30. April 2015

Mehr Fairness im Schuldenmanagement: UNCTAD stellt Roadmap vor

Eine "Roadmap" zur Lösung künftiger öffentlicher Schuldenkrisen, wie sie seit der globalen Finanzkrise die Regierungen von Island über Argentinien bis Griechenland erlebt haben, hat die UN-Konferenz für Handel und Entwicklung (UNCTAD) vorgelegt. Wie die Autoren des jüngsten Schuldenreports 2015 erwarten die UNCTAD-Experten weitere Schuldenkrisen angesichts des aktuellen Schuldenstands vieler Entwicklungsländer, der Zerbrechlichkeit der weltwirtschaftlichen Erholung und der zu erwartenden Normalisierung der Geldpolitik in den Industrieländern, d.h. wieder steigender Zinssätze. Das 64-seitige Dokument, Roadmap and Guide for Sovereign Debt Workouts, beinhaltet Empfehlungen zur Verbesserung der Kohärenz, Fairness und Effektivität in derzeitigen Prozessen der Schuldenrestrukturierung. Dazu werden fünf Prinzipien identifiziert, die berücksichtigt werden sollten: Legitimität, Unparteilichkeit, Transparenz, guter Glaube und Nachhaltigkeit.

Ohne einen internationalen Schuldenmechanismus sehen sich die Länder einer fragmentierten Landschaft von Umschuldungsmechanismen gegenüber, die Inkonsistenz, Ineffektivität und Unvorhersagbarkeit schaffen, argumentiert der Report. Er weist auf das Beispiel der beiden Urteile eines New Yorker Gerichts zugunsten von Hedgefonds gegen Argentinien hin, die künftige Schuldenrestrukturierungen noch schwieriger machen. Es bestehe daher unmittelbarer Bedarf an einem Schuldenmechanismus, der in der Lage ist, verschiedene Typen von Schuldenkrisen schnell zu lösen: Einige Schuldenkrise beginnen als Liquiditätskrisen, während andere durch exzessive externe Verschuldung von Privaten verursacht werden, die jedoch oft in die Bücher der Regierungen übergehen, wenn die Rückzahlung scheitert.

UNCTAD schlägt vor, eine multilaterale Sovereign Debt Workout Institution (SDWI; etwa: Öffentliche Schuldenumwandlungsinstitution) zu schaffen, die im Einklang mit den erwähnten fünf Prinzipien arbeitet. Eine solche Institution könnte auf Antrag vermitteln oder Schiedssprüche in Streitfragen fällen und so mehr Transparenz in die Verfahren bringen. Die Roadmap ist das Ergebnis einer mehrjährigen Expertenkonsultation, die UNCTAD 2013 ins Leben gerufen hat. Seither hat sich UNCTAD mehr und mehr als führende Beratungsinstanz in Schuldenfragen innerhalb des UN-Systems etabliert. Im Dezember 2014 verabschiedete die UN-Generalversammlung eine Resolution zur Einrichtung eines Ad-hoc-Ausschusses, als dessen Sekretariat UNCTAD fungiert. Er soll bis Ende des laufenden Jahres ein Multilaterales Rechtliches Rahmenwerk für einen Prozess der öffentlichen Schuldenrestrukturierung vorbereiten. Die zweite Sitzung dieses Ausschusses fand soeben in New York statt, gerade rechtzeitig, um die neue Roadmap zu diskutieren.

24. April 2015

Griechisches Drama: Mehr als Bad Economics

Eine weitere Woche im griechischen Drama liegt hinter uns. Sollte wirklich jemand gedacht haben, die IWF/Weltbank-Frühjahrstagung am letzten Wochenende würde etwas Erleichterung bringen, er wurde des Gegenteils belehrt: Die Lage im Verhandlungspoker nach dem Washingtoner Treffen ist für Griechenland noch schlimmer als zuvor. Die Verweigerung eines Entgegenkommens durch die Gläubiger hat sich eher verhärtet; IWF-Chefin Lagarde verweigert Athen jedweden Zahlungsaufschub; und die allgemeine Sicht des in Washington vereinigten Finanzestablishments soll gewesen sein: Hier verweigert ein Problemkind aus bloßem Trotz die Gefolgschaft bzw. die Einnahme einer bitteren, aber notwendigen Medizin.

