30. November 2011

Zuspitzung des Streits um Finanztransaktionssteuer im Bundestag

So ungeschminkt und selbstentlarvend haben Vertreter der Finanzbranche selten zugegeben, dass sie am liebsten keinerlei Steuern bezahlen wollen: „Die beste Idee ist ein Steuersatz von Null“, sagte der Sachverständige Volker Wieland (House of Finance) heute auf einer Anhörung des Finanzausschusses im Deutschen Bundestag zur Finanztransaktionssteuer (FTT). Während Wirtschaftsverbände, Börsen und Banken die FTT äußerst kritisch bis ablehnend sahen, wurde sie von NGOs und Wissenschaftlern als wichtiges Instrument zur Eindämmung der Spekulation begrüßt. In der Anhörung ging es um einen Antrag der SPD-Fraktion (17/6086), die die Einführung einer europäischen Finanztransaktionssteuer fordert. Erfasst werden sollen alle börslichen und außerbörslichen Transaktionen von Wertpapieren, Anleihen und Derivaten mit einem Steuersatz von 0,05%. Außerdem waren der Vorschlag der EU-Kommission für eine Richtlinie zur FTT und das deutsch-französische Positionspapier zu dieser Steuer Gegenstand der Anhörung.

Die Deutsche Kreditwirtschaft, der Zusammenschluss der Bankenverbände, lehnte diesen Beitrag jedoch ab und behauptete negative Auswirkungen auf die Konjunktur. Selbst die EU-Kommission erwarte bei einer EU-weiten Steuer von 0,1% auf Aktien (0,01% auf Derivate) eine Einbuße des Bruttoinlandsprodukts von 1,76%. Die Finanztransaktionssteuer treffe nicht nur die Finanzinstitute, sondern alle Erwerber von Finanzprodukten, darunter auch Kleinsparer. Ähnlich äußerten sich die Spitzenverbände der deutschen Wirtschaft in einer gemeinsamen Stellungnahme. Danach würden auch die Unternehmen belastet, die Liefergeschäfte gegen Zins- und Währungsrisiken durch Derivate absichern würden. Der Vertreter des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI) sagte auf die Frage, wer das von der EU geschätzte Steueraufkommen von 57 Mrd. € zu tragen habe: „Das werden Bürger und Realwirtschaft sein.“ Der Bundesverband Investment und Asset Management erklärte: „Die Belastung hätten vor allem Langfrist- und Altersvorsorgesparer zu tragen.“

Franz Mayer (Universität Bielefeld) sah in der Vereinbarkeit der Finanztransaktionssteuer mit dem Binnenmarkt dagegen keine Probleme: „Unter dem Aspekt der Verhältnismäßigkeit der vorgesehenen Gesetzgebung bestehen auch gegen die Höhe der avisierten Steuer keine Bedenken, auch nicht unter grundrechtlichen Aspekten“, erklärte er zum Vorschlag der EU-Kommission. Stephan Schulmeister (Österreichisches Institut für Wirtschaftsforschung) befürwortete ebenfalls die Steuer, die auf den Märkten dafür sorgen könne, „dass extreme Ausschläge schwächer werden“. Ein Allheilmittel sei die neue Steuer aber nicht. Schulmeister hielt die stark gestiegenen Zinssätze für eine Folge der zunehmenden Spekulation.

Gustav Horn (Hans-Böckler-Stiftung) widersprach der Darstellung der Wirtschaftsvertreter, wonach die EU-Kommission bei Einführung der Steuer eine Rezession erwarte. Das habe die Kommission nie gesagt, erklärte Horn. „Einige Gegner der Steuer halten hartnäckig an dem Argument fest, die Steuer würde den Kleinsparer treffen. Ebenso hartnäckig muss der Einwand zurückgewiesen werden“, erklärte Detlev von Larcher von Attac. Durch die niedrigen Steuersätze sei die Steuer bei einzelnen Transaktionen kaum spürbar und „im Vergleich mit den gleichzeitig anfallenden Gebühren vernachlässigbar“.

Auch der von der Deutschen Börse und der Börse Stuttgart in Stellungnahmen befürchtete Umsatzverlust an außereuropäische Handelsplätze ist nach Ansicht von Attac „maßlos überzeichnet“, da jede Transaktion einer Institution oder Person mit Sitz in der EU steuerpflichtig wäre, auch wenn der Handel an einer Börse außerhalb des EU-Gebiets stattfindet (Ansässigkeitsprinzip). Zur Steuervermeidung wäre die Verlegung des Wohn-oder Geschäftssitzes notwendig.

Der Börsenmakler Dirk Müller erklärte, es gebe zu viel Spekulation. Behauptungen, Derivate würden der Kursabsicherung dienen, bezeichnete er als „Augenwischerei“. Das gelte nur für einen ganz kleinen Teil des Handels. Privatanleger und Versicherungen würden wegen der starken Kursschwankungen den Aktienmarkt verlassen. Dann könnten sich die Unternehmen nur sehr schwer Kapital besorgen. Müller sprach sich für die Transaktionssteuer aus: „Von 0,05% geht die Welt nicht unter.“

* Alle schriftlichen Stellungnahmen zur Anhörung finden sich >>> hier.

28. November 2011

US-Wissenschaftler: Die FED soll in Europa intervenieren!

Jetzt fordern bereits US-Wissenschaftler, die amerikanische Zentralbank Federal Reserve (FED) solle in die europäischen Märkte intervenieren, um die ideologische Blockade der Europäer und insbesondere der Deutschen gegen eine wirksame Bekämpfung der europäischen Krise aufzulösen. Die beiden Ko-Direktoren des in Washington ansässigen Center for Economic and Policy Research (CEPR), Dean Baker und Mark Weisbrot, haben die FED heute in einer Erklärung dazu aufgerufen, die europäischen Anleihemärkte durch den Aufkauf italienischer und spanische – und bei Bedarf weiterer Bonds zu stabilisieren. Das Risiko einer finanziellen Kernschmelze in Europa sei beträchtlich und wachse jeden Tag. Die finanziellen Folgewirkungen könnten dramatischer ausfallen als beim Lehman-Zusammenbruch 2008 und auch die US-Ökonomie in die Rezession stoßen.

In der Tat bewegt sich die europäische Politik zu langsam, um die wachsenden Risiken einzudämmen. Ein Warner wie der Financial-Times-Kolumnist Wolfgang Münchau gibt der Eurozone in seinem heutigen Kommentar nur noch wenig mehr als zehn Tage, um einen Zusammenbruch abzuwenden. Vor allem die Europäische Zentralbank (EZB) weigert sich, ihre Funktion als Zentralbank zu erfüllen und als Lender of Last Resort in Krisenzeiten zu agieren. Eigentlich müsste die EZB intervenieren, um den Anstieg der Risikoaufschläge spanischer und italienischer Bonds auf ein Niveau zu verhindern, das wie im Falle Griechenlands, Portugals und Irlands die Kreditaufnahme an den privaten Kapitalmärkten unbezahlbar macht. Zu allem Überdruss hat die deutsche Kanzlerin in der letzten Woche auch die Ausgabe gemeinsamer Eurobonds direkt zurückgewiesen, und dies in einer Situation, in der die Europäische Kommission mit praktikablen Vorschlägen in dieser Richtung kommt.

Nach Auffassung der beiden US-Ökonomen schafft das Versagen der EZB für die FED die Notwendigkeit zu handeln, und zwar im Rahmen ihres Mandats, das die Förderung der Vollbeschäftigung in den USA einschließt. Ihre Intervention könnte den Teufelskreis der sich nach oben drehenden Schuldenspirale in Europa durchbrechen und damit auch die möglichen Auswirkungen auf die Weltkonjunktur abmildern. Die FED hat im Rahmen der geldpolitischen Lockerung über 2 Billionen Dollar in die US-Wirtschaft gepumpt, mit dem Ergebnis der Absenkung der langfristigen Zinssätze und ohne Kosten für die Steuerzahler. Die FED könnte nach Meinung von Baker und Weisbrot ein ähnliches Programm zum Aufkauf europäischen Staatsanleihen auflegen. Es wäre weniger umfangreich und könnte der EZB vielleicht Beine machen.

9. November 2011

FTT: Breitseite von der Insel

Nur ein paar Tage nach dem G20-Gipfel in Cannes hat die britische Regierung eine aggressive Breitseite gegen einen europäischen Alleingang bei der der Einführung der Finanztransaktionssteuer (FTT) gestartet. Bei der gestrigen Ecofin-Sitzung in Brüssel bezeichnete Londons Finanzminister George Osborne das deutsch-französische Drängen auf ein Vorangehen bei der FTT als „abstrus und den Vorschlag der Europäischen Kommission als eine „große Steuer auf Pensionäre“, während „kein einziger Banker dafür bezahlen“ müsste. Warum sollten wir unsere Zeit mit der Diskussion über etwas vergeuden, was wir ohnehin blockieren werden, soll er gesagt haben.

Die Leute von der britischen Kampagne für die „Robin Hood Tax“ haben die abstrusen Argumente des Ministers umgehend widerlegt (>>> Protecting the City of London), doch entlarvender ist, dass die konservative britische Regierung mit ihrem Auftritt unter Beweis gestellt hat, dass ihr bisheriges Argument, es müssten alle mitmachen, nur vorgeschoben war. Weder in Cannes noch in Brüssel hat irgendjemand etwas davon bemerkt, dass Großbritannien dafür geworben hätte, andere mit ins Boot der FTT-Steuer zu holen. Man will sie einfach nicht, weil man sich als Interessenvertreter des Londoner Finanzplatzes sieht.

Dem deutschen Finanzminister ist somit absolut Recht zu geben: „Wir müssten 20 Jahre warten, wenn wir auf die letzte Insel auf diesem Planeten warten würden“, sagte Schäuble in Brüssel. Nur müssten die Euro-Europäer jetzt einen Zahn zulegen, um die FTT möglichst rasch in ihrer Zone einzuführen, bevor neue Bedenkenträger am Horizont aufkreuzen. Praktikable Modelle dafür liegen längst vor. Nur wenn jetzt tatsächlich damit begonnen wird, ist auch die Hoffnung darauf berechtigt, neue Dynamik zu erzeugen und andere mitzuziehen. Wenn nicht, könnte schnell ein Kipppunkt erreicht werden, hinter dem der Schwung wieder abebbt und das FTT-Projekt auf weitere Jahre hinaus in den Mühlen der Eurokratie versandet. Niemals war der Slogan "FFT Now!" aktueller.

Finanzmaerkte regulieren und Einkommen gerecht verteilen

Aufruf von über 50 Wissenschaftlern

Die öffentliche Diskussion um die „Schuldenkrise“ vor allem in Griechenland, aber auch Irland, Portugal, Spanien und Italien geht von einer falschen Diagnose aus und kommt so zu einer Therapie, die das Problem verschärft und nicht beseitigt. Es war keineswegs die Prasserei der öffentlichen Hand, die zu den aktuellen Zahlungsschwierigkeiten der Länder des Euro-Raums geführt hat.

Ursache des hohen Schuldenstandes war die Finanzmarkt- und Wirtschaftskrise, die vergleichsweise harmlos als Hypotheken-Kreditkrise 2007 in den USA begann, sich dann aber zu einer globalen Krise von historischem Ausmaß weiterentwickelt hat. Es handelt sich dabei um eine Krise des finanzmarktgetriebenen Kapitalismus, der auf spekulativen Blasen beruht, die zwangsläufig irgendwann platzen müssen. Als es soweit war, waren die Banken von Insolvenz bedroht und die Staaten eilten ihnen mit Milliardenkrediten und Bürgschaften zur Hilfe. Gleichzeitig führte die Kreditklemme der Banken zu einer Rezession, wie man sie seit 1949 nicht mehr erlebt hatte. Damit stiegen die Ausgaben der Staaten extrem und die Einnahmen brachen weg. Die „Schuldenkrise“ ist also keine neue Krise, sondern die Fortsetzung der globalen Finanzkrise. Dazu kommt das Problem, dass der Eurozone eine einheitliche Sozial-, Steuer- und Lohnpolitik fehlt, weil die marktradikale Ideologie trotz einheitlicher Währung an der Konkurrenz der Euro-Staaten auf den Weltfinanzmärkten festhielt.

Die von der EU verordneten Kürzungsprogramme haben in den betroffenen Ländern das Gegenteil von dem bewirkt, was sie erreichen sollten. Nicht nur die Wirtschaftskrise wurde verschärft, sondern auch noch die Schuldenkrise selbst. Die betroffenen Länder werden systematisch in die Rezession getrieben. Schuldenbremsen und Stabilitätsversprechen sind in einer solchen Situation reine Augenwischerei.

