30. März 2014

Vom Regen in die Traufe? Der Kotau der Ukraine vor dem IWF

Noch keine 24 Stunden im Amt und noch bevor die sog. Fact Finding Mission des IWF das Land betrat, hatte die amtierende neue Regierung der Ukraine den Kotau vor dem Internationalen Währungsfonds vollzogen. Man werde „alle ökonomischen Reformforderungen“ und „alle IWF-Bedingungen“ erfüllen, erklärte der ukrainische Premierminister Arseniy Yatseniuk noch vor der Ankunft der IWF-Delegation. Inzwischen hat die IWF-Mission ihre Arbeit beendet und ein „Rettungspaket“ von 14-18 Mrd. Dollar erarbeitet, das – sofern der IWF-Vorstand Anfang April zustimmt – insgesamt 23 Mrd. Dollar über die nächsten zwei Jahre freimachen soll (darunter Stützungsbeträge aus den USA, der EU und Japan).


Das IWF-Programm kommt in Form eines traditionellen Beistandsabkommens („stand-by arrangement“) und ist die vielleicht heikelste geopolitische Intervention des IWF in den letzten Jahrzehnten. Es springt in die Bresche, nachdem ein Bail-out-Programm Russlands über 15 Mrd. Dollar mit dem Umsturz in Kiew die Grundlage verloren hat. Der gestürzte ukrainische Präsident Yanukovich hatte die jetzt widerstandslos akzeptierten Konditionen des IWF, der sich nicht zum erstenmal in der Ukraine engagiert, abgelehnt und dem russischen Rettungsdeal, der nicht an derartige Bedingungen geknüpft war, den Vorzug gegeben. Wie kurzsichtig und einseitig ein Teil der Bevölkerung diese Zusammenhänge sieht, zeigt sich daran, dass die Annahme des russischen Angebots durch die alte Regierung die Proteste auf dem Maidan noch zusätzlich angestachelt hatte.

Mit dem neuen IWF-Rettungsprogramm könnte die Ukraine jetzt durchaus vom Regen in die Traufe kommen. Es sieht die „Reform“ des Energiesektors vor, will sagen: die Einführung kostendeckender Gaspreise und die Abschaffung der Subventionen für die privaten Haushalte. Der staatliche Gaskonzern Naftogaz hat bereits eine Anhebung der Gaspreise für Privathaushalte zum 1. Mai um 50% angekündigt. Hinzu kommt die bereits erfüllte Bedingung der Freigabe der ukrainischen Währung, die seit Jahresbeginn 30% ihres Werts verloren hat. Und dann erwartet die Ukrainer ein flächendeckendes fiskalisches Austeritätsprogramm. Vor Geschäftsleuten in Kiew tat Yatseniuk überdies kund, man erwäge die Privatisierung von Teilen des Öl- und Gassektors – einer der strategischen Schlüsselsektoren der ukrainischen Ökonomie. Es ist zwar auch wieder (wie bei allen neueren IWF-Programmen) die Rede davon, dass die „verwundbarsten Bevölkerungsgruppen“ geschützt werden sollen, aber dies könnte sich wie so oft als Begleitrhetorik ohne praktische Konsequenzen erweisen.

Die Entscheidung des IWF-Boards im April ist auch ein innerer Balanceakt für den IWF. Einerseits kann das Management darauf verweisen, dass gegenüber der Ukraine im Vergleich zu anderen Programmen keine besonderen Zugeständnisse in puncto Konditionalität gemacht worden sind. Andererseits finden Vertreter des Südens wie der brasilianische Exekutivdirektor Paulo Nogueira Batista, dass ein kleiner Überbrückungskredit besser gewesen wäre und das eigentliche Abkommen nach den Wahlen im Mai mit der legitimen Regierung hätte ausgehandelt werden sollen. Wie dem auch sei: Mit seinem raschen Handeln hat der IWF seinem Motto „We stand ready“ einmal wieder alle Ehre gemacht und sich erneut als finanzieller Arm der westlichen Globalstrategie erwiesen.