Doch hinter der Standfestigkeit, mit der die Syriza-Regierung die Übernahme der gescheiterten Rezepte der Troika-Institutionen zurückweist, steckt nicht Trotzigkeit eines missratenen Kindes, sondern ein grundsätzlicher Gegensatz, was den weiteren Weg Griechenlands und der Eurozone betrifft. Nicht nur, dass die geforderte Austeritätspolitik nicht funktioniert und daher „bad economics“ ist, wie der griechische Finanzminister Yanis Varoufakis jetzt noch einmal dargelegt hat (>>> A New Deal for Greece). Es ist auch die grundlegende Richtung der politischen und gesellschaftlichen Entwicklung, um die gekämpft wird. Nichts veranschaulicht das so sehr wie der Umstand, dass ein zentraler Stolperstein der Verhandlungen die Forderung nach einer weiteren „Liberalisierung der Arbeitsmärkte“ in Griechenland ist – als hätten die Griechen in den letzten Jahren nicht mehr „Lohnflexibilität“ gezeigt als irgendein anderes Volk!

Aus diesem letzten Grund ist es auch nicht absurd, wenn Mark Weisbrot in seinem letzten Kommentar (>>> Are European Officials Pushing for Regime Change in Greece?) die Frage stellt, ob nicht wesentliche Teile des Euro-Establishments inzwischen in Griechenland eine Politik des „Regime Change“ betreiben, also jedes verfügbare Druckmittel einsetzen, um den hartnäckigen Verhandlungspartner in Athen loszuwerden. Seit etwa zwei Wochen wird jetzt in der Financial Times darüber spekuliert, ob sich nicht die Syriza-Partei ihres „linksradikalen“ Flügels entledigen könnte, um mit „gemäßigteren“ Kräften – den Resten der PASOK etwa – zusammenzugehen und dann „kompromissfähiger“ gegenüber den Gläubigern zu sein. Dies mag eine elegantere Variante sein, als die Regierung in Athen einfach am ausgestreckten Arm verhungern zu lassen.

Doch eben dieselbe Financial Times wartet derzeit immer wieder mit Beiträgen auf, die sich wohltuend von der deutschen Griechenlandhetze abheben. So wies am letzten Montag Wolfgang Münchau darauf hin, dass ein griechischer Default, also die Erklärung der Zahlungsunfähigkeit, nicht unbedingt identisch mit einem Grexit aus dem Euro sein muss. Denn nirgendwo in den so oft zitierten „Verträgen“ steht geschrieben, dass ein zahlungsunfähiges Mitglied den Euro verlassen muss (>>> A Greek default is necessary but Grexit is not). FT-Chefökonom Martin Wolf zählte am Mittwoch noch einmal die diversen Mythen auf, die jeden Verhandlungsfortschritt blockieren (>>> Mythology that blocks progress in Greece). Dazu gehören die in jüngster Zeit vor allem in Deutschland kultivierten Behauptungen, ein Grexit würde der Eurozone und Griechenland gleichermaßen helfen; aber auch die hartnäckigen Behauptungen des Stammtischs, alles sei Griechenlands Fehler, und das Land hätte bisher noch nichts getan. Heute schließlich warnt die FT-Finanzkorrespondentin in Washington, Gillian Tett, in der gewohnt eloquenten Art vor den unkalkulierbaren Konsequenzen eines Grexit für das globale Finanzsystem (>>> America fears a European sequel to Lehman). Auch in Bezug auf die Lehman-Pleite argumentierten viele, die Konsequenzen seien bereits „eingepreist“ und die Institutionen hätten alles unter Kontrolle. Doch bis heute sitzt das Erdbeben, das folgte, vielen Amerikanern in den Knochen. Wenn den Europäern die Erfahrung eines solchen Lehman-Moments fehlt – die Pleite Griechenlands könnte es ändern.