Dagegen wurde das Prinzip des finanzmarktgetriebenen Kapitalismus nicht angetastet. Die angebliche Regulierung der Finanzmärkte durch neue EU-Gesetze folgte dem Irrglauben, Transparenz der Märkte führe zu erhöhter Sicherheit. Die Banken-Stresstests erweisen sich als Fata Morgana – tatsächlich würden die Banken eine Griechenlandpleite nicht überleben und deshalb sollen jetzt wieder die Staaten nach dem Willen der EU frisches Geld zur Verfügung stellen. Das Prinzip der Kapitalverkehrsfreiheit wurde nicht angetastet, die Finanzmärkte bleiben unreguliert, und die Banken und Anteilseigner streichen weiter, ohne selbst Leistung erbringen zu müssen, hohe Gewinne ein.

Europa steht vor der Wahl, in der Krise auseinander zu fallen oder Wege zu einem anderen Wirtschaftsmodell einzuschlagen. Erste Schritte auf diesem Weg müssen in der Entmachtung der „Finanzindustrie“ durch eine scharfe Regulierung und die Einführung von Kapitalverkehrskontrollen bestehen. Der Anteil leistungsloser Einkommen am Volkseinkommen ist drastisch zu senken, indem z.B. Spekulationsgewinne hoch besteuert werden und eine Finanztransaktionssteuer eingeführt wird, die die Finanzmärkte deutlich entschleunigt. Gleichzeitig sind z.B. über Mindestlöhne die Einkommen der arbeitenden Menschen zu erhöhen. Ein Schuldenschnitt ist unvermeidbar, es kommt aber dabei darauf an, wie er gestaltet wird. Es braucht ein Verfahren, das es ausschließt, dass weiter die Gewinne privatisiert und die Kosten sozialisiert werden. Das Hoffen auf eine freiwillige Beteiligung der Finanzindustrie ist müßig. Die Banken müssen einer gesellschaftlichen Kontrolle unterworfen werden, große Vermögen müssen durch die Einführung einer Vermögenssteuer an den Kosten der Krise beteiligt werden.

Das ist das Gegenteil der vorherrschenden Krisenpolitik, einer Krisenpolitik, die hoffnungslos delegitimiert ist. Die Menschen empören sich darüber, dass die Politik die Interessen der 99% ignoriert und die Demokratie dem sog. freien Markt unterordnet. Mit der Occupy-Bewegung entsteht weltweit Widerstand gegen diese Politik. Wir rufen alle Bürgerinnen und Bürger auf, sich der Bewegung anzuschließen.

Die Liste der Unterzeichner finden Sie >>> hier.

8. November 2011

Das inkrementelle Scheitern der G20: Wo stehen wir nach Cannes?

Da sind sich wieder einmal alle einig: Das war ein Gipfel der Enttäuschungen, der verpassten Chancen und letztlich des Scheiterns. Dabei ist das Versagen nicht einmal darauf zurückzuführen, dass die erneute Zuspitzung der Eurokrise die eigentliche Agenda in den Hintergrund gedrängt hätte. Auch ohne Eurokrise wären die Ergebnisse des G20-Gipfels kaum besser ausgefallen. Es ist ein inkrementelles Scheitern – Schritt für Schritt.

Gewiss – es war ein Novum, dass Europa so sehr ins Zentrum dieses „ersten Forums unserer internationalen wirtschaftspolitischen Koordinierung“ (so die G20 in Pittsburgh über sich selbst) gerückt ist. Richtig ist auch, dass dieses Europa eher eine Belastung als eine Inspirationsquelle für diese G20 ist, die sich ihrerseits als „eine aufgeblasene Variante der nutzlosen G8“ erweist, so ein Schweizer Ökonom in der letzten Woche. Das offizielle Motto der Tagung forderte „neue Ideen für eine neue Welt“ („Nouveau monde – nouvelles idées“). Doch beherrschend waren die alten Querelen und das alte Schneckentempo, in dem sich – wenn überhaupt – Veränderungen Bahn brechen.

So beginnt meine ausführliche Auswertung des Gipfels von Cannes, die jetzt online ist >>> hier.

4. November 2011

Das war es - live aus Cannes

So, das war er, der Live-Blog vom G20-Gipfel. Eine ausführliche und detaillierte Analyse der Gipfel-Ergebnisse erscheint Anfang nächster Woche auf www.weltwirtschaft-und-entwicklung.org.

Cannes: Der IWF als lachender Dritter

Zwischen der Dominanz der Eurokrise und der mindestens halb entgleisten französischen Agenda erweist sich wieder einmal der Internationale Währungsfonds (IWF) als lachender Dritter. Zwar kam es nicht zu der erneuten Verdoppelung seiner „Feuerkraft“, über die noch gestern Abend und heute früh spekuliert wurde. Doch sichtlich gut gelaunt erläuterte IWF-Chefin Christine Lagarde hier auf dem Gipfel, dass die G20 künftig für unbegrenzte finanzielle Ressourcen des Fonds gerade stehen werde, damit dieser seine „systemischen Aufgaben“ wahrnehmen könne, „whatever it costs“. Sie bezog sich dabei auf die folgende Passage im Gipfel-Kommuniqué:

„Wir werden sicherstellen, dass der IWF auch in Zukunft über die Ressourcen verfügen wird, um seine systemische Rolle zum Vorteil seiner gesamten Mitgliedschaft zu spielen, aufbauend auf den substanziellen Ressourcen, die wir bereits seit London 2009 mobilisiert haben. Wir stehen bereit, um sicherzustellen, dass zusätzliche Ressourcen rechtzeitig mobilisiert werden können und beauftragen unsere Finanzminister, bis zu ihrem nächsten Treffen eine Reihe verschiedener Aufbringungsoptionen auszuarbeiten, darunter bilaterale Beiträge zum IWF, Sonderziehungsrechte und freiwillige Beiträge zu einer IWF-Sonderstruktur, etwa ein Sonderkonto.“

Das sei zwar kein Blankoscheck, aber doch ein starkes Votum für den IWF, dessen Bedeutung in den kommenden Finanzkrisen sicher nicht abnehmen werde. Überhaupt nehme Lagarde aus Cannes viel mit zurück nach Washington, vom vierteljährigen Monitoring der Berlusconi’schen Reformen, um die die Italiener gebeten haben, bis hin zur Schaffung einer neuen Kreditlinie, die sie schon bald im Executive Board beantragen werde.

Und auf eine weitere Innovation im Kommuniqué wies Lagarde hin, den Aufruf an internationale Organisationen, vor allem die UN, die WTO, die ILO, die Weltbank, den IWF und die OECD, „ihren Dialog und ihre Zusammenarbeit voranzubringen, einschließlich der sozialen Konsequenzen ihrer Wirtschaftspolitiken, und ihre Koordination zu intensivieren.“ Die Berücksichtigung der sozialen Konsequenzen sei eine besondere Herausforderung für IWF und ILO, die im letzten Jahr – noch unter Lagardes Vorgänger Strauss-Kahn – eine neuartige Kooperation vereinbart haben. Recht hat sie – doch es bleibt abzuwarten, wie dieser neue Zungenschlag vor Ort, „on the ground“, bei der Durchführung der diversen IWF-Missionen, ankommen wird.

Cannes G20-Gipfelkommunique veroeffentlicht

Das Gipfelkommuniqué von Cannes ist soeben veröffentlicht worden >>> hier. Die Analyse und Kommentierung folgt.

Nichts neues im Kampf gegen Steuerflucht

Großspurig verkündete OECD-Generalsekretär Angel Gurría in Cannes: „Die Ära des Bankgeheimnisses ist vorbei.“ So lautet der Titel seines Berichts an die G20-Regierungschefs. „Mission accomplished“, könnte man also denken. Denn genau dies, das Ende des Bankgeheimnisses und das Ende der Steueroasen hatten die G20 bereits vor über zwei Jahren auf dem Gipfel in London verkündet. Ein ähnliches Lied singt der Fortschrittsbericht zum Thema Steuertransparenz 2011, den das OECD-Forum für Steuerfragen der G20 in Cannes überreicht hat. Doch die Fortschrittsbehauptungen werden auch durch ständiges Wiederholen nicht richtiger.

Alle G20-Länder haben inzwischen die OECD-Konvention über gegenseitige Unterstützung in Steuerfragen unterzeichnet. Die Konvention soll den gegenseitigen Informationsaustausch bei der Bekämpfung der Steuerflucht unterstützen. Dieser erfolgt allerdings lediglich auf Anfrage, wobei die Rechercheure schon ziemlich genau wissen müssen, was sie wissen wollen. Die Vereinbarungen bleiben also deutlich unter der Forderung nach einem automatischen Informationsaustausch. Der sog. OECD-Standard erlaubt Ländern wie der Schweiz und Luxemburg sogar, weiterhin an ihrem Bankgeheimnis festzuhalten und dem Druck nach weitergehenden Veränderungen zu widerstehen. Ähnliches gilt für die Forderung nach einem Country-by-country-Reporting von internationalen Konzernen und Banken. Auch dies ist bislang nicht vorgesehen, so dass konzerninterne Verrechnungspreise und andere clevere Steuervermeidungsstrategien weiterhin an der Tagesordnung bleiben. – Nichts Neues also im Kampf gegen Steueroasen im Festivalpalast von Cannes, in dem sinnigerweise auch ein Kasino untergebracht ist.

3. November 2011

Bill Gates als Gipfellichtblick

Für die einen verschaffte er „Erholung von der griechischen Tragödie“ (so Bonos NGO One), für die anderen war es ein „heller Spot auf einem ansonsten düsteren Gipfel“ (so das internationale Netzwerk ActionAid). Es geht um den heute veröffentlichten Bericht über innovative Entwicklungsfinanzierung, den Bill Gates im Auftrag für die G20 verfasst hat (>>> Der Gipfel von Cannes in Dokumenten). Wenngleich der Report ein ganzes Spektrum von Finanzierungsquellen abhandelt und dabei die reichen Industrieländer auch an die Einhaltung ihrer traditionellen Entwicklungshilfezusagen erinnert und Vorschläge zur Mobilisierung finanzieller Ressourcen innerhalb der armen Länder unterbreitet (z.B. durch die Verbesserung der Steuersysteme), ist er von seltener Klarheit in Bezug auf die Einführung einer Finanztransaktionssteuer (FTT). Darüber hinaus plädiert er für CO2-Steuer auf Flugzeuge und Schiffstransporte sowie für eine Tabak-Solidaritätssteuer.

Geradezu enthusiastisch findet Oxfam dieses Plädoyer und hofft, dass es die bisherigen Befürworter wie Frankreich und Deutschland ermutigt, die Skeptiker wie Kanada, die USA und Großbritannien zu überzeugen. Die französischen Gastgeber verstehen diesen Gipfel inzwischen als eine wichtige Etappe für die Formierung einer „Koalition der Willigen“, die bereit ist, auf dem Weg der FTT-Einführung voranzugehen. Dabei ist es von großer Bedeutung, dass der französische Präsident soeben bekannt geben konnte, dass sich in der ersten Runde der Arbeitssitzungen auch Brasilien und Argentinien prinzipiell für die FTT ausgesprochen haben. Dies deshalb, wie der Sprecher einer französischen NGO heute erläuterte, weil eine exklusiv europäische FTT-Front ohne Unterstützung aus dem Süden Gefahr laufen würde, aller steuerlichen Mehreinnahmen für die finanzielle Bewältigung der europäischen Schuldenkrise zu verwenden.

Der Gates-Bericht ist dieser Gefahr nicht erlegen, sondern tritt klar und deutlich für die Verwendung eines Großteils der Neueinnahmen zugunsten von Entwicklung und Klimaschutz ein. Und je nach Berechnungsweise geht es um eine Menge Geld. O-Ton Bill Gates: „Einige Berechnungen kommen zu dem Ergebnis, dass selbst eine kleine Steuer von zehn Basispunkten auf Aktien und zwei Basispunkten auf Anleihen Erträge von 48 Mrd. Dollar G20-weit erbringen würde oder 9 Mrd. Dollar bei Beschränkung auf die größeren europäischen Ökonomien. Andere FTT-Vorschläge bieten weit höhere Schätzungen, und zwar zwischen 100 und 250 Mrd. Dollar pro Jahr, vor allem wenn Derivaten mit eingeschlossen werden.“

G20-Gipfel: Angesteckt und handlungsunfaehig

„L’Histoire s’écrit à Cannes“ steht immer noch auf den Bannern, die die Gastgeber an jedem zweiten Laternenpfahl haben aufhängen lassen. Doch Geschichte wird in Cannes nicht geschrieben werden – jedenfalls nicht so, wie sich das die französische Präsidentschaft einmal vorgestellt hat: Cannes sollte zu einem zweiten Bretton Woods mutieren, mit der Proklamation einer neuen internationalen Währungsordnung und einer gestärkten ökonomischen Governance über die globalen Finanzmärkte. Das kam jetzt alles anders, weil ein kleines Land gegen das Austeritätsregime der EU, des IWF und der Deutschen Bundesbank, sorry: der EZB, revoltiert und sein verzweifelter sozialdemokratischer Premierminister mit einem Volksentscheid die Flucht nach vorne antreten will.

