24. April 2015

Griechisches Drama: Mehr als Bad Economics

Eine weitere Woche im griechischen Drama liegt hinter uns. Sollte wirklich jemand gedacht haben, die IWF/Weltbank-Frühjahrstagung am letzten Wochenende würde etwas Erleichterung bringen, er wurde des Gegenteils belehrt: Die Lage im Verhandlungspoker nach dem Washingtoner Treffen ist für Griechenland noch schlimmer als zuvor. Die Verweigerung eines Entgegenkommens durch die Gläubiger hat sich eher verhärtet; IWF-Chefin Lagarde verweigert Athen jedweden Zahlungsaufschub; und die allgemeine Sicht des in Washington vereinigten Finanzestablishments soll gewesen sein: Hier verweigert ein Problemkind aus bloßem Trotz die Gefolgschaft bzw. die Einnahme einer bitteren, aber notwendigen Medizin.

Doch hinter der Standfestigkeit, mit der die Syriza-Regierung die Übernahme der gescheiterten Rezepte der Troika-Institutionen zurückweist, steckt nicht Trotzigkeit eines missratenen Kindes, sondern ein grundsätzlicher Gegensatz, was den weiteren Weg Griechenlands und der Eurozone betrifft. Nicht nur, dass die geforderte Austeritätspolitik nicht funktioniert und daher „bad economics“ ist, wie der griechische Finanzminister Yanis Varoufakis jetzt noch einmal dargelegt hat (>>> A New Deal for Greece). Es ist auch die grundlegende Richtung der politischen und gesellschaftlichen Entwicklung, um die gekämpft wird. Nichts veranschaulicht das so sehr wie der Umstand, dass ein zentraler Stolperstein der Verhandlungen die Forderung nach einer weiteren „Liberalisierung der Arbeitsmärkte“ in Griechenland ist – als hätten die Griechen in den letzten Jahren nicht mehr „Lohnflexibilität“ gezeigt als irgendein anderes Volk!

Aus diesem letzten Grund ist es auch nicht absurd, wenn Mark Weisbrot in seinem letzten Kommentar (>>> Are European Officials Pushing for Regime Change in Greece?) die Frage stellt, ob nicht wesentliche Teile des Euro-Establishments inzwischen in Griechenland eine Politik des „Regime Change“ betreiben, also jedes verfügbare Druckmittel einsetzen, um den hartnäckigen Verhandlungspartner in Athen loszuwerden. Seit etwa zwei Wochen wird jetzt in der Financial Times darüber spekuliert, ob sich nicht die Syriza-Partei ihres „linksradikalen“ Flügels entledigen könnte, um mit „gemäßigteren“ Kräften – den Resten der PASOK etwa – zusammenzugehen und dann „kompromissfähiger“ gegenüber den Gläubigern zu sein. Dies mag eine elegantere Variante sein, als die Regierung in Athen einfach am ausgestreckten Arm verhungern zu lassen.

Doch eben dieselbe Financial Times wartet derzeit immer wieder mit Beiträgen auf, die sich wohltuend von der deutschen Griechenlandhetze abheben. So wies am letzten Montag Wolfgang Münchau darauf hin, dass ein griechischer Default, also die Erklärung der Zahlungsunfähigkeit, nicht unbedingt identisch mit einem Grexit aus dem Euro sein muss. Denn nirgendwo in den so oft zitierten „Verträgen“ steht geschrieben, dass ein zahlungsunfähiges Mitglied den Euro verlassen muss (>>> A Greek default is necessary but Grexit is not). FT-Chefökonom Martin Wolf zählte am Mittwoch noch einmal die diversen Mythen auf, die jeden Verhandlungsfortschritt blockieren (>>> Mythology that blocks progress in Greece). Dazu gehören die in jüngster Zeit vor allem in Deutschland kultivierten Behauptungen, ein Grexit würde der Eurozone und Griechenland gleichermaßen helfen; aber auch die hartnäckigen Behauptungen des Stammtischs, alles sei Griechenlands Fehler, und das Land hätte bisher noch nichts getan. Heute schließlich warnt die FT-Finanzkorrespondentin in Washington, Gillian Tett, in der gewohnt eloquenten Art vor den unkalkulierbaren Konsequenzen eines Grexit für das globale Finanzsystem (>>> America fears a European sequel to Lehman). Auch in Bezug auf die Lehman-Pleite argumentierten viele, die Konsequenzen seien bereits „eingepreist“ und die Institutionen hätten alles unter Kontrolle. Doch bis heute sitzt das Erdbeben, das folgte, vielen Amerikanern in den Knochen. Wenn den Europäern die Erfahrung eines solchen Lehman-Moments fehlt – die Pleite Griechenlands könnte es ändern.

Keine Kommentare: