6. Dezember 2013

Die WTO liefert in Bali, doch Bedenken bleiben

Gastblog von Tobias Reichert, z.Zt. Bali 

● Indien erreicht Minimallösung 

Der Abschluss des Bali-Pakets erscheint nun in Reichweite: Nach intensiven Verhandlungen legte WTO-Generaldirektor Azevedo heute abend Kompromisstexte zu allen Themen vor. Wie erwartet, war die Friedensklausel für öffentliche Ernährungssicherheits- und Lagerhaltungsprogramme zu staatlich administrierten Preisen der am heftigsten umstrittene Punkt. Indien konnte hier durchsetzen, dass die Friedensklausel als echte Interimslösung so lange in Kraft bleibt, bis eine dauerhafte Lösung durch eine Anpassung des Agrarabkommens beschlossen ist, was innerhalb von vier Jahren geschehen soll. Damit können andere WTO-Mitglieder kein Streitschlichtungsverfahren beginnen, falls Indien seine Ausgaben für sein Ernährungssicherheitsprogramm über die tolerierte Obergrenze anhebt.

Um dies zu erreichen, musste Indien allerdings sehr weit gehende Einschränkungen akzeptieren. Die Friedensklausel ist auf traditionelle Grundnahrungsmittel begrenzt, und gilt nur für Programme, die jetzt schon in Kraft sind. Damit können andere Länder keine Programme nach dem indischen Vorbild neu auflegen, wenn diese die Obergrenzen überschreiten.

Organisationen wie die indische „Right to Food Campaign“ kritisieren dies heftig.  Mindestens ebenso bedeutend ist für sie, dass Indien selbst nicht neue Nahrungsmittel in sein Programm aufnehmen darf, da dies wahrscheinlich als neue Maßnahme angesehen würde. Zivilgesellschaftliche Gruppen fordern aber gerade, dass nicht nur eine ausreichende Kalorienversorgung mit Weizen, Reis und Hirse gefördert werden soll. Vielmehr geht es auch um eine ausgewogene Ernährung mit nährstoffreicheren Linsen, Milch oder Obst.

Schließlich müssen Länder, die die Friedensklausel in Anspruch nehmen wollen, jedes Jahr bei der WTO Informationen darüber hinterlegen, welche Produkten, zu welchen Mengen und Preisen an- und verkauft werden, und wie die Preise berechnet wurden, wie die Lagerbestände sich verändert, und wie viel von dem jeweiligen Produkt im- und exportiert wurde. 

● Keine Begrenzung der Exportsubventionen – unverbindliche Versprechungen für die am wenigsten entwickelten Länder (LDCs) 

Der Aufwand, den Indien betreiben muss, um Programme für Ernährungssicherheit und Kleinbauern abzusichern, die den Handel verzerren könnten, kontrastiert mit dem auch nach Bali uneingeschränkten Recht der großen Industriestaaten, die entwicklungs- und handelspolitisch besonders schädlichen Exportsubventionen einzusetzen. Schon in Genf hatten EU und USA den Versuch der G20 blockiert, in Bali zumindest eine Verringerung der Obergrenzen festzulegen. Stattdessen wurde eine wortreiche Erklärung über die äußerste Zurückhaltung bei der Gewährung der Exportsubventionen verabschiedet, die mit dem Satz endet, dass die Rechte und Verpflichtungen der Mitglieder unverändert bleiben. Damit können sie selbst entscheiden, ob sie sich daran halten oder nicht.

Ähnlich vage bleiben die Erklärungen zu den Anliegen der LDCs – in denen die Industriestaaten nicht einklagbare Versprechen machen. Besonders peinlich ist der Text zu Baumwolle, in dem bedauert wird, dass der 2005 (unverbindlich) vereinbarte schnellstmögliche Abbau der Subventionen der Industrieländer für den Sektor leider nicht umgesetzt wurde. Ein neues Komitee soll die Situation jetzt alle zwei (!) Jahre neu beraten – was darauf hinweist, dass die Subventionen noch eine Weile bestehen bleiben werden. 

● Administrative Handelserleichterungen abhängig von Kapazität 

Beim handelspolitisch relevantesten Thema, dem neuen Abkommen zu administrativen Handelserleichterungen, konnten die Entwicklungsländer das Prinzip durchsetzen, dass sie nur Bestimmungen des Abkommens umsetzen müssen, für die sie ausreichende Kapazitäten haben. Ob dies der Fall ist, entscheidet aber letztlich ein Komitee der WTO-Mitglieder, ob dies immer zu den richtigen Entscheidungen kommt, bleibt abzuwarten. Die Versprechen der Industriestaaten auf Unterstützung bleiben auch zu dem Thema vage. 

● Doha-Runde vorerst gerettet 

Mit dem Bali-Paket hat sich die WTO, wenn auch zaghaft, als Forum für die Gestaltung internationaler Handelsregeln zurückgemeldet. Es wurde aber wieder deutlich, dass Fragen der Nachhaltigkeit wie Ernährungssicherheit und effektive Unterstützung der Entwicklungsländer nur unter größten Schwierigkeiten durchzusetzen sind. Die USA haben erst in letzter Minute beschlossen, Freihandelsprinzipien hinter diesen Zielen zurück stehen zu lassen. Für die angestrebte dauerhafte Regelung lässt diese harte Haltung nichts Gutes erwarten. Damit droht die Gefahr, dass die eng auf die indische Situation zugeschnittene Friedensklausel lange erhalten bleibt.

Nach dem Willen der Minister sollen die Themen der Doha- Runde nun anscheinend weiter in kleineren Paketen angegangen werden. Die Vertreter in Genf werden beauftragt, im nächsten Jahr einen Arbeitsplan für weitere Verhandlungen zu beschließen, mit den Schwerpunkten Landwirtschaft, Entwicklung/LDCs und „aller anderen Themen, die für den Abschluss der Runde zentral sind“. 

● Demokratie als Gefahr für die Handelsdiplomatie 

In Bali hatten alle maßgeblichen Länder eine Einigung angestrebt, um die Rolle der WTO wieder zu stabilisieren. Die verhandelten Themen verlangen – anders als die ausgeklammerten Marktzugangs- und Subventionsthemen – in keinem Land große Veränderungen, und galten deswegen eigentlich als wenig kontrovers. Dass es doch noch fast zu einem Scheitern kam, lag weniger an den Regierungen, als an der aktiven Rolle der Zivilgesellschaft in Indien, deren Einfluss durch die bevorstehenden Wahlen noch verstärkt wird.