Statt die mit der globalen Finanzkrise einhergehende Ansteckungsgefahr zu bannen, sind die G20 also selbst angesteckt worden. Keine großen Visionen, sondern kurzfristiges Krisenmanagement ist jetzt das Gebot der Stunde. Dabei ist die Annahme ziemlich unrealistisch, dass die G20 den Brandherd, den die EU nicht unter Kontrolle bringt, wird löschen können. In der Gründungsphase der G20 wurde gesagt, ein wesentlicher Existenzgrund sei der Umstand, dass nach der Asienkrise und der globalen Finanzkrise auch die großen Akteure der aufstrebenden Welt mit ins Boot geholt werden mussten. Das ist geschehen. Gegenüber Griechenland ist dergleichen nicht im Gespräch. Die großen Schwellenländer sind inzwischen zwar die Stabilitätsanker der Weltwirtschaft. Griechenland gegenüber sind sie aber ziemlich ratlos und die G20 als Gruppe auch handlungsunfähig, weil sie nur für sich selbst Willensbekundungen abgeben kann.

Hinter dieser Ungleichbehandlung von Kleinen und Großen verbirgt sich das bis heute ungelöste Legitimationsproblem der G20: Sie sind ein exklusiver Klub, der nur die wirtschaftliche stärksten Player einschließt. Die Hotspots der europäischen Schuldenkrise, von Irland über Portugal bis Griechenland, gehören nicht dazu. Sie müssen sich von anderen EU-Mitgliedern und der Europäischen Kommission mit vertreten lassen. Und wenn sie das nicht wollen oder können – dann müssen sie eben raus, wie wir seit der Pressekonferenz von Merkel und Sarkozy heute Nacht wissen.

2. November 2011

Starker Einbruch der Entwicklungshilfe prognostiziert

Nach neuesten Berechnungen von Oxfam wird die weltweite Entwicklungshilfe bis Ende 2012 um rund 9,5 Mrd. US-Dollar einbrechen. Dies wäre der schwerste Rückgang seit 15 Jahren. Die Schätzungen basieren auf der aktuellen und prognostizierten Entwicklung der Entwicklungshilfe-Budgets der OECD-Staaten. Die massiven Kürzungen in Italien, den USA, Spanien und den Niederlande belaufen sich auf rund 11,2 Mrd. Dollar und werden nur zum geringeren Teil durch Steigerungen in Australien und, in noch kleinerem Umfang, in Deutschland und Großbritannien kompensiert.

Anlässlich des G20-Gipfels in Cannes fordert Oxfam, statt die Hilfe massiv zu kürzen, sollten sich die Industrieländer lieber an ihre früher abgegebenen Versprechen erinnern. Es sei schamlos, die ärmsten Völker für die Austeritätspolitik der Reichen büßen zu lassen. Entwicklungshilfe macht nur einen kleinen Anteil am Einkommen der reichen Nationen aus; in der restlichen Welt leben mehr hungernde Menschen als in Nordamerika und Europa zusammengenommen: „Wie kann man denen erzählen, dass es kein Geld für Entwicklungshilfe, während die Boni der Banker, die die Krise verursacht haben, explodieren?“ – so Oxfam-Sprecher Jörn Kalinski in Cannes.

Als Alternative fordert Oxfam wie viele hier am Rande des Gipfels die unverzügliche Einführung einer Finanztransaktionssteuer und eine Emissionsabgabe auf den internationalen Schiffsverkehr. Die Bundesregierung sollte sich, wie Frankreich, klar zur Verwendung eines wesentlichen Teils der Steuereinnahmen zur Unterstützung armer Länder bekennen.

Kapitalkontrollen: Wenn die G20 doch einmal schweigen wuerden

Ein Kommentar von Jose Antonio Ocampo, Stephany Griffith-Jones und Kevin P. Gallagher

Als der französische Präsident Nicolas Sarkozy als Gastgeber des diesjährigen G20-Gipfels, der am 3. und 4. November in Cannes stattfinden wird, die Zügel übernahm, forderte er den Internationalen Währungsfonds auf, einen erzwingbaren „Verhaltenskodex“ für den Einsatz von Kapitalkontrollen (oder, wie wir lieber sagen, Kapitalbilanzregeln) in der Weltwirtschaft zu entwickeln. Der IWF kam dem nach und veröffentliche im vergangenen April eine Reihe vorläufiger Leitlinien.

