31. Juli 2014

Argentinien und die Geierfonds: Der Default ist da



Gastblog von Jürgen Kaiser*)

Der argentinische Staat ist seit heute wieder ein säumiger Schuldner. Die Regierung weigert sich zu Recht, die Forderung des Geierfonds NML-Capital in Höhe von 1,3 Mrd. US-Dollar zu bedienen. Gemäß dem Urteil des US-Richters Thomas Griesa ist es ihr damit technisch unmöglich, die normalen Zahlungen an ihre legitimen Gläubiger in den USA zu leisten.

Argentinien wird damit nicht in eine neuerliche wirtschaftliche Katastrophe geraten wie 2002, denn das Land hatte in den letzten Jahren ohnehin kaum Zugang zum Kapitalmarkt. Trotzdem hat das wachstumsschwache und inflationsgeplagte Land keine leichten Jahre vor sich.

Internationale Investmentfonds, die wie NML Capital Staatsschulden auf dem Sekundärmarkt mit hohen Abschlägen kaufen, um dann auf die volle Summe zu klagen, werden zu Recht als Geierfonds bezeichnet. Trotzdem wäre es falsch, an ihre Moral oder ihr Verantwortungsbewusstsein zu appellieren, um so der Geierplage Herr zu werden. Unabhängig davon, dass die Herren über das große Geld in der Regel weder über das eine noch über das andere verfügen: Es ist auch nicht ihre Aufgabe.

So, wie von Investoren, die in eine pleite gegangene Warenhauskette investiert haben, niemand erwarten kann, dass die plötzlich ihr Herz für die jahrelang unterbezahlten Verkäuferinnen entdecken, ist auch das Schicksal der ärmeren Bevölkerungsschichten Argentiniens NML & Co herzlich schnuppe. Vielmehr wäre es die Aufgabe des (Gläubiger-)Staates, so wie er für die möglichst sozialverträgliche Abwicklung eines Insolvenzfalls im heimischen Rechtssystem zu sorgen hat, auch für internationale Insolvenzen Regeln zu schaffen, die z.B. bei einer mehrheitlich beschlossenen Umschuldung, wie im Fall Argentiniens, dafür sorgt, dass nicht einzelne aus dem Verzicht der Mehrheit ihren Gewinn ziehen. Möglich wäre das. Das internationale Recht böte dafür eine Grundlage. Praktische Vorschläge, wie es umzusetzen wäre, liegen seit Jahren in großer Zahl auf dem Tisch.

Aber genau das hat die internationale Politik in den 13 Jahren seit dem letzten Zahlungsausfall Argentiniens versäumt. Zwei Bundesregierungen (rot/grün und schwarz/gelb) hatten die Forderung nach einer geordneten Staateninsolvenz in ihre Koalitionsverträge geschrieben. Getan haben sie nichts.

Die Konsequenzen aus dem “Fall Argentinien” werden in nächster Zeit vielerorts sichtbar sein: Die Geier werden versuchen, auch auf die erst jüngst vereinbarten Zahlungen Argentiniens an die staatlichen Gläubiger des Pariser Klubs zuzugreifen. Die internationalen Energie-Unternehmen (u.a. aus Deutschland), die gerne in das jüngst erschlossene Ölfördergebiet Vaca Muerte in der Provinz Neuquén einsteigen würden, werden Umwege für ihr Engagement finden müssen, bei denen die Geier nicht auf ihre Mittel zugreifen können, und dadurch beispielsweise gegenüber chinesischen Investoren erheblich ins Hintertreffen geraten. Und mit dem US-Urteil im Rücken halten die Geier schon nach den nächsten Opfern Ausschau. Dazu gehören niedrig bewertete Papiere Griechenlands und Zyperns ebenso wie Uralt-Schulden einiger der ärmsten Länder in Afrika.

Nur, wenn Schuldner die Möglichkeit haben, verlässlich, rechtsstaatlich und verbindlich alle ihre Gläubiger in eine Umschuldung einzubeziehen, wird dem Geschäftsmodell der Geier der Boden entzogen. Wann wollen die G7, die in der Vergangenheit die Regeln für die Schuldenerlasse der ärmsten Länder gesetzt haben, dieser Verantwortung nachkommen, wenn nicht jetzt?