Das neue indische Ernährungssicherheitsgesetz, um das sich der Hauptkonflikt drehte, ist ein Ergebnis der Forderungen von Bewegungen wie der „Right to Food Campaign“ und wichtigen indischen Bauernverbänden – auch wenn es deren Forderungen nicht komplett widerspiegelt. Als die indische Regierung schon in Genf einem Kompromiss zugestimmt hatte, dies mit einer auf vier Jahre angelegten Friedensklausel vor Klagen zu schützen, brach in Indien ein Sturm der Entrüstung los. Dieser zwang den indischen Handelsminister zu seiner Kehrtwende. Die in der Handelspolitik übliche Reaktion, vor allem von USA und EU, erst einmal kräftig Druck auf Indien auszuüben, hätte dann fast zum Scheitern Verhandlungen geführt.

Irritiert von dem abrupten Kurswechsel zeigten sich allerdings auch einige Verbündete Indiens in der Gruppe der Entwicklungsländer mit überwiegend kleinbäuerlicher Landwirtschaft (G33). Die indische Delegation hatte es versäumt, sie über die neue Linie vorab zu informieren. Trotz der Verstimmungen ist es unwahrscheinlich, dass die Arbeit der Gruppe mit strategisch ähnlichen Interessen langfristig leidet.

Die WTO hat mit dem knapp erzielten Erfolg in Bali wieder etwas an Statur gewonnen und will dies nun wiederholen. Wenn die Anliegen und Forderungen der Zivilgesellschaft vor allem in Entwicklungsländern weiter nur in Ausnahmefällen berücksichtigt werden, ist der Erfolg dieses Vorhabens weiter unsicher. 

* Die Beschlüsse zum Bali-Paket finden sich im Wortlaut >>> hier.

WTO in Bali: Letzter Anlauf - Anscheinend Einigung zwischen Indien und USA

Gastblog von Tobias Reichert, z.Zt. Bali 


Der indische Handelsminister Sharma und dem US-Handelsbeauftragten Froman konnten unbestätigten Meldungen zu Folge nach mehrstündigen bilateralen Verhandlungen in der letzten Nacht und am heutigen Tag eine Einigung erzielen. Wie der Kompromiss zwischen den USA, die nur eine zeitlich befristete Friedensklausel für Ernährungssicherheitsprogramme akzeptieren wollen, und Indien, das auf einer Interimslösung besteht, die in Kraft bleibt, bis eine dauerhafte Änderung des Landwirtschaftsabkommens der WTO beschlossen ist, aussieht, ist noch nicht bekannt. Bislang scheinen andere Länder – zu hören ist von Pakistan - noch Probleme mit dem Text zu haben. Wenn diese in den nächsten Stunden ausgeräumt werden können, ist ein Abschluss erzielt. Die Streitpunkte zum neuen Abkommen zu administrativen Handelserleichterungen sollen schon im Laufe der Nacht ausgeräumt worden sein.

5. Dezember 2013

Einigung in Bali in der Schwebe

Gastblog von Tobias Reichert, z.Zt. Bali
 
Bei den Konflikten während der WTO-Ministerkonferenz in Bali zeichnete sich auch kurz nach Mitternacht zu Freitag keine Lösung ab. Der indische Handelsminister Sharma machte auf einer Pressekonferenz noch einmal klar, dass Indien kein Abkommen akzeptieren kann, das keine dauerhafte Rechtssicherheit für sein Ernährungssicherheitsprogramm ermöglicht. Es dürften nicht die Armen sein, die für die Rettung des multilateralen Handelssystems „bezahlen“. Gleichzeitig sind die USA und einige Entwicklungsländer wie Pakistan, Thailand und Vietnam weiter nicht bereit, einer „Friedensklausel“ zuzustimmen, die in Kraft bleibt, bis eine permanente Lösung gefunden ist.

Auch in den Verhandlungen über technische Handelserleichterungen gibt es noch Streitpunkte, bei denen sich die Positionen nicht angenähert haben. Schließlich zeigen sich viele Entwicklungsländer mit der „Lösung“ unzufrieden, dass die Mitgliedsstaaten eine unverbindliche Absichtserklärung abgeben, Exportsubventionen nur zurückhaltend einzusetzen.

Gleichwohl gibt es in den Korridoren des Konferenzzentrums seit heute Nachmittag Gerüchte, dass es noch im Laufe des Abends eine Lösung geben könne. In alter WTO-Tradition könnte die Entscheidung über die umstrittenen Themen zurück nach Genf verschoben werden. Die Minister in Bali würden dann nur eine politische Erklärung verabschieden, während der Verhandlungszirkus weniger spektakulär in Genf weiterginge.

3. Dezember 2013

Indische Regierung in Bali von allen Seiten unter Druck

Gastblog von Tobias Reichert*), z.Zt. Bali 

Die 9. Ministerkonferenz der WTO wurde heute vom Vorsitzenden, dem indonesischen Handelsminister Gita Wirjawan, offiziell zur Verhandlungssitzung erklärt. Damit wird es neben den vorbereiteten Erklärungen der Minister auch Verhandlungssitzungen geben. Wichtigster Streitpunkt bleibt die Frage, wie weit die Flexibilität für Entwicklungsländer erweitert wird, Lebensmittel für öffentliche Lagerhaltung und Programme der Ernährungssicherheit zu staatlich festgelegten Preisen anzukaufen. Die vom indischen Parlament im Sommer beschlossene Ausweitung des Verkaufs von subventioniertem Getreide auf 800 Millionen Menschen, könnte dazu führen, dass die derzeit gültige Obergrenze dafür verletzt wird.

Gemeinsam mit der Gruppe von 33 Entwicklungsländern mit kleinbäuerlicher Landwirtschaft (G33) hatte Indien schon im Frühjahr dieses Jahres gefordert, das Agrarabkommen an diesem Punkt zu verändern. Der Vorschlag basierte dabei auf dem konsolidierten Verhandlungstext der Doha-Runde, der 2008 aus anderen Gründen gescheitert war. Da vor allem die USA zu einer Regeländerung im Rahmen des Bali-Pakets nicht bereit waren, wurde in Genf eine auf vier Jahre befristete „Friedensklausel“ vorgeschlagen, mit der sich die WTO-Mitglieder verpflichten sollten, kein WTO-Verfahren anzustrengen, auch wenn sie die Verletzung von WTO-Regeln durch ein Programm der Ernährungssicherung eines anderen Lands vermuten. In dieser Zeit solle eine dauerhafte Lösung verhandelt werden.

