20. Dezember 2012

Finanzmarktreformen: Die im Dunkeln sieht man nicht

Spät, aber immerhin, ist jetzt auch das Thema Schattenbanken auf der Agenda der globalen Finanzmarktreformen. Allerdings lässt der vor etwa einem Monat veröffentlichte Bericht des Financial Stability Board (FSB), der als Rahmen der Diskussion in den nächsten Monaten dient, keine großen Sensationen erwarten, wie Peter Wahl (WEED) in einer Bilanz der Reregulierung der Finanzmärkte zum Jahresende im Informationsbrief Weltwirtschaft & Entwicklung schreibt (>>> W&E 12/Dezember 2012).

 
Wenig Sensationelles wohl auch deshalb, weil mit der Veröffentlichung des Initial Integrated Set of Recommendationsto Strengthen Oversight and Regulation of Shadow Banking am 18. November sogleich die Diskussion darüber losbrach, welche Schattenbanken eine wirtschaftliche sinnvolle Rolle spielen und welche nicht. Insgesamt schätzt das FSB die Größe dieses Sektors auf 67 Billionen US-Dollar, was 111% der globalen Wirtschaftsleistung entspricht (s. Grafik). Durch die Finanzkrise ist das Wachstum des Schattenbanksektors zwar abgebremst worden, aber nicht gänzlich zum Stillstand gekommen.

Wird jetzt argumentiert, dass die Aktivitäten der Schattenbanken teilweise volkswirtschaftlich nützlich sind (etwa weil sie Kapital für investive Zwecke mobilisieren), dann ergibt sich natürlich ein breites Einfallstor für Bestrebungen der Finanzmarktlobby, die Regulierung dieses Sektors auf ein Minimum zu begrenzen. Dabei zielt das FSB mit seinen bisherigen Vorschlägen ohnehin lediglich auf die Regulierung der Beziehungen des formellen Bankensektors mit den Schattenbanken, um erstere vor Ansteckungsgefahren abzuschirmen.

Anders dagegen die jüngsten Vorschläge von Attac zur Neuregulierung der Finanzmärkte. Danach wären sämtliche bankähnlichen Geschäfte zu regulieren, und Banken dürften nur noch mit Finanzinstituten Geschäftsbeziehungen unterhalten, die einer Mindestregulierung unterworfen sind. Unregulierten Schattenbanken wie Zweckgesellschaften, Private Equity Fonds und Hedgefonds ohne Banklizenz würde damit der Boden entzogen. – Überhaupt ist das neue Attac-Papier bemerkenswert, weil es in der aktuellen Debatte in Deutschland, die stark wahlkampfgeprägt ist, Vorschläge unterbreitet, die über vieles hinausgehen, was inzwischen fast schon zum Mainstream geworden ist, wenngleich auch dieses noch auf seine Realisierung wartet.

18. Dezember 2012

Geierfonds ./. Argentinien: Zeit- und Prestigegewinn

Argentinien hat in der Auseinandersetzung mit US-amerikanischen Geierfonds zwei wichtige Teilerfolge errungen. Auf einen Zahlungsaufschub im Fall des von Elliott Ass. betriebenen Inkassoverfahrens in einem New Yorker Berufungsverfahren folgte am letzten Samstag ein Urteil des Internationalen Seegerichtshofs in Hamburg. Letzterer ordnete die Freigabe des argentinischen Segelschulschiffs ARA Libertad an, dass seit letzten Oktober auf Betreiben von Elliott in Ghana festgehalten wird. Ghana solle das Schiff „unverzüglich und bedingungslos“ freigeben und auslaufen lassen.

Das Hamburger Urteil ist zweifellos ein Erfolg Argentiniens, und Hernán Lorenzino, der Wirtschaftsminister des Landes, twitterte sogleich: „Geier, Ihr werdet nicht durchkommen!“ Doch noch ist der Sieg nicht in trockenen Tüchern. Unklar ist z.Zt. noch, ob das ghanaische Gericht, dessen Beschluss am 2. Oktober dazu geführt hatte, die Libertad festzuhalten, den Hamburger Richterspruch akzeptieren oder als Einmischung in seine inneren Angelegenheiten zurückweisen wird. Doch auch wenn das Schiff jetzt freikommt und für Argentinien damit eine nationale Schmach wieder gut gemacht wird, ist der Kampf mit den Geierfonds, die sich weigern, die Schuldenstrukturierung von 2005 und 2010 anzuerkennen, noch nicht zu Ende.