17. April 2015

IWF-Treffen in Washington: G24-Finanzminister pro Staateninsolvenz bei der UNO; Lagarde gegen Zahlungsaufschub fuer Griechenland

In ihrem Kommuniqué zur heute beginnenden Frühjahrstagung von IWF und Weltbank bekräftigten die VertreterInnen der Entwicklungs- und Schwellenländer (G24) ihre Unterstützung für die Schaffung eines Staateninsolvenzverfahrens innerhalb der Vereinten Nationen. Die UN-Vollversammlung hatte im vergangenen Jahr per Resolution beschlossen, bis zum Ende der laufenden Sitzungsperiode im September 2015 einen Vorschlag für ein Staateninsolvenzverfahren zu verabschieden. Der von der großen Mehrheit getragene Prozess wird jedoch von einigen Industriestaaten, darunter Deutschland, boykottiert.

Laut der Bundesregierung darf über Fragen der globalen Finanzarchitektur nur im Internationalen Währungsfonds gesprochen werden. Dem widerspricht die Mehrheit der Finanzminister der Welt, die sich im G24-Forum bei IWF und Weltbank organisieren, nun erneut mit Nachdruck. Die Schaffung eines verlässlichen Verfahrens zur Lösung von Schuldenkrisen ist vor allem in Anbetracht der historisch niedrigen Zinsen, die zu einer Welle neuer Kreditvergaben an Entwicklungsländer führen, wichtig. Nach erlassjahr.de-Koordinator Jürgen Kaiser: können sogar kleinste Veränderungen des Zinsniveaus oder Preisschwankungen dazu führen, „dass neue Schuldenkrisen ausbrechen. Ohne ein Insolvenzverfahren für Staaten werden die Auswirkungen ähnlich dramatisch sein, wie die der Schuldenkrise der 1980er Jahre, die ein verlorenes Entwicklungsjahrzehnt zur Folge hatte. Es ist nur verantwortlich von den Finanzministern des Globalen Südens nach effizienten Verfahren zur Krisenbewältigung zu suchen. Die Bundesregierung hingegen scheint nichts aus den vergangenen und aktuellen Schuldenkrisen gelernt zu haben.“ 

Hinzu kommt, dass allein die Existenz eines geordneten Insolvenzverfahrens viel Druck von den Schuldnern, wie wir ihn jetzt wieder am Beispiel Griechenland erleben, nehmen könnte, da es ein faires Gleichgewicht zwischen Gläubigern und Schuldnern herstellen würde. Auch die Verweigerung von Zahlungsaufschüben, wie dieser Tage von IWF-Chefin Lagarde gegenüber Griechenland mit Aplomb in Szene gesetzt, würden schwieriger, wenn ein Insolvenzverfahren bevor steht, in dem Schuldner und Gläubiger sich auf Augenhöhe begegnen. Wie der derzeitige Griechenland-Poker zeigt, sind die Schuldner ihren Gläubigern ohne ein solches Verfahren auf Gedeih und Verderb ausgeliefert.

Gewerkschaften contra IWF: Scheinheilig in Sachen Ungleichheit

IWF-Chefin Christine Lagarde
Im Laufe der Jahre hat der Internationale Gewerkschaftsbund (IGB oder ITUC in englischer Abkürzung) – mit 328 Mitgliedsorganisationen in 162 Ländern die größte und wichtigste Gewerkschaftsinternationale der Welt – eine beachtliche Kontinuität in der Kritik des Internationalen Währungsfonds (IWF) entwickelt. Auch zur diesjährigen Frühjahrstagung der Internationalen Finanzinstitutionen produzierte der ITUC wieder ein Statement, das die aktuellen Seiten der IWF- und Weltbank-Politik einer herben Kritik unterzieht. Vor allem tut der IWF aus gewerkschaftlicher Sicht nicht genug, um die Schaffung von Arbeitsplätzen angesichts der sich vor allem in den Schwellen- und Entwicklungsländern abschwächenden Konjunktur zu ermutigen (wenn er nicht durch seine Politik-Konditionalität sogar zur Verhinderung neuer Jobs beiträgt).