Bauernverbände, darunter der größte Indiens, Vertreter der Zivilgesellschaft und die größte Oppositionspartei laufen gegen eine zeitlich befristete Lösung Sturm. Sie befürchten, dass das indische Programm nach Ablauf der Frist wieder in Frage gestellt wird. Bei der bisherigen Geschwindigkeit der Entscheidungsfindung in der WTO ist alles andere als sicher, dass in vier Jahren eine dauerhafte Lösung vereinbart werden kann. Gleichzeitig versuchen der WTO-Generaldirektor und die Industriestaaten, die indische Regierung zu isolieren. Noch vor dem offiziellen Beginn fand ein Treffen aller Verhandlungsführer statt, bei dem vor allem die Vertreter von LDCs und afrikanischen Staaten ihr Interesse am Abschluss des Bali-Pakets äußern sollten, das ihnen gerade mit versprechen auf mehr Unterstutzung zur Umsetzung des neuen Abkommens zu Trade Facilitation versüßt wurde. Es hilft der indischen Position sicher auch nicht, dass der Koordinator der G33, sein natürlicher Verbündeter bei dem Thema, derzeit Indonesien heißt, und damit als Gastgeber an einem Abschluss in Bali interessiert ist.

Druck kommt auch von der Financial Times, deren neuer Handelskorrespondent, Shawn Donnan, den früheren indischen Handelsminister Kamal Nath für das Scheitern vorhergehender Einigungsversuche 2008 in Genf und 2005 in Hongkong allein verantwortlich macht. In Hongkong wurde übrigens gar kein Abschluss der Doha Runde angestrebt, sondern einstimmig eine Ministerklärung mit Zwischenergebnissen verabschiedet, und 2008 lehnten die USA eine von EU und Indien verhandelte Kompromissformel ab. Donnan unterstellt dem neuen indischen Handelsminister Anand Sharma nun, aus Profilierungs- und Wahlkampfgründen auch das Bali-Paket scheitern zu lassen.

Im Anschluss an die Eröffnungszeremonie protestierten im Konferenzgebäude die anwesenden Vertreter von indischen Bauernverbänden und NGOs spontan für eine dauerhafte Lösung des Ernährungssicherheitsproblems und gegen eine zeitlich begrenzte Friedensklausel. – Ein Kompromiss zeichnet sich noch nicht ab. Ob die Strategie, Indien in die Ecke zu drängen, dabei hilft, kann bezweifelt werden. 

*) Tobias Reichert ist Teamleiter bei Germanwatch für Welternährung, Landnutzung und Handel. 

Nachsatz: Unterdessen hat der UN-Sonderberichterstatter für das Recht auf Nahrung, Olivier De Schutter, erklärt, das Bali-Paket müsse den Entwicklungsländern eine ehrgeizige Politik der Ernährungssicherung gestatten.

WTO: Es wird noch mal spannend in Bali

Gastblog von Tobias Reichert*), z.Zt. Bali 

Am Vorabend der 9. Ministerkonferenz der WTO in Bali ähnelt die Stimmung wieder ein wenig der der Nuller Jahre: Die Delegationen haben Ihr Ziel verfehlt, schon im Vorfeld des Ministertreffens zu einer Einigung zu kommen. Die Minister stehen damit vor intensiven Verhandlungen: Entweder müssen sie eine ganze Reihe von zum Teil sehr technischen Streitfragen lösen – oder die Konferenz wird ohne Ergebnis enden (>>> Comeback der WTO in Bali… oder Überlebenssicherung durch Resteverwertung?).

Dabei hatten der neue WTO-Generaldirektor Azevêdo und sein Vorgänger Lamy versucht, genau dieses Szenario zu verhindern. Das „Bali-Paket“ besteht aus ausgewählten Aspekten des Doha-Mandats, von denen vermutet wurde, dass eine Einigung relativ einfach wäre. Azevêdo koordinierte vor dem Gipfel intensive Verhandlungen in Genf, und erklärte, dass in Bali selbst keine Verhandlungen mehr statt finden würden. Auch als in der letzten Woche keine Einigung erzielt wurde, ließ er zunächst offen, was in Bali geschehen solle.

Direkt nach der Ankunft, ließ er sich dann von einer Reihe von Ländern „bitten“, doch noch einen Anlauf zum Abschluss in Bali zu machen. Eine Reihe von Industriestaaten und Entwicklungsländer-Koalitionen veröffentlichten eine entsprechende Erklärung. Interessanterweise fehlen mit den USA, der EU, China, Indien und Brasilien die mächtigsten Mitglieder als Unterzeichner. Damit soll vermutlich das Argument betont werden, dass vor allem kleinere Länder von multilateralen Regeln profitieren. Die Gruppe der großen Schwellen- und Entwicklungsländer (G20) in der WTO unter Führung von Brasilien und Indien, rief in einem später veröffentlichten Kommunique ebenfalls zu „konstruktivem Engagement“ bei der Ministerkonferenz auf.

Soll der Zeitplan eingehalten werden, stehen den Ministern nicht einmal zwei Tage zwischen Eröffnung und Ende der Konferenz für Verhandlungen zur Verfügung. Die Möglichkeiten, neue Ideen zu entwickeln und durchzusetzen, sind daher begrenzt. Eine Einigung ist wegen der überschaubaren Anzahl der Themen gleichwohl nicht ausgeschlossen. Eine zentrale Voraussetzung wird dafür sein, dass sich die Industrieländer dazu durchringen können, bei entwicklungsrelevanten Forderungen wie größerer Flexibilität bei Programmen der Ernährungssicherheit und beim Abbau der Exportsubventionen noch einmal nachzulegen.

*) Tobias Reichert ist Teamleiter bei Germanwatch für Welternährung, Landnutzung und Handel.