27. März 2014

Da waren es nur noch sieben

Jetzt sind die G7 also wieder unter sich. Anfang der Woche suspendierten sie Russland von seiner Mitgliedschaft – wegen der Krimkrise. Man mag das wie Altkanzler Helmut Schmidt bedauern, da damit in einer gefährlichen weltpolitischen Situation ein weiterer Gesprächskanal geschlossen wird. Es entspricht aber den Gepflogenheiten eines Klubs: In einem Klub kann man nicht einfach beitreten, man wird berufen bzw. aufgenommen und – wie sich jetzt zeigt – nach Laune ebenso schnell wieder hinauskomplimentiert. Dies wirft ein bezeichnendes Licht auf ein Gremium, das über Jahrzehnte als Direktorat der Weltwirtschaft galt, und doch nur durch sich selbst legitimiert war.



Russland war nie ein wirklich vollwertiges Mitglied der G8 – in Wirtschafts- und Finanzfragen, die weiterhin unter den G7-Finanzministern besprochen wurden durfte es ohnehin nicht mitreden. Das Hauptmotiv für seine Einbeziehung war die machtpolitische Einhegung der zerfallenden Sowjetunion, deren Untergang zielstrebig angesteuert worden war. G8-Macht Russland? Das war nie mehr als ein symbolisches Trostpflaster für das Roll-back eines Imperiums. Wenn in G8-Kreisen (noch vor dem Ukrainekonflikt) von der „gemeinsamen Wertegemeinschaft“ die Rede war, dann fragte sich schon so mancher Beobachter, wie Russland da hinein passt. Dass die G7 sich erst jetzt mit dieser „Wertegemeinschaft“ ernst machen wollen, enthüllt nachträglich die Doppelmoral, die der G7-Politik immer eigen war.



Für die reale Welt ist die Suspendierung Moskaus kaum von Bedeutung. Längst werden die wesentlichen Fragen in der G20 besprochen. Hier kann Putin nicht so einfach hinausgeworfen werden, ohne das Auseinanderfallen dieses Gremiums zu riskieren. Hier pflegt Russland zudem seine Allianz mit den Schwellenländern, wie sich augenfällig in den BRICS (Brasilien, Russland, Indien, China, Südafrika) zeigt. Von den BRICS war in Bezug auf den Ukrainekonflikt vor allem zurückhaltendes Schweigen zu vernehmen. Es gehört nicht viel Phantasie zu der Vorstellung, dass sich Russland jetzt auf die Festigung solcher Allianzen konzentrieren wird. Um ein kooperatives Miteinander in dieser sich abzeichnenden polyzentrischen Weltordnung zu sichern, dies zeigt sich spätestens jetzt im Angesicht der Ukrainekrise, müsste eigentlich alles getan werden, um einen neuen Kalten Krieg zu verhindern. Leider sieht es nicht danach aus (>>> It’s geopolitics, stupid! Rückfall in Schwarz-Weiß).

18. März 2014

Vor einer neuen globalen Entwicklungsarchitektur?


In dieser Woche findet in Berlin ein weiteres hochrangiges Symposium des Development Cooperation Forum (DCF) der Vereinten Nationen (VN) statt. Es wird das letzte Vorbereitungstreffen für das beim UN-Wirtschafts- und Sozialrat (ECOSOC) angesiedelte DCF sein, das am 10./11. Juli dieses Jahres in New York stattfindet. Das DCF-Symposium soll Inputs für die zentralen Gremien der Post-2015-Debatte liefern, die Open Working Group on Sustainable Development Goals (OWG) und das Intergouvernmental Committee of Experts on Sustainable Development Financing (>>>Wegweiser durch das Dickicht der Post-2015-Debatte). Der Frage, ob das Symposium und das DCF die entwicklungspolitische Debatte wirklich befruchten kann, gehen Heiner Janus, Stephan Klingebiel und Timo Mahn vom Deutschen Institut für Entwicklungspolitik (DIE) in vier Thesen nach:
1. Die frühere Wirksamkeitsagenda der Entwicklungszusammenarbeit ist faktisch kaum noch existent. Seit Verabschiedung der Paris-Erklärung (2005), die gemeinsame Qualitätsstandards für Entwicklungshilfeleistungen der Geber aus dem Kreis der Organisation für europäische wirtschaftliche Zusammenarbeit (Organisation for Economic Co-operation and Development – OECD) festgelegt hat, ist Ernüchterung eingetreten. Einer der Hauptgründe hierfür ist, dass Geber (einschließlich Deutschland) trotz anderslautender Bekundungen und Verpflichtungen ihre Zusagen für wirksamere Entwicklungszusammenarbeit nicht einhalten. Diese Erkenntnis ist nicht neu. Sie wurde schon bei dem letzten hochrangigen Treffen zur Wirksamkeitsagenda Ende 2011 in Busan in Südkorea durch eine einschlägige Evaluierung untermauert. Allerdings hat sich der Trend seitdem verstetigt – und das Thema ist noch stärker in den Hintergrund getreten. Ehemals wichtige Befürworter (etwa Großbritannien) setzen inzwischen andere politische Prioritäten („value for money“) in wichtigen entwicklungspolitischen Diskussionsforen.

2. Die neue globale entwicklungspolitische Architektur muss sich in der Praxis erst noch bewähren. Nach dem Treffen in Busan waren die bestehenden Strukturen grundlegend reformiert worden: Mitte 2012 wurde die Globale Partnerschaft für effektive Entwicklungszusammenarbeit (Global Partnership for Effective Development Cooperation – GPEDC) gegründet. Mitte April 2014 wird man sich erstmals zu einem hochrangigen Treffen in Mexiko versammeln, das ist viel später als ursprünglich geplant – ein Zeichen für die andauernden Meinungsunterschiede der Mitglieder. Welche Dynamik dort entfaltet werden kann, ist weiterhin schwer abschätzbar. Bereits seit 2008 ist das Development Cooperation Forum der VN für den Austausch zwischen Geber-, Partner- und den dynamischen Schwellenländern aktiv. Vor diesem Hintergrund bleibt der Beitrag der GPEDC nebulös. Vor allem Indien, China, Brasilien und Südafrika fühlen sich mit ihren Ansätzen der Süd-Süd-Kooperation unter dem Dach der GPEDC wegen ihres Ursprungs in der OECD nicht zu Hause.

3. Das Nebeneinander verschiedener Diskussionsforen führt zu Verwirrung darüber, wie Entwicklungspolitik zukünftig funktioniert. Die grundlegenden Fragen stehen weiter im Raum: Wären die Vereinten Nationen nicht doch die geeignetere (weil legitimere) Plattform für die Debatte von Zukunftsfragen zur Entwicklungszusammenarbeit? Können die geringe Gestaltungskraft des bisherigen DCF und die letztlich wenig greifbaren Ergebnisse der DCF-Treffen überwunden werden? Diese Fragen in Mexiko und bei dem im Juli 2014 stattfindenden DCF-Hauptreffen zu diskutieren, ist an der Zeit. Dies wird aber von vielen Regierungen bislang tunlichst vermieden. Zu groß sind die politischen Anreize parallele Diskussionen in beiden Plattformen weiterzuführen, um individuelle Gestaltungsmacht zu maximieren. Dies geschieht auf Kosten der Effizienz globaler Entwicklungszusammenarbeit.

4. Die bisherigen Foren müssen ihre Eignung für die Umsetzung der zukünftigen Entwicklungsziele erst noch unter Beweis stellen. Seit Monaten wird mit viel Aufwand daran gearbeitet, eine neue globale Entwicklungsagenda zu entwerfen („Post-2015-Debatte“). Die Debatte ist wichtig, um den mühsamen Prozess eines universellen Konsenses über Entwicklungsziele zu befördern und so beispielsweise Herausforderungen wie globale Nachhaltigkeit und Ungleichheit in politisches Handeln zu integrieren. Unabhängig von der Frage, wie eine solche Agenda künftig aussehen wird, ist die Notwendigkeit groß, Entwicklungsziele auch umsetzen zu können. Im besten Fall wird die künftige Agenda das Verhalten von Ländern hinsichtlich ihrer Entwicklungsstrategien maßgeblich beeinflussen. Gleichzeitig wird der Erfolg ebenfalls davon abhängen, ob die Ziele durch internationale Kooperationsanstrengungen – auch in Form von Entwicklungszusammenarbeit – unterstützt werden.
Natürlich wäre es eine Überforderung, von dem Berliner DCF-Treffen auf alle aufgeworfenen Herausforderungen befriedigende Antworten zu finden. Der Gastgeber Deutschland, die Vereinten Nationen und die eingeladenen Teilnehmenden können aber stärker als bisher die anstehenden Fragen und Lösungsoptionen zunächst einmal benennen. Hierzu gehören eben die raison d’être der GPEDC, ihr Verhältnis zum DCF und die eigentliche Notwendigkeit, beide Foren zusammen zu führen.

17. März 2014

Eurokrise: Geierinvestoren wollen Schadensersatz

Private Investoren und Spekulanten fordern von Griechenland, Spanien und Zypern Kompensationszahlungen in Höhe von über 1,7 Mrd. € - als Schadensersatz für Maßnahmen, die zur Eindämmung der Eurokrise getroffen wurden. Dies geht aus einem neuen Bericht des Transnational Institute (TNI) und des Corporate Europe Observatory (CEO) hervor. Der Bericht mit dem Titel Profiting from Crisis – How corporations and lawyers are scavenging profits from Europe’scrisis countries (“Profitieren von der Krise – Wie Konzerne und Rechtsanwälte aus europäischen Krisenländern Profite herausholen“) lenkt die Aufmerksamkeit auf die ansteigende Welle von Gerichtsverfahren gegen europäische Krisenländer, die dazu führen könnte, dass europäische Steuerzahler für einen zweiten öffentlichen Bailout zur Kasse gebeten werden – diesmal zugunsten spekulativer Investoren.

Der Report argumentiert, dass diese Verfahren zugleich eine lehrreiche Warnung vor den potentiell hohen Kosten des Handelsabkommens zwischen den USA und der EU (TTIP) darstellen, dessen vierte Verhandlungsrunde letzte Woche in Brüssel stattfand. Nach Recherchen der beiden Verfasserinnen, Pia Eberhardt und Cecilia Olivet, nutzen Privatinvestitionen heute schon bestehende Investitionsabkommen, um auf die strapazierten Haushalte europäischer Krisenländer zuzugreifen. Es wäre politischer Irrsinn, den Konzernen unter dem TTIP noch exzessivere Rechte einzuräumen. Für ihren Bericht haben die Autorinnen eine Reihe von Verfahren untersucht, die Investoren derzeit gegen Griechenland, Spanien und Zypern anstrengen. In den meisten Fällen handelt es sich nicht um langfristige Investoren, sondern um solche, die in vollem Bewusstsein der Risiken kurzfristige Krisengewinne realisieren wollten. Sie nutzen die Investitionsabkommen als Vorwand, wenn sich ihre Spekulation nicht auszahlte. Beispielsweise kaufte die slowakische Poštová Bank griechische Schuldtitel, nachdem deren Bonität bereits heruntergestuft worden war, und bekamen hernach ein sehr großzügiges Angebot der Schuldenrestrukturierung. Doch statt dies zu akzeptieren, strebt sie einen wesentlichen besseren Deal an und nutzt dabei das bilaterale Investitionsabkommen zwischen der Slowakei und Griechenland.

Der Report enthüllt auch, wie spekulative Investoren von internationalen Anwaltskanzleien aktiv zu Staat-Investor-Verfahren ermutigt werden. Die Kanzleien profitieren, ob sie die Staaten nun anklagen oder verteidigen, und „erwirtschaften“ erkleckliche Gewinne in diesen Prozessen. Die britische Kanzlei Herbert Smith Freehills beispielsweise wurde beauftragt, Spanien in zwei Fällen zu vertreten und verdiente damit an die 1,6 Mio. €. Derlei und andere Skandalfälle sollten aufhorchen lassen, auch wenn der EU-Handelskommissar de Gucht die Verhandlungen über das Investitionskapitel im TTIP inzwischen auf Eis gelegt hat und Konsultationen durchführen will. Denn es ist keineswegs sicher, ob es sich hierbei um einen echten Rückzug der Kommission oder lediglich um ein PR-Manöver handelt (>>> Der Pseudo-Rückzug der Kommission).

11. März 2014

TTIP: Streit um Streitschlichtung

Der Widerstand gegen TTIP wächst. Vor allem das geplante ISDS-Verfahren (ISDS: „investor-state dispute settlement“) stößt auf zunehmenden Widerspruch, der sich jetzt auch ins konservative Lage hinein ausweitet. So hat in der letzten Woche Daniel Ikenson, der Direktor des Handelsprogramms des rechten Cato-Instituts ein Paper veröffentlicht, in dem er fordert, das Investor-Staat-Streitschlichtungsverfahren komplett aus den TTIP-Verhandlungen herauszunehmen. Es sei weder wesentlich für die Liberalisierung des Handels noch wichtig, um Investorenrechte in den USA und Europa zu sichern, da diese hier bereits einen hinreichenden Schutz genössen. Der Verzicht auf die Verankerung von ISDS im TTIP (und auch in der Transpazifischen Partnerschaft) könnte der Opposition jedoch viel Wind aus den Segeln nehmen (>>> Financial Times, 11.3.2014).

Zeitgleich melden sich jedoch in derselben Ausgabe der FT drei Chefs von Industriellenverbänden aus den USA, Dänemark und Schweden (Peter M. Robinson, Karsten Dybvad und Urban Bäckström) zu Wort, die das ISDS umso verbissener verteidigen. Ein starkes ISDS im TTIP könnte als „globaler Gold-Standard“ dienen, so ihr Argument. Und in dankenswerter Offenheit: „Solch ein Abkommen könnte die Vorlage für künftige Investitionsabkommen mit unseren anderen Haupthandelspartnern in Asien, Südamerika und Afrika werden, wo ISDS-Abkommen wesentlich sind, um Investoren gegen willkürliche Politiken zu schützen…“

Damit bestätigen die Industriellen-Dachverbände nicht zuletzt unsere These, wonach TTIP auch dazu dient, eine neues, strikt an Konzerninteressen ausgerichtetes weltwirtschaftliches Regelwerk aufs Gleis zu setzen, das die Spielräume für eigenständige Entwicklungswege im Süden des Globus weiter verschließt (>>> USA/EU: Die Revanche desNordens). Um noch einmal auf unseren Blog-Eintrag von gestern zurückzukommen: Das Drakula-Prinzip verschärft auch zwischen den kapitalfreundlichen Akteuren die Gegensätze, was nicht schlecht ist: Denn auch das MAI scheiterte nicht nur am zivilgesellschaftlichen Widerstand, sondern daran, dass sich die Phalanx seiner Befürworter ins Nichts auflöste. Manchmal wäre es also doch nicht schlecht, wenn sich die Geschichte einmal wiederholt.

10. März 2014

Drakula-Prinzip gegen TTIP

Seit den Tagen des Multilateralen Investitionsabkommens (MAI) in der zweiten Hälfte der 1990er Jahre (>>> Auf dem Wegzu einer Weltinvestitionsordnung?) stand ein handelspolitisches Projekt nicht mehr unter so starkem Beschuss wie die derzeit angestrebte Transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft (TTIP) zwischen den USA und der EU. Ein wichtiger Faktor, der schließlich das MAI zu Fall brachte, war das von der Zivilgesellschaft bravurös praktizierte Drakula-Prinzip: So wie Drakula kein Licht verträgt, wurde auch das MAI immer unhaltbarer, je mehr Details des geplanten Abkommens ans Tageslicht der Öffentlichkeit kamen.

Es gibt nicht nur zahlreiche inhaltliche Parallelen zwischen dem MAI und TTIP. Besonders augenfällig ist der erneute Versuch, ein internationales Investitionsregime zu etablieren, wonach Investoren ihre Gastländer vor internationalen Tribunalen verklagen können und den transnationalen Konzernen bislang ungekannte Einflussmöglichkeiten auf Gesetzgebungsverfahren (z.B. in der EU) verschafft werden. Es ist gut, dass dieser Aspekt einer Art Grundrechtecharta für Konzerne und Privatinvestoren inzwischen immer stärker in den Vordergrund der Kritik rückt. Denn mit traditioneller Handelspolitik, die den Warenverkehr liberalisieren wollte, hat TTIP nicht mehr viel zu tun (>>> W&E-Dossier: TTIP – Von wegen Freihandel!).

Auch TTIP, das bislang weitgehend hinter verschlossenen Türen verhandelt wurde, könnte durch das Drakula-Prinzip zu Fall gebracht werden. Rechtzeitig vor der heute beginnenden 4. TTIP-Verhandlungsrunde in Brüssel sind jetzt die ersten Verhandlungsdokumente an die Öffentlichkeit gelangt. Erst publizierte Zeit-Online einen Verhandlungstext, der die Reichweite der neuen Investitionsregeln verdeutlichte. Jetzt haben grüne Angeordnete im Europa-Parlament und die NGO Powershift eine Transparenzinitiative gestartet, die die Leitlinien für die Verhandlungen über TTIP offenlegt. Jetzt kann sich endlich jeder ein Bild davon machen, was unter dem neuen Handels- und Investitionsabkommen im Einzelnen vorgesehen ist. Ob das lichtscheue TTIP-Monster auch ohne Geheimniskrämerei überleben kann und wenn ja, in welcher Form, wird sich in den nächsten Wochen und Monaten zeigen.

6. März 2014

Konfliktrohstoffe: EU-Kommission kneift vor Wirtschaftslobby

Auf massive Kritik ist der gestern vorgelegte Gesetzentwurf der EU-Kommission gestoßen, der eine verantwortungsvolle Beschaffung von Rohstoffen aus Konfliktgebieten sicherstellen soll. Mit dem Gesetzesvorschlag wollte die Kommission eigentlich verhindern, dass europäische Unternehmen künftig mit dem Einkauf von Rohstoffen Konflikte oder Menschenrechtsverletzungen finanzieren. Doch statt verbindliche Rahmenbedingungen festzulegen, hat die EU-Kommission lediglich freiwillige Maßnahmen angekündigt. „Die EU-Kommission kneift vor der Unternehmenslobby“, sagte Cornelia Heydenreich von der Entwicklungs- und Umweltorganisation Germanwatch.


Europäische Unternehmen werden nach diesem Entwurf nicht zur Überprüfung ihrer Lieferketten verpflichtet. Damit bleibt der Gesetzentwurf weit hinter den Erwartungen vieler Entwicklungs- und Menschenrechtsorganisationen zurück. Die EU hätte mit der Gesetzesinitiative wesentliche Sorgfaltspflichten von Unternehmen in ihren globalen Lieferketten verbindlich festschreiben können. Auch der ehemalige UN-Sonderbeauftragte für Wirtschaft und Menschenrechte sowie Autor der UN-Leitprinzipien, John Ruggie, hatte in einem Schreiben an EU-Kommissionspräsident Barroso gewarnt, dass eine freiwillige Regelung bei den am wenigsten verantwortungsvollen Unternehmen zu einem Weitermachen wie bisher führen werde. Das EU-Parlament hatte sich bereits am 19. Februar in einem Bericht für eine verbindliche Sorgfaltspflicht mit klaren Sanktionsmechanismen im Falle von Verstößen durch die Unternehmen ausgesprochen.

Als Konfliktrohstoffe werden zum Beispiel Gold, Zinn oder Tantal verstanden, deren Abbau und Handel unter anderem in der Demokratischen Republik Kongo einen gewaltsamen Krieg angeheizt haben. Aber auch beim Abbau anderer Metalle wie etwa Kupfer aus Peru kommt es zu gravierenden Menschenrechtsverletzungen, wie die gewalttätigen Repressionen bei Protesten gegen die Tintaya-Mine 2012 zeigten. Probleme treten auch in weiteren Regionen wie Kolumbien oder Simbabwe auf. Die abgebauten Metalle werden unter anderem in der Elektronikindustrie verarbeitet und landen in Mobiltelefonen und in der Elektronik von Autos.

5. März 2014

Ungleichheit: Topthema ohne Konsequenzen?

In ihrem BuchDie Superreichen“ bemerkt Chrystia Freeland, dass die Wohlhabenden durchaus gerne über die Armut reden und wie man sie lindern kann. Kommt die Sprache jedoch auf das Thema Ungleichheit, blocken sie ab – zu naheliegend ist es, Armut und Reichtum in Verbindung zu setzen oder daraus gar die Forderung nach Umverteilung abzuleiten. Diese paradoxe Tabuisierung eines Zusammenhangs scheint derzeit Löcher zu bekommen. Die Ungleichheit ist dabei, zu einem Topthema auf der internationalen Agenda zu werden – seit Beginn dieses Jahres mit wachsender Geschwindigkeit, so scheint es.


Erst proklamierte das Weltwirtschaftsforum in Davos in seinem diesjährigen Global Risk Report die wachsende Einkommensungleichheit als eines der gefährlichsten Risiken in der Welt. Die internationale Entwicklungsorganisation Oxfam zog sogleich mit einem Bericht nach, der herausstellt, dass das reichste eine Prozent der Weltbevölkerung fast die Hälfte des globalen Reichtums hält, während sich die restlichen 99 Prozent die andere Hälfte teilen müssen (>>> W&E-Hintergrund Februar 2014: Ökonomie und Politik der globalen Ungleichheit; s. Abb.). Den dritten Akkord setzte sodann das UN-Entwicklungsprogramm (UNDP) mit einem Report „Humanity Divided: Confronting Inequalität in Developing Countries. Zwischen 1990 und 2010 wuchs die Einkommensungleichheit in den Entwicklungsländern im Schnitt um 11%, erfährt man dort.

In der letzten Woche ist nun auch der Internationale Währungsfonds (IWF) mit einem 30-seitigen Papier (>>> Redstribution, Inequality, and Growth) in die Debatte eingestiegen. Danach ist das alte Dogma, wonach hohe Steuern und Transfers das Wachstum abwürgen, unbegründet. Im Gegenteil: Länder mit weniger Ungleichheit weisen im Allgemeinen sogar höhere Wachstumsraten auf, während hohe Ungleichheit zu abnehmendem Wachstum führt – eine Korrelation, die durch die Jahrzehnte der neoliberalen Offensive, während der die Ungleichheit auf neue Rekordhöhen stieg, das Wachstum aber deutlich hinter dem des „Goldenen Zeitalters“ der Nachkriegsphase zurück blieb, bestätigt wird. Insgesamt meinen die IWF-Autoren, dass auch die direkten und indirekten Effekte von Umverteilungspolitiken sich im Schnitt positiv auf das Wachstum auswirken.

Wer nun aber gedacht hätte, derlei Erkenntnisse würden den IWF zu einer Politikänderung bewegen, sieht sich getäuscht: Aus ihrer Studie ergäben sich „keine direkten Implikationen für die Politikberatung des Fonds“, beeilte sich Ko-Autor Jonathan D. Ostry zu versichern. Man solle das „nicht als Werbung für oder gegen“ eine besondere Politik verstehen. Da ist die Internationale Arbeitsorganisation (ILO) schon deutlicher: Ungleichheit sei nicht unvermeidlich, lautet die Hauptthese eines neuen ILO-Buches (>>> Wage-led growth: An equitablestrategy for economic recovery). Will sagen: Eine aktivere Lohnpolitik bzw. eine auf die Steigerung der Masseneinkommen zielende Wachstumsstrategie könnte die wirtschaftliche Erholung von der Krise befördern und zugleich die Umverteilungsexzesse der letzten Jahrzehnte im Sinne größerer sozialer Gerechtigkeit korrigieren.