18. September 2011

Rollentausch zwischen Nord und Süd oder Normalisierung?

Wie viele europäische Staatsanleihen die Chinesen am Ende auch kaufen werden, alleine die Tatsache, dass seit letzter Woche ernsthaft darüber diskutiert wird, wie China und andere aufstrebende Wirtschaftsmächte Europa in der Schuldenkrise unter die Arme greifen können, markiert einen dramatischen Punkt. Erst kündigte Brasiliens Finanzminister Guido Mantega, von dem die Rede von den neuen „Währungskriegen“ stammt, an, dass die BRICs („Brasilien, Russland, Indien und China“) in der nächsten Woche auf ihrem Treffen in Washington diskutieren werden, wie und in welchem Umfang sie Europa helfen können. Dann räsonierte Chinas Premierminister Wen Jiabao bei der Eröffnung des „Sommer-Davos“ in Dalian/China offen über die Bereitschaft seines Landes, Europa „seine helfende Hand“ zu reichen und in die europäische Wirtschaft zu investieren.

Die „helfende Hand“ gibt es freilich nicht zum Nulltarif. Europa, dessen Länder sich noch vor wenigen Generationen an der Kolonialisierung Chinas versucht haben, hat eine Bringschuld. Aus chinesischer Sicht gehört dazu, dass Europa China in der WTO als „Marktwirtschaft“ anerkennt – ein technischer Status, der es wesentlich schwerer machen würde, China vor ein Streitschlichtungspanel der Handelsorganisation zu zerren. Und: So wie China durch seine Wachstumsraten und die begonnene strategische Umorientierung auf die Binnenwirtschaft versucht, seinen Beitrag zur weltwirtschaftlichen Erholung und Stabilität zu leisten, so solle Europa zuerst sein „eigenes Haus in Ordnung bringen“, bevor relevante Investitionssummen aus China fließen.

Letzteres klingt so wie die Europäer früher den IWF-Klienten diktierten, ihre Wirtschaft „gesund zu schrumpfen“, kann sich aber längst auf kein so festgefügtes Machtsystem stützen, wie es bis vor kurzem in der Nord-Süd-Richtung herrschte. Die Forderung nach einem besseren Status in der WTO zielt hingegen auf die Beendigung von Diskriminierung und damit auf Normalisierung – eine Zustimmung der Europäer würde „unsere Freundschaft reflektieren“ (Wen). Es ist also kein wirklicher Rollenwechsel zwischen Nord und Süd, der sich hier vor unseren Augen abspielt. Aber die Zeichen, dass sich die alten Asymmetrien auflösen, werden zunehmen, und das ist gut so.

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