26. November 2013

Luxemburg am Pranger

Luxemburg steht erneut am Pranger. Zusammen mit Zypern, den britischen Virgin Islands und den Seychellen fand es sich auf dem Global Forum on Transparency and Exchange of Information for Tax Purposes in der letzten Woche in einer Gruppe von Jurisdiktionen wieder, die gegen die internationalen Transparenz-Standards in Steuerfragen verstoßen. Dies geht aus dem neuesten Tax Transparency Report hervor, der dem Treffen in Jakarta, an dem 80 Staaten teilnahmen, vorlag. Die vier Länder, so heißt es darin, verfügten über ausreichend robuste Gesetzgebungen, um den internationalen Transparenz-Standards nachzukommen, hätten aber zu wenig getan, um sie in die Praxis umzusetzen.

Luxemburgs Erscheinen in der Liste ist ein besonders schwerer Schlag, hat doch die Regierung seit dem Frühjahr immer wieder beteuert, das Steuergeheimnis zu lockern und andere Reformen am Finanzplatz durchzuführen. Der neue Bericht kritisiert das Großherzogtum, die ihm zur Verfügung stehenden Informationen und Durchsetzungsinstrumente nicht „in allen Fällen“ effektiv zu nutzen bzw. zur Verfügung zu stellen. Besonders gravierend scheint, dass – dem Bericht zufolge – in Bezug auf die Transparenz der Eigentümerschaft von Finanzfirmen, Holdings etc. bis heute nicht einmal eine adäquate Gesetzgebung in Kraft ist – ein zentraler Grund, warum ausländisches Kapital in der Jurisdiktion versteckt werden kann.

Diesmal ist es also keine Studie im Auftrag der Luxemburger NGOs und kein ominöser Schattenfinanzplatz-Index, auf dem das Großherzogtum zuletzt auf Platz 2 gelandet ist, sondern der Bericht an ein international repräsentatives, von der OECD organisiertes Forum. Doch die herrschende Politik reagiert wie eh und je und streitet einfach alles ab, so der noch amtierende Finanzminister Luc Frieden. Und die sich formierende sog. Gambia-Koalition aus Sozialisten, Liberalen und Grünen? Große Hoffnungen sollte man darauf nicht setzen, sitzen die Lobbyisten des Finanzplatzes und der Fondsindustrie doch höchstpersönlich mit am Verhandlungstisch. Auch bislang schon war für Luxemburgs Sozialisten und Liberale der Finanzplatz eine Heilige Kuh. Und auch den Luxemburger Grünen ist das eigene Hemd näher als der Rock. Oder doch nicht?

22. November 2013

Denk ich an deutsche NGOs in der Nacht

... bin ich um den Schlaf gebracht. Auf den Walk-out der Entwicklungsländer aus den Verhandlungen über „Loss and Damage“ in der Nacht auf Mittwoch folgte der Auszug der NGOs aus der Warschauer Klimakonferenz am Donnerstag (s. Foto). Dabei waren rund 800 Organisationen, u.a. Friends of the Earth International, Greenpeace International, WWF, Oxfam International, der Internationale Gewerkschaftsbund (IGB bzw. ITUC), ActionAid, die Pan African Climate Justice Alliance, LDC Watch, die Philippinische Bewegung gegen Klimawandel und die Bolivianische Plattform gegen den Klimawandel – eine bemerkenswerte Konstellation also, keineswegs nur „Radikale“, sondern auch „Gemäßigte“, bei denen der Boykott internationaler Konferenzen sonst nicht so an der Tagesordnung ist.

Doch drei deutsche NGOs – Germanwatch, Brot für die Welt und Misereor – wollten „weiterverhandeln“ und erklärten vollmundig: „Wir werden versuchen, diesen Druck innerhalb der Verhandlungen in konstruktive Dynamik umzuwandeln. Die NGOs drinnen und draußen eint das Ziel, den Verhandlungsprozess zu stützen, um ein ambitioniertes Klimaabkommen 2015 zu erreichen.“ Und: „Die drei Organisationen wollen als Beobachtungsorganisation den Rückenwind dieser Aktion nutzen, um den Entscheidungsträgern bis zur letzten Minute auf die zu Finger schauen und die konstruktiven Kräfte im Verhandlungsprozess zu unterstützen.“

Dabei existiert eine solchermaßen verabredete Arbeitsteilung zwischen „drinnen und draußen“ gar nicht. Und die zentrale Begründung für den Walk-out bestand ja darin, dass die Konferenz wirklich in der Gefahr steht, buchstäblich nichts zu liefern. Dies bestätigten heute auch die Vertreter der Entwicklungsländer, die den NGO-Walk-out rundheraus begrüßten, so die indische Umweltministerin Jayanthi Natarajan. Sie drückte ihre „tiefe Sorge aus, dass es absolut keinen Fortschritt in einer der Fragen gab, die für die Entwicklungsländer von Interesse sind, wie Finanzierung, Technologie und Loss and Damage… Ich teile die Gefühle der NGOs.“

In der Tat geht es jetzt wieder einmal nur noch darum, einen maroden Prozess irgendwie am Laufen zu halten. Die deutschen NGOs hätten auch erklären können: „Ein paar müssen ja bleiben, um zum Schluss das Licht auszumachen.“

20. November 2013

Klimagipfel: Senkung statt Steigerung der Ambitionen

Selbst notorische Optimisten haben es derzeit schwer. Die 0,7%-Skeptiker fahren ihre Ernte ein: Seit nunmehr zwei, wahrscheinlich bereits drei Jahren befindet sich die Öffentliche Entwicklungshilfe (ODA) der Industriestaaten erneut im Sinkflug, nominell wie real. Dabei wären angesichts des steigenden Finanzierungsbedarfs beim Klimaschutz drastische Steigerungen der Transferzahlungen von Nord nach Süd notwendig. Doch auch die Klimakonferenz, die derzeit in Warschau tagt und die eigentlich einen Prozess zur Steigerung des sog. Ambitionsniveaus anstoßen sollte, läuft im Rückwärtsgang. Dabei ist nicht nur Polen mit seinem unerträglichen Parallelgipfel zu „Klima und Kohle“ das Problem. Die Industrieländer kündigen gleich reihenweise die einmal eingegangenen Verpflichtungen auf:

Japan hatte zugesagt, seine Emissionen bis 2020 um 25% unter das Niveau von 1990 abzusenken. Jetzt will es seine Emissionen bis 2020 um 3% steigern. Als Entschuldigung dient die Schließung von Atomreaktoren nach der Fukushima-Katastrophe, deren Ausfall durch Kohle geschlossen werden soll. Dabei ist die Aufkündigung der im Kyoto-Protokoll hinterlegten Reduktionspflichten ein glatter Völkerrechtsbruch.

