29. August 2012

Wirtschaftliche Entwicklung der Emerging Economies: Ausgewachsen?

Noch vor einem Jahr waren die Emerging Markets, die Schwellenländer, als Starperformer der Weltwirtschaft in aller Munde. Inzwischen ist die Euphorie teilweise der Ernüchterung gewichen. Denn die Wachstumsraten solcher Länder wie China und Indien, Brasilien und Argentinien, Singapur und Malaysia sind in diesem Jahr deutlich niedriger als im Durchschnitt der letzten Jahre. Natürlich ist dies zunächst einmal ein zyklisch-konjunkturelles Phänomen (>>> Die Krise erreicht den Süden). Mit dem Abschwung in den USA und der erneuten Rezession in Europa gehen externe Sonderbedingungen zu Ende, die der verarbeitenden Industrie der Schwellenländer, allen voran Chinas, besondere Exportbedingungen geboten hatten (kreditgestütztes Konsumniveau in den USA, weltweiter Rohstoffboom).

Es können aber auch grundlegendere, strukturelle Argumente geltend gemacht werden, die die Abkühlung in den aufstrebenden Ökonomien des Südens erklären können. Eines davon hat kürzlich der Harvard-Ökonom Dani Rodrik dargelegt. Rodrik argumentiert, dass die jüngste starke Wachstumsphase in den Schwellenländern eher die Ausnahme als die Regel war. Sie beruhte auf einem bewährten Muster, das wesentlich durch die Entwicklung der verarbeitenden Industrie getrieben wurde, wo es relativ leicht sei, ausländische Produktionstechnologie und Produkte zu kopieren. Mit dem stärkeren Gewicht hochproduktiver Dienstleistungen, die komplexe Qualifikationen und eine anspruchsvollere institutionelle Infrastruktur erforderten, werde der Eintritt in den Globalisierungsprozess wesentlich schwerer, zumal auch die Ausbildungs- und Kapitalintensität in der verarbeitenden Industrie zunehme. Hinzu kommt, dass mit wachsender Produktivität auch in den Schwellenländern die Löhne wachsen, so dass auch deren Lohnkostenvorteil tendenziell schwindet.

Ein ähnliches Argument entwickelt der Financial-Times-Journalist Peter Marsh in seinem neuen Buch The New Industrial Revolution: Consumers, Globalization and the End of Mass Production. Nach Marsh nehmen die Möglichkeiten der Teilhabe neuer Länder am Prozess der verarbeitenden Industrie – im Zuge einer Neuen Industriellen Revolution – vor allem aus technologischen Gründen ab. Dies führt möglicherweise dazu, dass die alten Industrieländer Anteile, die in den letzten Jahren an die Schwellenländer verloren gingen, wieder zurückgewinnen können. Marsh nennt hier u.a. hochtechnologische Formen der Automatisierung und die wachsende Nachfrage nach maßgeschneiderten Produkten, die vor allem auch Marktnähe erforderten.

Nun ist die Spekulation um die Rückverlagerung von Industrien in die alten Zentren so alt wie die Debatten um die Globalisierung und den Übergang zu einer Neuen Internationalen Arbeitsteilung zwischen Nord und Süd selbst. Ob die aktuelle Abkühlung des Wirtschaftswachstums in den Schwellenländern bereits Anzeichen dafür ist, dass solche strukturellen Faktoren zu greifen beginnen, lässt sich schwer vorhersagen. Aber selbst wenn die Emerging Economies künftig etwas moderater wachsen sollten oder sich der zyklische Charakter wirtschaftlicher Entwicklung dort stärker als bisher akzentuieren sollte (wofür einiges spricht) – „ausgewachsen“ im Sinne anhaltender stagnativer Tendenzen sind diese Länder noch lange nicht.

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