3. Februar 2011

Ernährungssicherheit: Acht Punkte für G20

EILMELDUNG: FAO food price index hits record high

Weltbank-Präsident Robert Zoellick hat kürzlich neun Maßnahmen angeführt, die die G20 unter der derzeitigen französischen Präsidentschaft verabschieden sollten (>>> Nichts dazu gelernt: Weltbank und Agrarmärkte). Diese reichen von verbesserten Informationen über Getreidevorräte und besseren Methoden der Wettervorhersage bis hin zu gestärkten sozialen Sicherheitsnetzen für die Armen sowie Hilfen für Kleinbauern, damit diese von Angeboten humanitärer Kostenträger wie dem Welternährungsprogramm (WFP) der Vereinten Nationen (UN) profitieren. Diese Maßnahmen sind sinnvoll, berühren aber nicht die eigentlichen Ursachen der Krise. Der UN-Sonderberichterstatter für das Recht auf Nahrung, Olivier De Schutter (s. Foto), hat jetzt im Rahmen eines Kommentars einen Acht-Punkte-Katalog erstellt, den die G20 übernehmen sollten, um weitere Preisschocks zu verhindern:

„Als erstes sollten die G20 die Fähigkeit von Ländern unterstützen, sich selbst zu ernähren. Seit den frühen 1990ern sind die Ausgaben für Nahrungsmittel in vielen armen Ländern um das fünf- oder sechsfache gestiegen, was nicht allein dem Bevölkerungswachstum zuzuschreiben ist, sondern ebenso dem Fokus auf exportgeleitete Landwirtschaft in den betroffenen Ländern. Fehlende Agrarinvestitionen in die lokale Subsistenzwirtschaft machen diese Länder sowohl für internationale Preisschocks als auch für Wechselkursschwankungen verwundbar. Mosambik importiert z.B. 60% seines Weizenverbrauchs und Ägypten 50% des gesamten Nahrungsmittelangebots. In diesen Ländern wird die Nahrungsmittelversorgung zu akzeptablen Kosten direkt durch Preissteigerungen beeinträchtigt. Diesem Trend muss etwas entgegengesetzt werden, indem Entwicklungsländern ermöglicht wird, ihre Bauern zu unterstützen bzw. sie vor Dumping durch ausländische Produzenten zu schützen, wo das heimische Angebot bereits ausreichend ist.

Zweitens sollten Nahrungsmittelreserven angelegt werden und dies nicht nur in für Katastrophen anfälligen und infrastrukturarmen Gebieten, wie Zoellick vorschlägt, sondern auch, um stabile Einkommen für Agrarproduzenten zu fördern und um erschwingliche Nahrungsmittel für die Armen sicherzustellen. Wenn sie transparent und partizipatorisch verwaltet und zusätzlich regionale Kapazitäten gebündelt werden, können Nahrungsmittelreserven eine wirksame Methode sein, um die Marktmacht von Verkäufern zu stärken und Spekulationen von Wertpapierhändlern entgegenzuwirken, so dass Preisschwankungen limitiert werden.

Ebenso sollte drittens die Finanzspekulation begrenzt werden. Zwar ist sie nicht die Ursache von Preisschwankungen, aber diese werden durch Spekulationen mit Derivaten wesentlicher Nahrungsmittelrohstoffe maßgeblich verschlimmert. Solche Spekulationen wurden durch die im Jahr 2000 beginnende massive Deregulierung der Rohstoff-Terminmärkte ermöglicht – und das muss jetzt rückgängig gemacht werden. Die großen Volkswirtschaften sollten gewährleisten, dass der Zugang zu solchen Derivaten so weit wie möglich auf qualifizierte und sachkundige Investoren begrenzt wird, die ihre Erwartungen durch Grundkenntnisse des Marktes stützen und sich nicht durch kurzfristige Spekulationsgewinne leiten lassen.