*) Jürgen Kaiser ist Koordinator der Kampagne erlassjahr.de

16. Juli 2014

BRICS: Neue Entwicklungsbank Herausforderung an IWF und Weltbank

Trotz aller Unkenrufe haben die BRICS-Staaten (Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika) auf ihrem 6. Gipfel in Fortaleza/Brasilien die Neue Entwicklungsbank (NDB) und einen Swap-Mechanismus zur Abwehr spekulativer Angriffe auf ihre Währungen aus der Taufe gehoben. Die NDB ist eine direkte Herausforderung für die Weltbank, obwohl ihr Grundkapital mit 50-100 Mrd. Dollar unter deren Portfolio bleibt. Mit dem Pool von Reservewährungen „Contingent Reserve Arrangement” (CRA) von ebenfalls 100 Mrd. Dollar antworten die BRICS zugleich auf die fortgesetzte Weigerung, den IWF so zu reformieren, dass die Stimme der Schwellen- und Entwicklungsländer gestärkt und der Fonds in die Lage versetzt wird, schnell konditionsfreie Überbrückungsfinanzierung an Krisenländer zu gewähren.

So wie die Neue Entwicklungsbank nur ein Baustein in einer sich verändernden Welt ist (ein anderer ist etwa die geplante Asiatische Infrastrukturbank, deren Kapital sogar höher als das der Asiatischen Entwicklungsbank sein soll), so ergänzt das CRA heute schon bestehende, vom IWF unabhängige Krisenmechanismen wie das Chiang Mai-Abkommen. Auch wenn die BRICS-Konstellation ursprünglich nicht mehr war als die von einem Investment-Banker erfundene Abkürzung für eine Ländergruppe mit hohem Wachstumspotential, zeigt sich, dass sie in der Lage sind, eigene Interessendivergenzen auszugleichen und zu überbrücken: Sitz der neuen Bank wird zwar Schanghai, aber der erste Bank-Präsident wird von Indien gestellt; die anderen Länder sollen folgen. Zeitgleich mit der Errichtung des Hauptquartiers in Schanghai wird das erste Regionalbüro in Südafrika eröffnet, später dann weitere in den restlichen BRICS-Staaten.

Heiß wird derzeit über die Frage gestritten, ob die BRICS-Bank eine alternative Entwicklungsvision gegenüber IWF und Weltbank eröffnet, gleichsam einen „Fortaleza Consensus“ gegenüber dem überkommenen Washington Consensus. Richtig an den Bedenken der Skeptiker ist, dass es sich nicht um eine antikapitalistische Strategie handeln wird, die die Neue Entwicklungsbank einschlagen wird. Aber dass ihr Förderschwerpunkt auf der Infrastrukturentwicklung liegen wird, verweist darauf, dass zumindest eine zentrale entwicklungspolitische Lehre der letzten Jahre verstanden wurde: Entwicklung wird nicht durch immer mehr Deregulierung angestoßen und befördert, sondern dadurch, dass dem Staat eine aktive und katalysatorische Rolle eingeräumt wird. Die NDB könnte also eine neue multilaterale Bank werden, die den Entwicklungsstaat wieder in seine Rechte einsetzt – und das wäre schon viel angesichts der Zerstörungen, die der Neoliberalismus seit den 1980er Jahren angerichtet hat.

14. Juli 2014

Deutschland-Peru: Rohstoffpartnerschaft gegen Menschenrechte und Umwelt

Obwohl es in Peru bei der Durchsetzung von Menschenrechten und Umweltschutz jüngst deutliche Rückschritte gab, unterzeichnete die Bundesregierung heute in  Berlin ein Abkommen über Rohstoffpartnerschaft mit dem südamerikanischen Land, kritisierte Entwicklungs- und Umweltorganisation Germanwatch. „Partnerschaften“ wie diese sind Instrumente der deutschen Rohstoffstrategie und soll die langfristige Bindung der sog. Partnerländer als Rohstofflieferanten an Deutschland sichern. 