Die Generalsekretärin des ITUC, Sharan Burrow, hat in diesem Zusammenhang gestern das scheinheilige (neuerliche) Bekenntnis des IWF zur Zurückdrängung sozialer und wirtschaftlicher Ungleichheit einerseits und die fortgesetzte Unterstützung ungleichheitsfördernder Politik andererseits aufgespießt. Sie verwies auf jüngere Forschungsbeiträge aus dem IWF, die den Nachweis führen, dass durch wachsende Ungleichheit auch das Wirtschaftswachstum geschädigt werde und dass es keine Belege dafür gibt, dass eine schwache Regulierung der Arbeitsmärkte mit hohem Wachstum einher geht – ganz im Gegensatz zur den jahrelangen Behauptungen der Weltbank in ihren Doing-Business-Reports, dass schwache Gewerkschaften und mangelnde Tarifautonomie für das Wachstum positiv seien. „Es ist schwer zu verstehen“, so Burrow, „warum die Kreditprogramme des IWF in Europa und anderswo weiterhin darauf abzielen, die Regulierung der Arbeitsmärkte und die Tarifautonomie zu schwächen, wo doch die eigene Forschung zeigt, dass solche Maßnahmen zum Anstieg der Ungleichheit führen. Wenn der IWF wirklich glaubt, dass die steigende Ungleichheit ein Laster und keine Tugend ist, sollte er aufhören, Länder zu Aktionen zu ermutigen, die die Einkommensverteilung noch ungleicher machen.“

Interessant in diesem Zusammenhang ist auch, dass der ITUC als einer der wenigen die IWF-Geschäftsführerin Christine Lagarde kritisierte, als sie Ende Februar das Interim-Abkommen zwischen Griechenland und seinen Gläubigern angriff. In einem Brief schrieb Lagarde, das Abkommen riskiere, von der Politik der Vorgängerregierungen abzurücken und mahnte dabei ausdrücklich „umfassende Rentenkürzungen, Mehrwertsteuerreformen, Privatisierung und Arbeitsmarktreformen“ an. Burrow sprach dem IWF damals grundsätzlich das Recht ab, solche „Reformen“ zu verlangen, wo doch „fünf Jahre Austerität und Deregulierung zu ökonomischer Depression, größerer Ungleichheit und 25% Arbeitslosigkeit“ geführt hätten. – In der Tat: Die Politik des IWF muss auch unter Mme Lagarde substantiell anders werden, wenn sie sich von ihren männlichen Vorgängern wirklich unterscheiden will.

Banal bis bemerkenswert: Durchwachsene Beobachtungen in Washington

Logo der Frühjahrstagung mit Weltbankchef Jim Kim
Die "neue" Weltbank-Strategie, mit der ihr Präsident Kim Yong Jim die extreme Armut auf dem Globus bis zum Jahr 2030 ausrotten will (s. auch vorstehenden Eintrag), ist ebenso enttäuschend wie banal: Enttäuschend, weil sie anzeigt, wie wenig von der wachstumskritischen Nachhaltigkeitsrhetorik übrig geblieben ist, die zur Wahl Kim Jims zitiert wurde. Banal, weil es nun wirklich nicht originell ist, wenn der Präsident das Motto seiner Strategie in den drei Worten „Wachsen, investieren, versichern“ zusammenfasst. Erstens müsse die landwirtschaftliche Produktivität steigen, zweitens die Infrastruktur aufgebaut werden, um den Zugang zu Energie und Märkten zu verbessern, drittens „müssen wir mehr und freieren Handel fördern“, viertens in Gesundheit und Bildung investieren und viertens gelte es, soziale Sicherheitsnetze zu schaffen, so Kim Jim am Vorabend der Frühjahrstagung der Weltbank und des IWF in Washington.

Daran ist keineswegs alles falsch, aber dies ist nun wirklich nicht mehr als das bekannte Konzept von Wachstum plus Freihandel mit einigen sozialen Garnierungen. Selbst Infrastruktur- und Investitionen in die Verbesserung des Gesundheits- und Bildungswesen sind hier untergeordnet und instrumentell auf mehr Wachstum ausgerichtet. Und soziale Sicherheitsnetze sollen nachsorgend diejenigen irgendwie auffangen, die vom Wachstum nichts abbekommen. Es ist schockierend, wenn das Internationale Konsortium für Investigativen Journalismus (ICIJ) gestern feststellte, dass rund 50% der Projekte der Weltbank sich nicht an deren eigene Sozial- und Umweltstandards halten. Doch das ist nur ein weiterer Beleg dafür, wie sehr auch unter dem jetzigen Weltbank-Präsidenten Rhetorik und Wirklichkeit auseinanderklaffen. Soll die Bank doch erstmal ihre eigenen Richtlinien umsetzen, bevor sie vollmundig neue Strategien verkündet!