Australien sagte zu, es würde seine Emissionen bis 2020 um 25% gegenüber dem Niveau von 2000 verringern, wenn Länder wie Indien und China Minderungsverpflichtungen übernehmen. Doch jetzt will das Land seine Emissionen nur um 5% reduzieren.

● Auch die Europäische Union, der sog. Vorreiter in der internationalen Klimapolitik, geht nun hinter seine Verpflichtungen aus der Vergangenheit zurück. Unter dem Cancun-Abkommen hatte die EU zugesagt, ihre Emissionen bis 2020 um 20-30% unter das Niveau von 1990 zurückzufahren. Obwohl sie das Ziel von 20% bereits erreicht hat, ist sie nicht bereit, ihre Ambition zu steigern. Tatsächlich gibt es Anzeichen dafür, dass auch Deutschland plant, sein Ambitionsniveau und seine Energiewende abzuschwächen.

● Und die USA haben wie üblich entschieden, nicht viel zu tun und ihr Reduktionsziel bei 0-3% zu belassen.

Kein Wunder, dass die Entwicklungsländer angesichts dieses Roll-backs der Industrieländer ihre Gangart in Warschau deutlich verschärft haben. In der Nacht zu Mittwoch haben die Entwicklungsländer frustriert den zähen Verhandlungsmarathon über die künftige Bewältigung von Klimaschäden – in der Verhandlungssprache „loss and damage“ – abgebrochen.  Die Gruppe der G77 und China verließen zusammen mit den kleinen Inselstaaten (AOSIS), den am wenigsten entwickelten Ländern (LDC) und den afrikanischen Staaten (African Group) den Verhandlungsraum. Sie protestieren damit gegen die kompromisslose und ablehnende Haltung einiger Industriestaaten, allen voran Australien, Kanada und Japan, die mit allen Mitteln die Vereinbarung über einen eigenständigen internationalen Mechanismus zu „loss and damage“ verhindern wollen. 

Lesen Sie auch:


13. November 2013

Krugman: Komplott gegen Frankreich

Seit geraumer Zeit beobachte ich, wie eine bestimmte Journaille und bezahlte „Wirtschaftsexperten“ versuchen, die Ökonomie meines geliebten Frankreichs schlecht zu schreiben. Nach dem inzwischen gängigen Bild des Mainstreams liegt Frankreich wirtschaftlich am Boden, während der Exportweltmeister Deutschland in neuem Glanz erstrahlt. Ich habe mich in diesem Jahr zweimal für etwas längere Zeit in Frankreich aufgehalten, im Frühjahr in der Provence und im Sommer in Burgund, und kann dieses Zerrbild aus eigener Sicht in keiner Weise bestätigen. Dennoch fahren der Großteil der Medien und gewisse Institutionen, allen voran die berüchtigten Rating-Agenturen, fort, unsere Nachbarland in die Krise zu drängen, so Ende letzter Woche Standard & Poor’s mit seiner Herabstufung Frankreich auf AA.


Für den Wirtschaftsnobelpreisträger Paul Krugman (s. Foto) war das jetzt Anlass genug, von einem „Komplott gegen Frankreich“ zu sprechen – nicht im wortwörtlichen Sinne, aber es gäbe tatsächlich eine „Reihe von Leuten, die das Land schlechtmachen wollen“. Krugman entlarvt das Frankreich-Bashing als politisch-ideologisches Manöver, das mit der wirtschaftlichen Realität und den realen Problemen des Landes (die es natürlich gibt) wenig zu tun hat, wohl aber damit, dass sich Paris (obwohl die Regierung Hollande viele Fehler macht, wie sie für eine sozialdemokratische Regierung typisch sind) bis dato verweigert, die in vielen europäischen Ländern praktizierte Austeritätspolitik (>>> Folgen der Austeritätspolitik in Europa: Die Armut kehrt zurück) umstandslos mitzumachen.

„The Plot Against France“ überschreibt Krugman seine jüngste Kolumne in der New York Times, die >>> hier im Original und >>> hier in deutscher Übersetzung nachzulesen ist. Viel Material zur jüngsten wirtschaftlichen Entwicklung Frankreichs hat Krugman übrigens auch in seinem Blog (>>> The Conscience of a Liberal) zusammengetragen. – Absolut lesenswert sind auch – gleichsam als Gegengewicht zu den Selbstpreisungen Deutschlands – die beiden jüngsten Analysen von Martin Wolf in der Financial Times, einmal zum Streit um die deutschen Leistungsbilanzüberschüsse (>>> hier; in deutsch >>> hier), zum anderen zum Streit um die jüngste Zinssenkung der EZB (>>>hier).

11. November 2013

UNESCO-Krise: US-Boykott und deutsches Phlegma

Derzeit findet (noch bis zum 20. November) die 37. Generalkonferenz der Organisation der Vereinten Nationen für Bildung, Wissenschaft und Kultur (UNESCO) in Paris statt. Die Generalkonferenz der 195 Mitgliedstaaten, die alle zwei Jahre zusammentritt, verabschiedet das Programm und den Haushalt der Organisation für die kommenden zwei Jahre. Zudem wählt sie die neuen Mitglieder des UNESCO-Exekutivrats. In diesem Jahr steht die UNESCO durch die fortgesetzte Weigerung der USA, ihren Pflichtbeitrag zu entrichten, vor besonders großen Herausforderungen.


Seit der Aufnahme Palästinas am 31. Oktober 2011 in die UNESCO verhindern innerstaatliche Festlegungen die US-Regierung daran, ihren über 20%igen Anteil am Haushalt beizutragen. Die Folge ist eine schwere Finanzkrise, die bereits dazu geführt hat, dass die UNESCO ihre Programmaktivitäten um die Hälfte reduzieren musste; Personal konnte nicht so schnell entlassen werden, wie das Budget zusammengeschmolzen ist. Selbst der absehbare Verlust des Stimmrechts in der Generalkonferenz beeinflusst die Haltung der USA nicht.