Die deutsche Regierung schließt das Abkommen wenige Monate nachdem die peruanische Regierung den Gebrauch von Waffen gegen Protestierende durch Polizei und Militär straffrei gestellt hat. Zudem werden derzeit die Sanktionen bei Umweltverstößen deutlich reduziert. Laut Germanwatch müsse trotz gegenteiliger Ankündigungen damit gerechnet werden, dass hier deutsche Rohstoffsicherheit auf Kosten von Menschenrechten und Umwelt durchgesetzt wird.

Im Jahr 2013 hat die Regierung von Peru das Strafgesetzbuch so geändert, dass Polizei- und Militärkräfte, die bei der Ausübung ihrer Pflichten Waffen einsetzen und dabei auch Todesfälle in Kauf nehmen, nicht mehr strafrechtlich belangt werden können, wie die Interamerikanische Menschenrechtskommission kritisiert. Dies gilt selbst dann, wenn nationale oder internationale Standards nicht eingehalten werden. Allein im Mai meldete die lokale Ombudsbehörde in Peru 100 Konflikte im Zusammenhang mit dem Bergbau. Meist geht es um den Zugang zu sauberem Wasser sowie die Nutzung des bisher bewirtschafteten Landes. Laut der peruanischen Menschenrechtsdachorganisation „Coordinadora national de derechos humanos“ töteten staatliche Sicherheitskräfte in den vergangenen zweieinhalb Jahren 24 Menschen bei Protesten, mehr als 300 wurden verletzt.

Sehr fraglich ist auch, ob die vagen Ankündigungen von Umweltstandards im Abkommen Wirkung entfalten werden. Denn in Peru werden Umweltstandards aktuell geschwächt, um Investitionen anzukurbeln. Wie auch die Repräsentanz der Vereinten Nationen in Peru kritisiert, darf die dortige Umweltaufsichtsbehörde in den nächsten drei Jahren bei Verstößen gegen den Umweltschutz nur noch ausnahmsweise und dann zudem nur in eng begrenzter Höhe Geldstrafen verhängen.

3. Juli 2014

TTIP-Streit im Bundestag

Ob das Freihandelsabkommen TTIP unter dem Aspekt der Nachhaltigkeit Chancen oder Risiken in sich birgt, ist heiß umstritten. Das wurde während einer öffentlichen Anhörung des Parlamentarischen Beirats für nachhaltige Entwicklung in dieser Woche im Deutschen Bundestag deutlich. Vor einem „Wettlauf hin zu den niedrigsten Standards“ warnte Jürgen Maier vom zivilgesellschaftlichen Bündnis „TTIPunfairHandelbar“. Die Logik der „regulatorischen Harmonisierung“ ziele darauf ab, höhere Regulierungsstandards zu einem Wettbewerbsnachteil zu machen, sagte Maier.


Dem widersprach Rupert Schlegelmilch, Direktor in der Generaldirektion Handel der EU-Kommission. Europäische Schutzniveaus stünden nicht zur Disposition, sagte er. Statt unterschiedliche Schutzniveaus anzugleichen, gehe es darum, durch die gegenseitige Anerkennung der Methoden bei einem gleichen Schutzniveau Kosten zu senken. Wenn es lediglich um die Vereinfachung technischer Zulassungsverfahren gehe, bräuchte man nicht so ein riesiges Vertragswerk, sagte dagegen Mehrdad Payandeh vom Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB). „Das kann man auch in einer Zollunion vereinbaren“, so der DGB-Vertreter. Der Gewerkschaftler kritisierte zudem, „dass elementare Standards für die Beschäftigten von der amerikanischen Seite nicht ernst genommen werden“. In einzelnen Staaten der USA würde gar mit „gewerkschaftsfreien Zonen“ um Investoren geworben. „Wenn dadurch Druck auf die hiesigen Unternehmer ausgeübt wird, ebenfalls die Standards zu senken, ist das nicht nachhaltig“, sagte Payandeh.

Einer Umfrage unter 2.500 mittelständischen Unternehmen, die international engagiert seien, habe ergeben, dass 60% der Befragten TTIP für wichtig bzw. sogar sehr wichtig halten, sagte Volker Treier, Außenhandelschef beim Deutschen Industrie- und Handelskammertag (DIHK). 75% dieser Unternehmen hätten wiederum angegeben, den größten Vorteil des Abkommens in der gegenseitigen Anerkennung von produktrelevanten Standards zu sehen. Derzeit, so Treier, werde geprüft, wo man auf Doppelzertifizierungen verzichten könne. So könnten Kosten gespart werden, denen kein Nutzen gegenüber stehe.