Nicht alles freilich, was in Washington derzeit zum Besten gegeben wird, ist so banal. In die Kategorie „bemerkenswert“ gehört z.B. der neue Global Financial Stability Report des IWF. Der Bericht verweist u.a. darauf, dass die mit dem Bankensektor verbundenen Risiken infolge der verschiedenen regulatorischen Reform der letzten Zeit zwar zurück gegangen sind, aber um den Preis ihrer Verlagerung in den Nichtbanken-Sektor. Vor allem die Fondsindustrie hat seit der Finanzkrise extrem expandiert. So verwalten bzw. kaufen und verkaufen Fondsmanager heute Verbriefungen im Wert von 76 Billionen Dollar, 40% mehr als vor zehn Jahren. Der IWF glaubt, dass die Risiken für die globale Finanzstabilität infolge dieser Verlagerungen gewachsen sind, weil sich damit auch die Jagd nach Renditen in einen Sektor verlagert hat, der im Falle einer Krise durch Kapitalabzüge schnell in die Klemme geraten könnte. Eine andere Frage ist allerdings, ob die nun auch für den Fondssektor vorgeschlagenen Stresstests hier Abhilfe schaffen können.

Eine bemerkenswerte Liste der unerledigten Reformen im Finanzsektor hat zum Auftakt der Frühjahrstagung die Koalition New Rules for Global Finance in einem Offenen Brief an die Finanzminister und Zentralbankchefs der G20 vorgelegt. Als größte Lücken werden darin die immer noch ungelöste Too-Big-To-Fail-Problematik bezeichnet (der Konzentrationsgrad im Bankensektor ist heute höher als vor der Krise), sodann die mangelnden Strukturreformen im Finanzsektor (etwa die konsequente Trennung des Banken-Kerngeschäfts von marktgestützten Aktivitäten), die fehlende Zähmung des Schattenbanken-Sektors (auch dieser ist heute größer als vor der Krise) oder die fortgesetzte Untätigkeit gegenüber den privaten Rating-Agenturen (zu diesen Versäumnissen siehe auch: W&E-Hintergrund März-April 2015).


15. April 2015

IWF/Weltbank-Treffen in Washington: Divergierende Botschaften?

Seit letzter Woche wirft die Frühjahrstagung von IWF und Weltbank, die vom 17.-19. April in Washington stattfindet, jetzt ihre Schatten voraus, mit – jedenfalls auf den ersten Blick – durchaus widersprüchlichen Botschaften. Erst warnte IWF-Chefin Christine Lagarde in der vergangenen Woche, die „neue Mittelmäßigkeit“ des Wachstums könnte zur „neuen Normalität“ der Weltwirtschaft werden, und die Leistungskraft der meisten Volkswirtschaften sei schlicht „nicht gut genug“. Doch gestern sagte der Chefökonom des Fonds, Olivier Blanchard, bei der Vorstellung des neuen World Economic Outlook, die mittelfristigen Wachstumserwartungen seien „kein Grund für Untergangsstimmung und Trübnis“.

Tatsächlich entspricht das derzeitige Wachstum von 3,5% (Prognose für 2015) dem langfristigen Durchschnitt, und nur diejenigen, die nach dem tiefen Konjunktureinbruch im Gefolge der Finanzkrise einen wesentlich stärkeren Rebound erwartet hatten, dürften eigentlich enttäuscht sein. Die Ausschläge, mit denen Prognosen oder auch reale Wachstumsraten nach unten oder oben korrigiert werden, nehmen deutlich ab, was Verschiebungen zwischen den einzelnen Gruppierungen der Weltwirtschaft nicht ausschließt. So hob der ebenfalls vor der Frühjahrstagung veröffentlichte TIGER-Index der Brookings Institution und der Financial Times den Stop-and-go-Charakter der weltwirtschaftlichen Erholung hervor und betonte, dass die mäßig verbesserten Wachstumsaussichten der Industrieländer derzeit durch die Verlangsamung des Wachstums in den Schwellenländern kompensiert werden. Dennoch sind die Aussichten der Schwellenländer immer noch rund doppelt so gut wie in den Industrieländern.