Anstatt zu beraten, wie die UNESCO als Motor für grenzüberschreitende Anliegen, wie die Bewahrung des Weltkulturerbes, die Friedens- und Menschenrechtsbildung in UNESCO-Projektschulen oder auch Alphabetisierungskampagnen, erhalten werden können, wird das Problem totgeschwiegen – leider auch von der UNESCO-Generaldirektorin, Irina Bokova, die sich um ihre Wiederwahl sorgt.

Auch hinsichtlich deutscher oder europäischer Konzepte für einen Erhalt der weltumspannenden Kultur-, Bildungs- und Wissenschaftsorganisation ist nur „Fehlanzeige“ zu vermelden. Weder die Bundesregierung noch die 16 deutschen Länder- Kultusministerinnen und -minister sind bislang aktiv geworden; jedeR scheint auf die/den jeweils andere/n zu warten, anstatt sich für einen Notstandsfonds oder eine Umstrukturierung der Arbeit unter den neuen Rahmenbedingungen einzusetzen. Auch der Aufruf zum Handeln, den die Deutsche Gesellschaft für die Vereinten Nationen (DGVN) im Frühjahr 2013 an den Unterausschuss Auswärtige Kulturpolitik des Deutschen Bundestages geschickt hat, wurde nicht bearbeitet, sondern an einen anderen Unterausschuss weitergeleitet. Im Bundeskanzleramt liegt seit Ende Juli 2013 ein unbeantworteter Brief zweier UNESCO-Clubs, der nach konstruktiven Handlungsstrategien der Bundesregierung fragt.

Dabei wäre die Bundesregierung in besonderem Maße gefordert, in letzter Minute das Steuer herum zu reißen, kandidiert doch Deutschland in Paris für einen Sitz im UNESCO-Exekutivrat. Aber eine so verstandene internationale Rolle Deutschlands scheint bei den derzeitigen Koalitionsverhandlungen in Berlin nicht einmal unter „ferner liefen“ eine Rolle zu spielen.

7. November 2013

Internationales Ranking: Schattenfinanzwirtschaft boomt weiter

Korruption, Geldwäsche, Steuerhinterziehung und Steuerflucht, Betrug, Insiderhandel und Bestechung – das sind die Folgen eines großenteils intransparenten globalen Finanzsystems. Der heute – nach 2009 und 2011 zum dritten Mal – veröffentlichte Schattenfinanzindex (FSI: Financial Secrecy Index) des internationalen Tax Justice Networks belegt, dass die Schattenfinanzwirtschaft weiter boomt. Der Index ist die weltweit größte Untersuchung dieser Art und listet 82 Finanzzentren nach dem Grad ihrer Geheimhaltung und ihrem Anteil am Weltmarkt für grenzüberschreitende Finanzdienstleistungen auf.

Strenge Bankgeheimnisse (wie in Österreich, Luxemburg oder der Schweiz), intransparente Eigentümerstrukturen bei Trusts, Treuhandschaften oder Stiftungen sowie mangelnde Kooperation der Behörden kennzeichnen weiterhin die schwarzen Löcher im internationalen Finanzsystem. „Trotz wachsender öffentlicher Kritik und verbesserter Bemühungen1 der G20, der EU oder der OECD sind wir Lichtjahre von effektiven Lösungen entfernt. Hunderte Milliarden Dollar für öffentliche Leistungen gehen den Staaten jährlich durch Schattenfinanzplätze verloren“, erklärte Markus Meinzer vom Tax Justice Network.


● Eine 2012 publizierte Studie des Tax Justice Networks zeigte, dass 21-32 Billionen Dollar an privatem Finanzvermögen offshore gehalten wird. 7-9 Billionen Dollar davon stammen aus sog. Entwicklungsländern.
● Die Weltbank schätzt, dass bis zu 1,6 Billionen US-Dollar jährlich illegitim über Grenzen hinweg verschoben werden.
● Nach Angaben des Tax Justice Networks entgehen den Staaten jährlich ungefähr 250 Mrd. US-Dollar an Steuereinnahmen, weil reiche Personen und Unternehmen Vermögen ins Ausland transferieren.
● Laut Berechnungen der Afrikanischen Entwicklungsbank und Global Financial Integrity verließen 1,4 Billionen Dollar an Kapital seit 1980 den afrikanischen Kontinent, meist handelt es sich um illegale Abflüsse, die nie versteuert wurden.  

Bemerkenswert: 13 der Top 21-Länder des Index sind OECD-Staaten oder von einem Mitglied abhängige oder kontrollierte Gebiete. Es liegt also nicht nur an den üblichen Verdächtigen in der Karibik, die Probleme zu lösen, sondern vor allem an den politisch mächtigsten Staaten. Zwischen den Ankündigungen der OECD-Länder und deren tatsächlicher Umsetzung klafft noch immer eine riesige Lücke. Der automatische Informationsaustausch ist nicht einmal innerhalb der EU allgemeiner Standard. Die Begünstigten von Stiftungen, Trusts und (Schein-)Unternehmen werden in den meisten Ländern in keinen öffentlichen Registern aufgeführt. Nach wie vor dominiert Steuerwettbewerb statt Steuerkooperation. Aber im Kampf gegen Steuerflucht, Geldwäsche und Korruption braucht es eine effektive internationale Zusammenarbeit zwischen Justiz- und Steuerbehörden.

Auf den ersten beiden Plätzen des FSI liegen die Schweiz und Luxemburg – beides Länder, die sich Österreich im Kampf gegen mehr Transparenz gerne verbündet haben. Trotz Verbesserungen – etwa beim Bankgeheimnis insbesondere gegenüber den USA – ist die topplatzierte Schweiz weiterhin Speerspitze gegen internationale Bemühungen für mehr Transparenz. Auf Platz zwei liegt Luxemburg, das mit einem giftigen Cocktail aus Geheimhaltung, Steuerschlupflöchern und schwacher Finanzregulierung eine riesige Offshore-Finanzdienstleistungsbranche bedient.

Großbritannien liegt zwar nur auf Platz 21, ist jedoch – allen Beteuerungen zum Trotz – die versteckte Nummer eins der Schattenfinanzwelt, wie das Tax Justice Network betont. Die City of London unterstützt und kontrolliert ein Netz von Verdunkelungsoasen auf der ganzen Welt, unter anderem die Cayman Islands (4.), Jersey (9.), Bermuda (14.) und Guernsey (15.). Dieses Netz würde zusammengenommen unangefochten Platz eins einnehmen. Hongkong und Singapur, zwei rivalisierende und rasch wachsende Verdunkelungsoasen, liegen auf Platz 3 und 5 des Index, gefolgt von den USA und dem „Aufsteiger“ Libanon. Bemerkenswert auch der 8. Platz Deutschlands (dazu eine separate Studie) vorgelegt wurde, verursacht großenteils durch den mangelhaften Austausch steuerrelevanter Informationen und der großen Bedeutung als Finanzplatz.

