nairobi kaum durchsetzbar. Zwar unterstützen wichtige Agrarexporteure wie Brasilien diese Position – allerdings im Kontext einer umfassenden Zollsenkung für Agrargüter. Da diese in Nairobi nicht zur Diskussion steht, hat die G33 nicht genügend Verbündete für ihre Forderung.

Das Ende der Exportsubventionen zeichnet sich damit als einziges konkretes Ergebnis der Nairobi Konferenz ab. Aus entwicklungspolitischer Sicht ist dies keine schlechte Entwicklung. Ob die Industriestaaten im Gegenzug die Öffnung der Verhandlungen für die neu-alten Themen Investitionen oder öffentliche Beschaffung durchsetzen können bleibt abzuwarten.

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