Während die derzeitigen Weltkonjunktur-Analysen also wenig aufregend Neues zu bieten haben, sind die politischen Botschaften und Ratschläge der Bretton-Woods-Zwillinge schon problematischer. So rief die IWF-Chefin die Industrieländer jetzt zum wiederholten Male dazu auf, die schleppende Nachfrage zu stärken. Gleichzeitig plädiert der Fonds aber immer wieder zur „fiskalischen Konsolidierung“ bzw. zum Abbau der öffentlichen Überschuldung, die im Zuge der Rettung der Finanzsysteme entstanden ist. Und dort, wo der IWF als Gläubiger selbst über die politische Macht verfügt, zögert er nicht mit der Durchsetzung von Austeritätspolitik (s. – nicht nur – Griechenland!), die nun wirklich nicht zur Belebung der Nachfrage beitragen. Gleichzeitig gefällt sich Weltbank-Präsident Jim Yong Kim mit wortgewaltigen Ankündigungen, etwa einer neuen Strategie zur Beendung der extremen Armut in der Welt bis 2030 – dabei ist noch nicht einmal die Post-2015-Entwicklungsstrategie in trockenen Tüchern. Ironischerweise bezieht der Chef der Weltbank dabei (im Unterschied zur US-Regierung) vorsorglich auch die neuen Entwicklungsinstitutionen – etwa die Asiatische Infrastruktur-Investitionsbank (AIIB) und die Neue Entwicklungsbank der BRICS-Staaten – als erwünschte Kooperationspartner mit ein, die derzeit als veritable Alternative zu der überkommenen Bretton-Woods-Architektur im Entstehen sind (>>> Streit um AIIB).

11. April 2015

Amerika-Gipfel: Tauwetter mit Kuba und Eiszeit mit Venezuela?

Gastblog von Mark Weisbrot*) 

Der letzte Amerika-Gipfel 2012 in Cartagena/Kolumbien war ein Desaster für Präsident Obama. Es gab Skandale um Geheimdienstagenten und Prostituierte, eine wachsende Rebellion des Südens gegen den gescheiterten US-„Drogenkrieg“ und – vor allem – eine einmütige Opposition gegen das US-Embargo über Kuba. Der entscheidende Beleg, dass dies nicht einfach die üblichen Verdächtigen veranstalteten, war die Warnung des kolumbianischen Präsidenten Manuel Santos – einer der wenigen „Freunde“ Washingtons in der Region – dass es keinen weiteren Gipfel ohne Kuba geben würde.

Und so offerierte Obama den südlichen Nachbarn letztes Jahr ein überraschendes Weihnachtsgeschenk. Nach mehr als einem halben Jahrhundert der Aggression gegen Kuba begann er mit der Normalisierung der Beziehungen. Willkommen doch noch im 21. Jahrhundert! Obwohl die Republikanischen Kreuzritter und Neoliberalen den Prozess unvermeidlicherweise im Kongress verzögern würden, drückte das Weiße Haus öffentlich seine Hoffnung aus, dass er noch vor dem Gipfel am 10. April in beiden Ländern mindestens Botschaften geben würde. Doch was der Herr mit der einen Hand gibt, nimmt er mit der anderen: Am 9. März erklärte das Weiße Haus einen „nationalen Ausnahmezustand“ aufgrund der „außerordentlichen Bedrohung der nationalen Sicherheit“ durch Venezuela. Die Obama-Administration versuchte zwar, diese Sprache als eine bloße Formalität zu verharmlosen, aber die Welt weiß, dass solche verbalen Drohungen und die begleitenden Sanktionen für das betreffende Land ziemlich schädlich sein können – in der Vergangenheit folgten manchmal sogar militärische Aktionen auf dem Fuße.