30. Oktober 2013

EU-Kanada: Testlauf fuer das TTIP

Duch den aktuellen Abhörskandel um die Bundeskanzlerin ist das Freihandelsabkommen zwischen den USA und Europa (TTIP), über das derzeit verhandelt wird, jetzt schon zu einer Prominenz gelangt, die derartige Vorgänge gewöhnlich nicht erheischen können. Das globalisierungskritische Netzwerk Attac verlangt die Aussetzung der Verhandlungen allerdings nicht so sehr wegen des Abhörskandals, sondern vor allem wegen der neoliberalen Ausrichtung des geplanten Abkommens. Als Testlauf sieht Attac die derzeit laufenden Geheimverhandlungen über ein ähnliches Abkommen mit Kanada. Das Netzwerk hat die EU-Kommission deshalb aufgefordert, den Vertragsentwurf des zwischen Kanada und der Europäischen Union verhandelten Freihandelsabkommens CETA endlich offenzulegen.

Der Grund für die Geheimverhandlungen sei offensichtlich, sagt Attac. Das Abkommen mit Kanada diene als Blaupause für TTIP. Wäre der Inhalt von CETA bekannt, würde TTIP in der Öffentlichkeit auf deutlich mehr Widerstand stoßen, vermuten die Aktivisten. In der Tat geht aus einem Memorandum der EU-Kommission zu CETA vom 18. Oktober hervor, dass das Abkommen Investoren und Konzernen ein besonderes Klagerecht gegen Staaten einräumen soll. Damit öffne der Vertrag mit Kanada Attac zufolge auch für US-amerikanische Unternehmen wie etwa den Saatgutkonzern Monsanto die Hintertür nach Europa, da diese – so noch nicht geschehen – ohne großen Aufwand Niederlassungen in Kanada eröffnen können. Dieses Konzernklagerecht ist auch für TTIP vorgesehen.

Generell stehe zudem zu befürchten, dass CETA bereits die Einfuhr von gentechnisch verändertem Saatgut in die EU erleichtern wird. Denn nicht nur die USA, auch Kanada zählt beim Anbau gentechnisch veränderter Pflanzen zu den Top-10 weltweit. Kommt CETA, bestehe die Gefahr, dass sich Monsanto und Co. in den europäischen Markt einklagen können, warnen Attac und Umweltverbände. Mit TTIP würden dann endgültig alle Dämme gegen Genfood, Hormonfleisch und Chlorhühnchen in Europa brechen. Zudem ist absehbar, dass die USA und die EU das Abkommen nutzen werden, um auch demokratische Rechte, soziale Standards, Klimaschutz und Finanzmarktkontrolle auf dem jeweils niedrigsten Level zu 'harmonisieren'. – Es gibt also bedeutend mehr Gründe, die TTIP-Verhandlungen kritisch zu verfolgen, als das Handy der Kanzlerin (>>> TTIP: Die neue Freihandelsoffensive).

26. Oktober 2013

Global Governance reloaded?

Pascal Lamy (s. Foto) ist ein findiger Mann.Nach seinem Abtritt als Generaldirektor der Welthandelsorganisation (WTO) tauchte er schnell wieder auf – als Vorsitzender der „Oxford Martin Commission for Future Generations“. Diese hat in diesen Tagen ihren Report „Now for the Long Term“ veröffentlicht. Der Bericht beklagt die Kurzfristigkeit („Short-termism“) bei internationalen Entscheidungen und will den Stillstand der Debatte um die Reform der Global Governance beenden. Zu ihren Mitgliedern gehören diverse Eminent Persons, von der ehemaligen chilenischen Präsidentin Michelle Bachelet bis zum afrikanischen Vorzeigeunternehmer Mo Ibrahim, von der Chefredakteurin des Hufftington Post bis zum Nobelpreisträger Amartya Sen oder vom deutschen Unternehmensberater Roland Berger bis zu Nicholas Stern, der die Öffentlichkeit immer wieder zum Thema Klimawandel wachrüttelt.

Ob es allerdings gelingt, die Global-Governance-Debatte vom Fleck zu bringen, darf bezweifelt werden. Dies nicht so sehr, weil es den Kommissionsmitgliedern an richtigen Einsichten mangelt. So beklagt Pascal Lamy, den das Thema schon in seiner Zeit bei der WTO umtrieb, völlig zu Recht: „Die Strukturen und Institutionen des 20. Jahrhunderts sind schlecht gerüstet für die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts. Viele sind entlang überholter geopolitischer Linien organisiert, wo diejenigen mit abnehmendem Gewicht unverhältnismäßig viel Macht haben. Viele stark aufstrebende Mächte sind von Schlüsselentscheidungen ausgeschlossen. Dies muss sich ändern, damit die Bedürfnisse der Gegenwart und der Zukunft besser reflektiert werden.“


Was dann allerdings an konkreten Vorschlägen präsentiert wird, ist so wenig originell und aufregend, dass es ganz bestimmt nicht geeignet sein wird, versteinerte Verhältnisse zum Tanzen zu bringen. So soll die internationale Klimapolitik von C20/C30/C40-Koalitionen aus der Sackgasse geholt werden. Warum aber Gruppierungen von 20 Ländern, 30 internationalen Unternehmen und 40 Städte mehr zu Abbremsung des Klimawandels als bestehende Konstellationen tun sollen, wird nicht ersichtig. Anderes Beispiel: Warum Steuermissbrauch und –vermeidung durch freiwillige Regelungen effektiver sein sollen, wo doch der Trend jetzt endlich mal in Richtung auf verbindliche Abmachungen geht, bleibt ebenfalls schleierhaft. Und die Beseitigung perverser Subventionen des CO2-Ausstoßes und der Landwirtschaft wird ebenfalls schon so lange gefordert, wie man zurückdenken kann.