Viertens befürchten viele notleidende Entwicklungsländer, dass soziale Sicherheitsnetze, wenn sie einmal eingeführt sind, aufgrund plötzlicher Verluste von Exporteinkommen, schlechten Ernten oder steilem Preisanstieg von Nahrungsmittelimporten finanzpolitisch unhaltbar werden. Die internationale Gemeinschaft kann helfen, diese Zurückhaltung zu überwinden, indem sie globale Rückversicherungsmechanismen einrichtet. Wenn Prämien teilweise durch versicherungsnehmende Staaten bezahlt und durch Geberbeiträge angepasst werden, hätten Länder einen starken Anreiz, widerstandsfähige Programme für soziale Sicherung zu realisieren.

Fünftens brauchen die Bauernverbände Unterstützung. Ein Hauptgrund, warum die Mehrheit der Hungernden zu denen gehört, die in Abhängigkeit zu landwirtschaftlichen Kleinbetrieben stehen, liegt darin, dass diese unzureichend organisiert sind. Durch die Bildung von Genossenschaften können sie in der Wertschöpfungskette in die Aufbereitung, Verpackung und ins Marketing ihrer Produkte aufrücken. Sie können ihre Verhandlungsposition sowohl für Eingangskäufe als auch für den Verkauf ihrer Erzeugnisse verbessern. Und sie können eine wichtige politische Interessengruppe werden, so dass Entscheidungen über sie nicht mehr ohne sie getroffen werden.

Wir müssen sechstens den Zugang zu Land schützen. Jedes Jahr wird eine Fläche, die größer als Frankreichs landwirtschaftliche Nutzfläche ist, an ausländische Investoren oder Regierungen abgetreten. Dieser Landraub, der meistens in Subsahara-Afrika stattfindet, stellt eine der größten Bedrohungen für die zukünftige Ernährungssicherheit der betroffenen Bevölkerung dar. Egal welche Gewinne aus der Agrarproduktion resultieren – von diesen Investitionen werden ausländische Märkte und nicht die lokalen Gemeinden profitieren. Die G20 könnten ein Moratorium dieser großangelegten Investitionen fordern, bis eine Einigung über geeignete Spielregeln erreicht ist.

Siebtens muss der Übergang zu nachhaltiger Landwirtschaft abgeschlossen werden. Wetterereignisse sind eine wesentliche Ursache für Preisschwankungen auf Agrarmärkten. In der Zukunft kann erwartet werden, dass durch den Klimawandel mehr Angebotsschocks verursacht werden. Zusätzlich gilt der Landwirtschaftssektor als Hauptverursacher des Klimawandels. Er ist verantwortlich für 33% aller Treibhausgas-Emissionen, wenn man Entwaldung für Kultivierung und Weideflächen mit einrechnet. Wir brauchen landwirtschaftliche Systeme, die widerstandsfähiger gegenüber dem Klimawandel sind und die einen Beitrag zu seiner Verminderung leisten. Die Agrarökologie verweist auf Lösungen, aber es ist tatkräftige Unterstützung durch Regierungen erforderlich, um existierende Erfolgsmethoden zu verbessern.

Schlussendlich müssen wir achtens das Menschenrecht auf Nahrung verteidigen. Menschen leiden nicht deshalb Hunger, weil zu wenig Nahrung produziert wird, sondern weil ihre Rechte ungestraft verletzt werden. Hungeropfern muss ermöglicht werden, Rechtsmittel in Anspruch zu nehmen, wenn ihre Regierungen dabei scheitern, effektive Maßnahmen gegen Nahrungsmittelunsicherheit zu ergreifen. Regierungen müssen ein Existenzminimum, ein ausreichendes Gesundheitswesen und sichere Bedingungen für die weltweit 450 Millionen landwirtschaftlichen Arbeiter garantieren, indem sie Abkommen über Arbeitnehmerrechte in ländlichen Gebieten durchsetzen und einer unabhängigen Überwachung unterstellen.“

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