In dem wichtigeren Verfahren, in dem ein New Yorker Gericht ursprünglich für Mitte Dezember die Zahlung von 1,3 Mrd. US-Dollar an Elliott & Co. angeordnet hatte, ist für Mitte Februar 2013 eine Anhörung vorgesehen, nach der der endgültige Urteilsspruch erfolgen soll. Wie dieses Verfahren auch ausgeht: Die Praxis der Geierfonds, Schuldtitel auf dem Sekundärmarkt für Cent-Beträge aufzukaufen und dann hernach die Rückzahlung des kompletten Nennwerts einzuklagen, verweist in jedem Fall auf die Notwendigkeit, schnell ein unabhängiges, transparentes und internationalen Schiedsverfahren zu etablieren, das Schuldner und Gläubiger zu einvernehmlichen Lösungen zwingen kann.

* Zum Hintergrund >>> Argentinien unter Geiern.

17. Dezember 2012

G20-Civil 2013: Gutes Timing, Herr Putin!


Von Heike Löschmann

Ausgerechnet Russland ist der erste G20-Gastgeber, der ein Civil-20-Treffen (C20) durchgeführt und einen „produktiven Dialog zu den thematischen Prioritäten der russischen G20-Präsidentschaft zwischen globaler Zivilgesellschaft, PolitikerInnen und EntscheidungsträgerInnen“ angekündigt hat. Ein erstes Treffen fand vom 11.-13. Dezember 2012 in Moskau statt.

Das Programm der dreitägigen Konferenz sollte dazu dienen, die Visionen der russischen Präsidentschaft zu diskutieren und die Erwartungen der internationalen Zivilgesellschaft zu formulieren. Ein weiteres Ziel des Treffens bestand darin, die Effektivität von Entscheidungs- und Arbeitsprozessen der G20 unter die Lupe zu nehmen. Ein drittes Ziel war, Wege zu finden, die Zivilgesellschaft künftig fest in den G20-Prozess zu integrieren - eine Forderung, die seit Beginn des G20-Prozesses von zivilgesellschaftlichen Gruppen immer wieder artikuliert wurde, beim Gipfel in Mexiko im Juni 2012 aber noch in weiter Ferne war.

Die Konsultation wurde von der russischen Sherpa Ksenia Yudaeva eröffnet. Geladen waren desweiteren VertreterInnen aus dem Präsidentenbüro und dem Ministerium für Finanzen auf der einen, und VertreterInnen internationaler Organisationen und von Think Tanks, internationalen NGOs und einige wenige ausgewählte russische Nichtregierungsorganisationen auf der anderen Seite. Angesichts der jüngsten Repressalien gegen die eigene Zivilgesellschaft und des Erlasses des Agentengesetzes, durch das Organisationen diskreditiert werden, die Unterstützung aus dem Ausland erhalten, ist das ein Hohn. Dennoch wird die internationale Gemeinschaft nicht umhin kommen, der Gastgeberregierung dafür Anerkennung zu zollen. Gutes Timing, Herr Putin …

… zum vollständigen Bericht klicken Sie bitte >>> hier.

 

14. Dezember 2012

EU-Krisenpolitik: Aufgeschoben ist nicht aufgehoben

Kritische Entwicklungspolitiker wissen, dass das, was die EU im Rahmen ihrer Krisenpolitik den eigenen Krisenländern auferlegt, an Härte und Gnadenlosigkeit oft erheblich über das hinausgeht, was im Rahmen der sog. Strukturanpassungspolitik den Entwicklungsländern in der Schuldenkrise zugemutet wurde. Unter diesem Aspekt ist es eigentlich nur zu begrüßen, dass der derzeitige EU-Gipfel über die Schaffung einer gemeinsamen Bankenaufsicht im Euroraum hinaus alle Vorschläge zur Zukunft der europäischen Wirtschafts- und Währungsintegration in das nächste Jahr verschoben hat. Denn unter dem Stichwort „Reformverträge“ oder „vertragliche Arrangements“ will sich die EU-Spitze in Brüssel eine Handhabe dafür schaffen, das Austeritätsregime, das bislang nur gegenüber den vornehmlich südlichen Krisenländern durchgesetzt wurde, gegebenenfalls EU-weit zu verallgemeinern.