Besonders bedenklich ist, dass Alex Lee vom State Department auf einem Hearing des US-Senats am 17. März erklärte, dass die gegenwärtigen Sanktionen nur ein „erster Warnschuss“ gegen Venezuela sind. Natürlich weiß die restliche Welt, dass diese Sanktionen nichts mit angeblichen Menschenrechtsverletzungen in Venezuela zu tun haben. Zwischen 2000 und 2010 ermordete das kolumbianische Militär über 5700 unschuldige Zivilisten; und die US-Regierung stellte dennoch weiterhin Milliarden Dollar an Militär- und Polizeihilfe zur Verfügung. In Honduras unternahm die Obama-Administration zahllose Schritte, um den Militärputsch gegen die demokratisch gewählte Regierung Mel Lelaya von 2009 abzusichern. Und in Mexiko verschwanden 43 Studenten während sechs Monaten unter Mithilfe der lokalen Behörden und Polizei, und möglicherweise auch der Bundespolizei und der Bundesregierung. Doch die US-Regierung erschien keineswegs besorgt zu sein und wird nicht einmal die Reduzierung der Militärhilfe an Mexiko erwägen.

Was durch die Sanktionen ebenfalls klar wird: Obamas Öffnung gegenüber Kuba stellt keinerlei Wandel in der Gesamtstrategie Washingtons gegenüber der Region dar. Die Absicht der Verstärkung von Handels- und diplomatischen Beziehungen zu Kuba ist vor allem Ausdruck des Versuchs, die kubanische Regierung – und aller anderen linken Regierungen der Region – effektiver zu unterminieren. Dazu gehört auch Brasilien, wo das State Department 2005, wie US-Regierungsdokumente belegen, Anstrengungen finanzierte, um die Regierung der Arbeiterpartei (PT) zu schwächen.

Vertreter Brasilien, Mexikos, Kolumbiens, Argentiniens und fast aller amerikanischen Staaten sprachen sich am letzten Donnerstag bei der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) gegen die Sanktionen aus. Die Union der Südamerikanischen Staaten verlangte ihre Aufhebung. Ebenso die Gemeinschaft der Lateinamerikanischen und Karibischen Nationen, der alle Länder der Hemisphäre außer den USA und Kanada angehören. Und am 26. März schickte der oppositionelle Gouverneur des Staates Lara von Venezuela einen Brief an Präsident Obama, in dem er ihn bat, „einen Moment seiner Zeit zu nutzen, um die Stimme des Volkes von Venezuela und des restlichen Lateinamerikas zuzuhören, die sich dafür ausgesprochen haben, die von Ihnen unterschriebene Anordnung rückgängig zu machen“.

Auch die kubanische Regierung antwortete kraftvoll und dämpfte Obamas Hoffnung auf einen Deal vor dem Amerika-Gipfel. Die Verhandlungen in Havanna wurden am 16. März abrupt unterbrochen, so dass Obama nun mit leeren Händen zum Gipfel nach Panama kommt. – Diese Sanktionen gegen Venezuela verletzen die Charta der Organisation Amerikanischer Staaten, wo es in Artikel 19 und 20 heißt: „No State or group of States has the right to intervene, directly or indirectly, for any reason whatever, in the internal or external affairs of any other State. The foregoing principle prohibits not only armed force but also any other form of interference or attempted threat against the personality of the State or against its political, economic, and cultural elements.”

*) Mark Weisbrot ist Kodirektor des Center for Economic and Policy Research (CEPR) in Washington. Sein Kommentar erschien zuerst in The Hill, Washington.