Eine Idee würde vielleicht weiterhelfen: Wenn man internationale Institutionen durch „sunset clauses“ dazu drängen würde, sich selbst zu reformieren. Wenn sie dies nicht bis zu einem bestimmten Termin tun, würde man sie schlicht dicht machen. Doch wie die Versuche im IWF, nach der Finanzkrise ein zeitgemäßeres Entscheidungssystem durchzusetzen, zeigen, werden alle Deadlines bis heute konsequent ignoriert, weil diejenigen, die die Macht haben, sich nun einmal nicht selbst abschaffen werden.

15. Oktober 2013

Wirtschaftsnobelpreis: Unsinniger Einheitsbrei

Gastblog von Rudolf Hickel*)

In der Rechtfertigung des Komitees zur Vergabe des Ökonomie-Nobelpreises werden die drei Nobelpreisträger in diesem Jahr kurzerhand als eine gemeinsame Gruppe zur Erforschung der Bildung von Vermögenspreisen auf den Finanzmärkten zusammengefasst. Robert J. Shiller, Eugene Fama und Lars Peter Hansen ginge es unter anderem um die Antwort auf die Frage „Wa­rum Aktienpreise steigen und fallen?“ Das Stockholmer Komitee erweckt auch noch den Eindruck, sie gehörten alle zur Bewegung der „behavorial finance“, die versucht, mit verhaltensökonomischen Ansätzen Irrationalitäten auf den Finanzmärkten zu erklären.

Die Deutsche Presseagentur hat in ihrer weit verbreiteten Berichterstattung diesen unsinnigen „Einheitsbrei“ übernommen. Nur wenige Tageszeitungen haben es gewagt, die massiven Unterschiede zwischen Fama und Shiller zu benennen. Zu dieser Politik der Desorientierung durch die Entscheider aus Stockholm gehört auch der Hinweis, die drei Ausgezeichneten hätten mit ihren Theorien für die „Praxis wichtige Erkenntnisse“ geliefert. Dabei handelt es sich vor al­lem bei Fama und Hansen um hoch komplexe mathematische und ökonometrische Modelle mit wenig praktisch-in­strumenteller Relevanz.


Der Verzicht auf eine differenzierte Darlegung der konträren Theoretiker bei der Aufklärung über die Ursachen der Finanzkrise ist ärgerlich. Die Wahrheit ist: Erstmals sind bei der Preisverleihung zwei extreme Kontrahenten über die Theorie zur Funk­tionsfähigkeit bzw. Nichtfunktionsfähigkeit von Finanzmärkten geehrt worden. Das Handelsblatt spricht zu Recht vom „Preis der Gegensätze“.

Eugene Fama hat die „Effizienzmarkthypothese“ entwickelt. Letztlich geht er davon aus, dass die rational handelnden Akteure immer Markteffizienz und damit Gleichgewichtspreise auf den Vermögensmärkten produzieren würden. Verhalten und Verhältnisse führten am Ende zur effizienten Bildung von Aktienkursen. Herdenverhalten, irrationales Handeln, auch durch Spekulanten erzeugt, sowie die Wirkung der „animal spirits“ werden nicht erkannt. Solche als Anomalien beschriebenen Phänomene würden in den Marktprozess eingepreist. Es gilt: „Der Markt kann langfristig nicht geschlagen werden“ – selbst nicht mit In­sidergeschäften. Wenn alle Informationen bekannt sind und sich Nachfrager und Anbieter wie auf dem Kartoffelmarkt rational verhalten, dann gibt es auch keine Krisenanfälligkeit der Finanzmärkte. Logisch konsequent hat daher Fama die Verhaltensökonomik, mit der Anomalien des Marktes erklärt werden, scharf zurückgewiesen. Diese spätestens mit der Dotcom- und der jüngsten Finanzmarktkrise gescheiterten Theorie von der stabilen Markteffizienz wird mitten in der Verhinderung künftiger Abstürze mit negativen Wirkungen auf die Realwirtschaft mit dem Nobelpreis 2013 geehrt.

Robert J. Shiller dagegen hat diese These von sich selbst stabilisierenden Finanzmärkten explizit scharf attackiert und seine erklärungsrelevante Gegentheorie entwickelt. Für ihn stehen  irrati­onales Verhalten und damit irrationale Erwartungen  (Buchtitel „Irrational Exumberance“ – „Irrationaler Überschwang“) vor allem durch den Herdentrieb und auch Spekulanten im Mittelpunkt. Zusammen mit George Ackerlof hat er die von John Maynards Keynes erstmals betonte Sicht der „animal spirits“ weiterentwickelt. Danach lassen sich – im fundamentalen Unterschied zu Fama – nicht einmal mehr mathematische Wahrscheinlich­keiten zur Funktionsweise von Finanzmärkten abbilden.

Während Robert J. Shiller die Krise der „New Economy“ von 2000 sowie die Immobilienkrise (CDO-Krise) von 2007/08 prognostizieren konnte, hätte es diese beiden Krisen nach Fama nicht geben dürfen. Shiller zu Fama im O-Ton  1981 : „Für den zwanglosen und ehrlichen Beobachter sollte aufgrund der Volatilitätsargumente wie den hier dargestellten klar sein, dass die Effizienzmarkthypothese falsch sein muss ... Das Scheitern des Modells der Effi­zienzmarkthypothese ist so dramatisch, dass es unmöglich erscheint, das Scheitern solcher Din­ge wie Datenfehlern, Problemen des Preisindex oder Änderungen im Steuerrecht zuzuschreiben“ (Robert J. Shiller 1981). Dass das Modell von Fama gescheitert ist, beweisen die Dotcom- und Fi­nanzmarktkrise.

Diese Preisverleihung ist eine Provokation. Sie zielt eher auf wissenschaftlichen Stillstand. Anstatt die Weiterentwicklung der relevanten Theorie von Shiller zur Finanzmarktkrise zu stärken, wird auch der Verfechter der gescheiterten These von sich optimal stabilisierenden Finanzmärkten geehrt. Das stärkt die Kräfte, die eine Regulierung der Finanzmärkte ablehnen. Die Nobelpreis-Verleiher haben  mit diesem ärgerlichen Wissenschaftspluralis­mus der Weiterentwicklung der Theorien zur Vermeidung ökonomischer Krisen einen Bärendienst erwiesen.

*) Prof. Rudolf Hickel ist Forschungsleiter am Institut für Arbeit und Wirtschaft der Universität Bremen und Mitglied der Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik (Memorandumsgruppe).