Doch aufgeschoben ist in diesem Fall einmal nicht aufgehoben. Schon zum EU-Gipfel im Juni nächsten Jahres will Ratspräsident Van Rompuy die bilateralen vertraglichen Arrangements zwischen der EU-Kommission und den Mitgliedsstaaten als „mögliche Maßnahme“ erneut präsentieren. Hinter dem Getöse um die Bankenunion in der Eurozone, deren erster Schritt jetzt mit der Errichtung einer gemeinsamen Bankenaufsicht bei der Europäischen Zentralbank gegangen wird, war das neu anvisierte Instrument der bilateralen „Reformverträge“ zunächst nicht gerade aufgefallen. Das änderte sich jedoch in der zurückliegenden Woche. Attac erkannte in ihm ein Element zur Entkernung der nationalen Souveränität in der EU zugunsten einer demokratisch nicht legitimierten Instanz, der EU-Kommission. Peter Wahl von WEED betonte in einem Hearing vor dem EU-Ausschuss des Deutschen Bundestags die machtpolitischen Seiten des Versuchs, auf bilateralem Weg in den Mitgliedsländern Strukturanpassungsmaßnahmen durchzusetzen, die auf die Flexibilisierung der Arbeitsmärkte, Lohnzurückhaltung und Privatisierung zielen.

In der Tat sind – das herrschende neoliberale Denken in Rechnung gestellt – die Parallelen zwischen den Austeritäts-Memoranden, die Krisenländern wie Griechenland auferlegt wurden, und dem, was als „vertragliche Arrangements“ debattiert wird, frappierend. Besonders die deutsche Bundesregierung in Berlin erhofft sich davon ein Instrument, unter dem Vorwand der Steigerung der „Wettbewerbsfähigkeit“ der gesamten Eurozone ein Regime nach deutschem Gusto aufherrschen zu können. Dabei wären dringend andere Maßnahmen vonnöten, um die Eurozone aus der Rezession, in der sie jetzt steckt, herauszuführen. Eine Rolle dabei könnten auch Eurobonds spielen. Aber davon ist in den Dokumenten des Brüsseler Gipfels nicht mehr die Rede.

12. Dezember 2012

Kapitalverkehrskontrollen: Der halbe Schritt des IWF

Von Kevin P. Gallagher

“Was einst Ketzerei war, ist nun als orthodox anerkannt”, meinte John Maynard Keynes im Jahr 1944, nachdem er dazu beigetragen hatte, die führenden Politiker der Welt davon zu überzeugen, dass der Internationale Währungsfonds seinen Mitgliedern weiterhin die Regulierung der internationalen Finanzierungsflüsse als Grundrecht gewähren sollte. In den 1970ern begannen der IWF und die Westmächte allerdings damit, die Regulierung der globalen Kapitalflüsse in Theorie und Praxis abzubauen. Und in den 1990ern versuchte der Fonds sogar, seine Satzung zu ändern, um die Deregulierung grenzüberschreitender Finanzströme zu ermöglichen.

Mit viel Getöse gab der IWF kürzlich eine neue "institutionelle Sichtweisebekannt, die anscheinend die Neuregulierung der globalen Finanzen befürwortet. Der Fonds bleibt zwar weiterhin der finanziellen Liberalisierung verbunden, erkennt aber jetzt an, dass der freie Kapitalfluss auf einer deutlich schwächeren intellektuellen Grundlage ruht als der freie Handel.
 
Insbesondere ist der IWF jetzt der Ansicht, dass für eine Kapitalflussliberalisierung die finanziellen und politischen Institutionen der betreffenden Länder gewisse Standards erfüllen müssen, und dies bei vielen Entwicklungs- und Schwellenländern nicht der Fall ist. Auf grundsätzlicherer Ebene hat der Fonds akzeptiert, dass internationale Finanzflüsse nicht nur Nutzen, sondern auch Risiken mit sich bringen. Dies betrifft insbesondere starke Zuströme und darauf folgende plötzliche Unterbrechungen, die beträchtliche wirtschaftliche Instabilität mit sich bringen können.
 
Schlagzeilen machte, dass der IWF jetzt glaubt, Länder könnten sogar Kapitalkontrollen, umbenannt in “Maßnahmen zum Management von Kapitalflüssen”, einsetzen, wenn sie Seite an Seite mit geldpolitischen und haushaltspolitischen Maßnahmen, dem Aufbau von Fremdwährungsreserven und makroprudenziellen Finanzregulierungen gehen. Sogar unter solchen Umständen sollten diese Kapitalkontrollen generell nicht nach Währung unterscheiden.
 
Aber geht die Neubewertung der finanziellen Globalisierung durch den IWF weit genug? >>>
 
>>> den vollständigen Artikel lesen Sie >>> hier.