Auf der Tagesordnung der G20, die auf eine Stärkung der Finanzregulierung abzielt, fehlt die Regulierung grenzüberschreitender Kapitalflüsse seltsamerweise. Dabei sie sind ein zentrales Element bei der finanziellen Volatilität, die die Rufe nach stärkerer Regulierung überhaupt erst hat aufkommen lassen. Der IWF hat nachgewiesen, dass jene Länder, die Kapitalbilanzregeln einsetzten, zu den während der schlimmsten Phase der globalen Finanzkrise am wenigsten stark betroffenen Ländern gehörten. Seit 2009 akzeptiert er, dass derartige Regeln nützlich sind, um den massiven Zufluss von „heißem Geld“ in die Schwellenmärkte unter Kontrolle zu halten, und empfiehlt sie sogar.

Trotzdem ist der vom IWF vorgeschlagene Kodex, auch wenn er ein Schritt in die richtige Richtung ist, fehlgeleitet. Eine Billigung der Leitlinien des Fonds durch die G20 wäre daher für eine Weltwirtschaft, die gerade versucht, sich von einer Finanzkrise zu erholen und zugleich die nächste zu verhindern, unklug.

Angesichts niedriger Zinsen und einer langsamen Konjunkturerholung in den entwickelten Ländern, die mit hohen Zinsen und einem hohen Wachstum in den Schwellenmärkten einherging, strömten die Investoren in Scharen von Ersteren in Letztere – nach Brasilien, Chile, Südkorea, Taiwan und anderswo. In den letzten Monaten dann flohen sie aus diesen Schwellenländern, was einmal mehr zeigte, wie volatil und gefährlich derartige Kapitalflüsse sind...

... lesen Sie den kompletten Kommentar >>> hier.

Griechische Ueberraschung ueberschattet Gipfel

Damit hatte hier wohl keiner gerechnet, weder die Gipfelkritiker auf dem Alternativgipfel in Nizza noch die Heerschar der offiziellen Delegationen in Cannes. Die Überraschung war perfekt, als der griechische Ministerpräsident George Papandreou ankündigte, über das letzte Woche beschlossene jüngste Rettungspaket von EU und IWF für Griechenland ein Referendum abzuhalten. Natürlich ist es völlig legitim, wenn ein Politiker dem Volk die letztliche Entscheidung über ein so einschneidendes Maßnahmenpaket überlässt. Aber wie bestimmte Oppositionspolitiker in Deutschland, die jetzt die Trennung von Geschäfts- und Investmentbanken fordern, sich fragen lassen müssen, ob sie dies nicht auch schon wussten, als sie noch an der Regierung waren, muss die Frage erlaubt sein, warum Papandreou dies nicht schon in der vergangenen Woche auf dem EU-Gipfel in Brüssel ansprach.

Die neue Eurokrise 2.0, die jetzt sicherlich kommen wird, belastet den G20-Gipfel in mehrfacher Weise, noch bevor er überhaupt begonnen hat. Die G20 hatte gehofft, dass Europa seine Probleme im Grundsatz noch vor dem Gipfel lösen würde, um bei den Hauptgipfelthemen, etwa der Finanzmarktregulierung, dem Umgang mit systemrelevanten Banken (SIFIs) und dem Ausgleich zwischen Überschuss- und Defizitländern, voranzukommen. Die griechische Überraschung kommt jetzt der Aufforderung „Zurück zum Start“ gleich.

Auch die ehrgeizige französische G20-Agenda mit dem Ziel eines neuen internationalen Währungssystems dürfte jetzt weiter entgleisen (>>> Der Gipfel von Cannes: Der Lack ist ab). Wie soll von Europa der Schwung zur Reform des globalen Währungssystems ausgehen, wenn die eigene Gemeinschaftswährung voller Konstruktionsfehler ist und deshalb von der einen zur nächsten Krise strauchelt? – Man wird abwarten müssen, was die Krisentreffen von Sarkozy, Merkel, Barroso, Papandreou und der Chefs diverser internationaler Organisation heute am frühen oder späteren Vorabend des Gipfels ausrichten werden. Die Rücknahme des griechischen Referendums wird man von Papandreou nicht erwarten können – es sei denn man wollte ihn gleich für politisch tot erklären. Bei den Protestlern gestern in Nizza ist er mit seiner Entscheidung jedenfalls auf neue Sympathie gestoßen.