Yanis Varoufakis und Joseph Stiglitz in der Diskussion


2. April 2015

IFC-Risikoprojekte verletzen Menschenrechte

Milliardenschwere Investitionen der International Finance Corporation (IFC) führen weltweit zu Menschenrechts-verletzungen. Der Grund: Die Weltbanktochter schätzt Risiken ihrer Geschäfte mit Partnern wie Banken und Private Equity Fonds falsch ein und ergreift keine Maßnahmen, um die ärmsten sowie sozial und ökonomisch schwächsten Bevölkerungsgruppen zu schützen. Dies dokumentiert eine von zahlreichen NGOs, darunter Oxfam und urgewald, veröffentlichte Recherche, The Suffering of Others. Fallstudien aus Indien, Laos, Kambodscha, Guatemala und Honduras belegen, dass die IFC bei ihren Geschäften mit sog. Finanzintermediären ihre Sorgfaltspflicht verletzt und schlechtes Risikomanagement betreibt. Die Folge: Lokale Gemeinschaften werden von ihrem Land vertrieben, sind Gewalt und Repressionen ausgesetzt und verlieren ihre Existenzgrundlagen.

Anlässlich des heutigen IFC Board Meetings fordern Oxfam und urgewald, die IFC müsse ihre Investitionen in Hochrisikoprojekte, die über die private Finanzwirtschaft abgewickelt werden, einstellen, bis ein wirksames Risikomanagement etabliert ist. Die IFC wickelt mittlerweile 62% ihres Investitionsportfolios über Partner wie Banken und Private Equity Fonds ab. 36 Mrd. US-Dollar wurden auf diese Weise in den Jahren 2009 bis 2013 als Darlehen vergeben. Diese Summe übersteigt um 50% die Ausgaben der gesamten Weltbankgruppe im Gesundheitsbereich und beträgt das Dreifache der Ausgaben im Bildungssektor im gleichen Zeitraum. Dabei gibt es erhebliche Transparenz-Defizite bei den Geschäften mit der privaten Finanzwirtschaft: Für 94% der Investitionen, die die IFC in diesem Bereich selbst als Hochrisiko-Projekte klassifiziert, liegen für die vergangenen drei Jahre (seit 2012) keine öffentlichen Informationen über den Verbleib der Finanzmittel vor. Dies gewinnt zusätzliche Brisanz durch die Pläne der IFC, ihre Darlehen in fragile und von Konflikten betroffene Staaten um 50% zu erhöhen. 

Ein Beispiel für die intransparente und menschenrechtsfeindliche Finanzierungspraxis: Im Jahr 2008 investierte die IFC 100 Mio. US-Dollar in den Indischen Infrastrukturfonds. Dieser wiederum investierte einen Teil des Geldes in ein 1.400-MW-Kraftwerk der GMR Kamalanga Energy Limited (GKEL) im indischen Bundesstaat Odisha. Im Zuge des Projektes verloren knapp 1.300 Familien ungefähr 486 ha (1.200 acres) bewässertes Ackerland, obwohl ein Gesetz in Odisha die Umnutzung von Ackerland in industriell genutztes Land verbietet. Darüber hinaus erwarb das Unternehmen knapp 32 ha (78 acres) Wald, ohne die Landrechte der Gemeinden vor Ort zu respektieren, was eine Verletzung des Waldrechtgesetzes von 2006 darstellt. Familien wurden gezwungen, ihr Land zu einem Preis zu verkaufen, der durchschnittlich 1.600 US-Dollar/acre unterhalb dessen lag, was man in den drei Jahren vor dem Start des Projekts für diese Fläche erhalten hätte. Dem Bericht zufolge hat das GKEL-Projekt den Anteil der Haushalte ohne Landbesitz in dem Gebiet um rund 23 Prozent erhöht. Zwei Basisorganisationen aus den betroffenen Gemeinden haben bei der Ombudsstelle der IFC eine Beschwerde eingereicht, in der sie kritisieren, dass es keine öffentlichen Anhörungen gegeben habe, obwohl dies bei Landerwerb zwingend vorgeschrieben sei. Zudem seien keinerlei Projektinformationen inklusive Sozial- und Umweltverträglichkeitsprüfungen öffentlich verfügbar. 

Fazit: Das GKEL-Projekt hat die ärmlichen Lebensbedingungen der Gemeinden, die bereits von hoher Umweltverschmutzung betroffen sind, nicht verbessert sondern verschärft. Ähnliche Schlüsse lassen sich auch aus den anderen Fallstudien des Recherche-Berichts ziehen: Projekte in Guatemala, Honduras, Kambodscha oder Laos haben das Leid der Menschen erhöht, statt es zu mindern.