10. Dezember 2012

Dirty profits: Milliardengewinne auf Kosten der Menschenrechte

Die führenden deutschen Finanzinstitute sind massiv in menschenrechtlich brisante Unternehmen verstrickt. Dies belegt die heute zum Internationalen Tag der Menschenrechte veröffentlichte Studie DIRTY PROFITS des NGO-Bündnisses „Facing Finance“. Das Bündnis attestiert vielen weltweit agierenden Unternehmen einen „Dauerkonflikt mit international etablierten sozialen Normen und Umweltstandards“, und dennoch haben Banken und Versicherer offensichtlich keine Skrupel, bei deren Finanzierung behilflich zu sein. Dies gilt besonders für Bergbauriesen wie Vale, BHP Billiton und Glencore, oder den Öl-Multi Shell.

Rüstungsproduzenten wie Lockheed Martin, Rheinmetall oder EADS, verletzen darüber hinaus Waffenkonventionen oder sind im Konflikt mit Anti-Korruptionsstandards, Ausfuhrrichtlinien bzw. grundlegenden Prinzipien der Menschenrechte. Elektronik oder Textilmultis wie Hon Hai (Foxconn), Samsung oder H&M schließlich profitieren von Kinderarbeit und anderen arbeitsrechtlichen Verstößen, so der Bericht.

Die von Facing Finance untersuchten 28 Unternehmen machten 2011 einen Umsatz in Höhe von 1,22 Billionen € und erzielten insgesamt einen Nettogewinn in Höhe von 106 Mrd. €. Finanzielle Unterstützung erhielten sie dabei v.a. von namhaften Finanzinstituten wie BNP Paribas, Deutscher Bank, ING, Allianz und UniCredit. Im Untersuchungszeitraum (seit Januar 2010) belief sich die Summe der Geschäftsbeziehungen zwischen den 28 Unternehmen und den 16 untersuchten europäischen Finanzinstituten auf über 44 Mrd. €.

Die Zahlen belegen für die Autoren, dass allen Sonntagsreden zum Trotz die Finanzdienstleister in Sachen Nachhaltigkeit noch ganz am Anfang stehen und dringend mehr Verantwortung übernehmen müssen. „Sie brauchen endlich verbindliche und umfassende Regeln, um Menschenrechtsverletzungen und Umweltzerstörungen, die sie häufig mit finanzieren, zu beenden.” Wie notwendig diese Forderung ist, belegt das Beispiel Mosambik. Ein Land, welches seit vielen Jahren unter den Folgen von Bergbauprojekten leidet. Besonders die Aluminiumschmelze Mozal, betrieben von BHP Billiton, steht wegen kontinuierlicher Umwelt- und Luftverschmutzungen und Arbeitsrechtsverstößen in der Kritik. Organisationen wie Justiça Ambiental engagieren sich dagegen. Sie helfen z.B. lokalen Gruppen, Beschwerden bei der Ombudsstelle der Weltbanktochter IFC einzureichen.

Fatales Doha-Paradox


Jetzt rufen alle wieder „Scheitern“ und „Versagen“. Die jährliche Klimakonferenz, diesmal in Doha, ist zu Ende. Einige sind differenzierter: In Doha sei wie in Cancún vor zwei Jahren die Klimadiplomatie gerettet worden, das Klima jedoch nicht, fasst Lili Fuhr in unserem Partnerblog „Klima der Gerechtigkeit“ zusammen. Martin Khor vom Genfer South Centre schreibt von dem „tragisches Paradox der Doha-Konferenz“: Es wurden auffallend viele Beschlüsse gefasst, deren Anzahl in deutlichem Gegensatz zu ihrer absolut mangelhaften Substanz steht. Und in der Tat: Den wichtigsten Entscheidungen von Doha fehlt sowohl die Entschlossenheit, die Erde vor dem Klimawandel zu schützen, als auch die Bereitschaft, die Entwicklungsländer bei der Bewältigung der Folgen des Klimawandels wirklich zu unterstützen. Das sind sie, die wichtigsten Beschlüsse von Doha:


* ein extrem schwaches Ergebnis bei der Klimafinanzierung, wo weder neues Geld auf den Tisch gelegt wurde noch ein Pfad aufgezeigt, wie die bis zum Jahr 2020 versprochenen 100 Mrd. Dollar pro Jahr erreicht werden können;

* eine neue, achtjährige Verpflichtungsperiode von 2013 bis 2020 unter dem Kyoto-Protokoll mit weniger Teilnehmerländern als unter Kyoto I und weniger ambitionierten Verpflichtungen, dafür aber mehr Schlupflöchern, z.B. in Form der Möglichkeit, nicht verbraucht Verschmutzungsrechte in die nächste Phase zu transferieren;

* ein zaghafter Appell an die Kyoto-Teilnehmer, ihre Reduktionsziele bis 2014 nochmals zu überprüfen (und zu erhöhen);

* eine Bekräftigung des Durban-Beschlusses, bis 2015 ein neues globales Klimaabkommen auszuhandeln, das dann 2020 in Kraft treten soll;

* ein Arbeitsprogramm zur Schaffung eines „internationalen Mechanismus“, über den Entwicklungsländer Finanzmittel zur Entschädigung für „loss and damages“ aus dem Klimawandel erhalten sollen.