Das Abkommen sei eine Chance, die nachhaltige Entwicklung voranzubringen, sagte EU-Vertreter Schlegelmilch. „Wir werden die Amerikaner nicht so ohne Weiteres von der Angel lassen, wenn es um die Ratifizierung der bei ihnen umstrittenen Normen geht“, kündigte er an. Auch könnten in der Frage der nachhaltigen Fischerei oder der nachhaltigen Bewirtschaftung der Wälder positive Effekte durch das Abkommen erzielt werden. „Und zwar unter einem starken Input der Zivilgesellschaft“, fügte er hinzu. Was den Investorenschutz angeht, so machte Schlegelmilch deutlich, dass damit die Nachhaltigkeit nicht ausgehebelt werden dürfe. Jürgen Maier vom zivilgesellschaftlichen Bündnis „TTIPunfairHandelbar“ zeigte sich dennoch skeptisch. Wenn von der EU-Kommission zu hören sei, alle Regulierungen, die die Wettbewerbsposition Europas gefährden könnten, müssten auf den Prüfstand, sei sein Vertrauen darauf, dass die europäischen Standards in den Verhandlungen aufrecht erhalten werden, „relativ begrenzt“.

1. Juli 2014

TTIP: EU will weniger Bankenregulierung

Ein neues, aus den TTIP-Verhandlungen (“Transatlantische Handles- und Investitionspartnerschaft“) durchgesickertes Dokument zeigt, wie die EU-Kommission als Interessenvertreterin des Finanzsektors agiert. Setzt sie sich durch, könnten selbst die bescheidenen Reformen, die seit der Finanzkrise eingeführt wurden, zurückgerollt und ein neuer Schub der Deregulierung ausgelöst werden. Während die EU auf der einen Seite die Verhandlungen über das Investor-State-Schlichtungsverfahren ausgesetzt hat, arbeitet sie auf der anderen Seite an einem Plan, der die Regulierung der Finanzmärkte auf beiden Seiten des Atlantiks schwächen würde.

Das jedenfalls ist die Schlussfolgerung des Corporate Europe Observatory (CEO) und der niederländischen Nichtregierungsorganisation SOMO, die den Verhandlungsvorschlag der EU heute veröffentlicht haben. Das Dokument steht am Ende einer langen Auseinandersetzung zwischen den USA und der EU, ob TTIP einen besonderen Mechanismus zur Finanzregulierung enthalten solle. Bislang haben dies die USA abgelehnt, weil sie befürchten, dass damit erreichte Finanzregulierungen in den USA geschwächt und künftige verhindert werden könnten.

CEO und SOMO zufolge dürfte es schwierig warden, ehrgeizige Bestimmungen für den Finanzsektor zu beschließen, wenn dem EU-Vorschlag entsprechend eine “regulatorische Zusammenarbeit” in den TTIP-Vertrag aufgenommen werden würde – also ein Set von Regeln und Verfahren, dass sicherstellen würde, dass Regulierungen der einen Seite nicht „die Marktoperationen der anderen Partei“, einschließlich von Banken beeinträchtigen würde. Auch sieht der Plan vor, gegenseitig die Regulierungen der jeweils anderen Partei anzuerkennen und beispielsweise EU-Banken zu gestatten, in den USA nach EU-Regeln zu operieren. Dies gäbe derjenigen Seite mit den laschesten Regeln jeweils einen Konkurrenzvorteil.

Kein Wunder deshalb, dass die USA dieses Ansinnen bislang ablehnen, haben sie doch nicht nur mehr durchgesetzt, um die Deregulierungswut der Vergangenheit zurückzufahren. Immer mehr gehen sie auch dazu über, mittels ihrer Gerichte durchzusetzen, dass sich EU-Banken und –Finanzfirmen in den USA an US-Recht halten, z.B. bei der Beachtung von Wirtschaftssanktionen.