Auch wenn letzteres vage bleibt und vor allem noch offen ist, wie viel Geld dafür aufgewendet werden wird, ist es doch das erste Mal, dass dieses Thema Eingang in ein offizielles Dokument des internationalen Klimaschutzes gefunden hat – ein Lichtblick also oder doch nur eine Fata Morgana? – Wie dem auch sei, wir werden uns ein paar Tage der Reflexion über die Ergebnisse bzw. Nicht-Ergebnisse von Doha gönnen und dann auf der W&E-Website eine längere Analyse veröffentlichen: >>> hier.

9. Dezember 2012

Griechenland-Konditionen der Troika nicht ILO-konform


Die Internationale Arbeitsorganisation (ILO) ist der Meinung, dass die von der Troika aus EU-Kommission, Europäischer Zentralbank und IWF Griechenland auferlegten Kreditkonditionen grundlegende Arbeitsrechte aushöhlen, die Position der Gewerkschaften ernsthaft untergraben und den sozialen Zusammenhalt sowie den Frieden in der Gesellschaft gefährden. Während seines letzten Treffens hat der ILO-Ausschuss für Assoziationsfreiheit (CFA) festgestellt, dass „es eine Anzahl wiederholter und extensiver Einmischungen in die Tarifhoheit und einen eklatanten Mangel an sozialem Dialog gibt“. In einem Bericht weist er darauf hin, „dass die Gesetzgebung kein Hindernis für die Tarifhoheit auf der Ebene der Industrie sein sollte“, und warnt davor, dass durch dezentrale Abmachungen unterhalb der Ebene der Tarifverträge das gesamte System der Tarifautonomie gefährdet werden könnte und dies den ILO-Konventionen 87 und 98 widerspreche.

Der CFA-Bericht ist die Reaktion auf eine Beschwerde der Griechischen Allgemeinen Gewerkschaftsföderation (GSEE), der Konföderation der öffentlichen Bediensteten (ADEPY) und weiterer griechischer Gewerkschaftsverbände, die von Internationalen Gewerkschaftsbund (ITUC) unterstützt wurde. Die antigewerkschaftlichen Maßnahmen sind Teil der Troika-Konditionalität und erfolgen unter dem Vorwand der Erhöhung der Wettbewerbsfähigkeit der griechischen Wirtschaft und der fiskalischen Konsolidierung, vertiefen jedoch lediglich die Rezession, verschärfen die Arbeitslosigkeit und die prekäre Situation vor allem junger Arbeitnehmer, die inzwischen von Tarifverträgen ausgeschlossen werden und Lohnsenkungen hinnehmen müssen.

Mit ihrer Entscheidung steht die ILO nicht allein. Bereits im Oktober hatte der Europarat die griechischen Arbeitsmarktreformen, die im Anschluss an das „Memorandum of Understanding“ mit der Troika umgesetzt wurden, verurteilt. Sein Ausschuss für soziale Rechte kam zu dem Schluss, dass zwei der Reformen der Europäischen Sozialcharta widersprechen und zurückgenommen werden sollten. Der Vorsitzende des Ausschusses stellte klar und deutlich fest, dass Budgetanpassungen, die durch die Krise notwendig werden, nicht zu einer Erosion der Arbeitsnehmerrechte, wie sie in der Europäischen Sozialcharta festgeschrieben sind, führen dürfen.

Die Krisenpolitik der EU greift mit ihren Auswirkungen indessen auch in anderen Bereichen um sich, etwa im Gesundheitswesen. Nach Angaben der OECD fielen 2010 in Europa erstmals seit Jahrzehnten die öffentlichen Gesundheitsausgaben. An der Spitze der Kürzungen stehen ausgerechnet die Krisenländer Irland, Estland, Griechenland und Litauen. Es folgt die Tschechische Republik, die zwar nicht auf der Liste internationaler Krisenprogramme steht, der Austeritätslinie der Troika inzwischen aber aus eigenem Antrieb bzw. angetrieben von der eigenen Regierung folgt.