29. November 2010

Nachgelesen: Stiftung fordert Ministerium für globale Fragen

Ein Ministerium für globale Fragen forderte in der letzten Woche auf dem Entwicklungspolitischen Forum in Berlin die Ko-Vorsitzende der Heinrich-Böll-Stiftung, Barbara Unmüßig. Das neue Haus soll – über die traditionelle Entwicklungspolitik im engeren Sinne hinaus – die diversen entwicklungsrelevanten Politikbereiche bündeln, die heute vielfach noch in anderen Ressorts angesiedelt sind: von der Klimapolitik bis zur Krisenbekämpfung und –prävention, von der Handels- bis zur Agrarpolitik und natürlich die immer noch im Auswärtigen Amt angesiedelte humanitäre und Katastrophenhilfe.

In ihrer programmatischen Rede verlangte Unmüßig nicht nur andere Ressortzuschnitte, die den Sektoralismus und das „Silodenken“ überwinden. Letztlich gehe es um mehr Entwicklungsdenken im gesamten Regierungshandeln. Zu dem vorgestellten entwicklungspolitischen Reformkatalog gehören u.a. das auch von der Stiglitz-Kommission im letzten Jahr ins Gespräch gebrachte Internationale Panel für systemische Risiken, das nach dem Muster des IPCC in der Klimapolitik wissenschaftlich abgestützte Vorschläge für eine Verbesserung globaler und regionaler Governance-Strukturen und eine stärkere Europäisierung der Entwicklungspolitik. Reizvoll an der europäischen Ebene sei nicht nur das im Maastricht-Vertrag verankerte Kohärenzgebot (der „kategorische Imperativ der Entwicklungspolitik“), sondern auch dass dieses von einem Berichterstatter für Kohärenzpolitik regelmäßig auf seine Umsetzung kontrolliert werden soll und dass es einen (zwar schwachen, aber immerhin) Folgeabschätzungsmechanismus gebe. Allerdings fehlt auch auf EU-Ebene ein Beschwerdemechanismus für Betroffene, wie ihn die Weltschaft mit dem Inspection Panel geschaffen habe.

Immerhin lässt sich so schon heute von der europäischen Ebene auch für die deutsche Entwicklungspolitik einiges lernen. Unmüßig forderte in diesem Zusammenhang u.a. einen Folgeabschätzungsmechanismus für die deutsche Entwicklungspolitik und unterstützte die im letzten „Peer Review“ der OECD enthaltenen Forderung nach einem „Rahmenwerk für Politikkohärenz“ in Deutschland. – Dies alles sind anspruchsvolle Schritte, die natürlich auch Machtveränderungen auf der Regierungsebene voraussetzen, ohne die aber eine radikale Trendumkehr in der deutschen Entwicklungspolitik kaum zu haben sein wird.

25. November 2010

DAC-Vorsitzender warnt vor westlicher Überheblichkeit

Das Motto des Entwicklungspolitischen Forums der Heinrich-Böll-Stiftung („Weiterdenken!“) in dieser Woche, schien dem Vorsitzenden des Entwicklungshilfe-Ausschusses (DAC) der OECD, Eckhard Deutscher, nicht weit genug zu gehen. „Wir müssen weiterdenken. Wir müssen gegen den Strich denken, wir müssen querdenken“, rief er den über 300 TeilnehmerInnen in Berlin zu. Die zentrale Herausforderung für die Entwicklungspolitik sieht Deutscher im Aufstieg eines „neuen Kapitalismus“ im Süden des Globus. Dieser sei die Alternative zur „alten Selbstherrlichkeit des Westens“, warnte er. Wenn es der traditionellen Entwicklungspolitik nicht gelänge, mit ihren Lebenslügen Schluss zu machen, „stehen wir bald ziemlich alleine da“.

Eine dieser Lebenslügen sieht Deutscher in dem Glauben, es gäbe Möglichkeiten zur Renationalisierung der Globalpolitik. Das von der deutschen Entwicklungspolitik praktizierte „Anteilssystem“ (zwei Drittel der Ausgaben für bilaterale Leistungen, aber höchstens ein Drittel für multilaterale Organisationen) müsse deshalb schleunigst aufgegeben werden, forderte Deutscher. Überhaupt hätten die Europäer den größten Reformbedarf in der internationalen Zusammenarbeit. Warum beispielsweise gebe es bis heute keine Europäische Entwicklungsbank, wie sie seit langem gefordert wird?

Die Glaubwürdigkeit der westlichen Position in der Entwicklungspolitik werde heute nicht nur durch die enorme Süd-Süd-Dynamik der letzten Jahre herausgefordert. Sie hänge auch daran, ob die eigenen Zusagen gegenüber dem Süden eingehalten werden. Das alte Ziel, 0,7% des Bruttonationaleinkommens für öffentliche Entwicklungshilfe zur Verfügung zu stellen, müsse deshalb unbedingt realisiert werden. Niemand im Süden nehme uns sonst mehr ernst. Eindringlich warnte Deutscher auch davor, sich jetzt klammheimlich aus den Millennium-Entwicklungszielen „hinauszustehlen“. Der DAC-Vorsitzende plädierte in diesem Zusammenhang nicht zuletzt dafür, die neuen Anforderungen der Finanzierung von Klimaschutz und Anpassung an den Klimawandel strikt von der „alten“ Entwicklungsfinanzierung zu trennen (solange es noch so viel Armut auf der Welt gibt).

Deutscher spießte noch andere Missstände auf, die die „entwicklungspolitische Gemeinde“ kennzeichnen: die verquaste Ingroup-Sprache etwa, aber auch die hochgradige Ritualisierung der Arbeit in den multilateralen Institutionen und – nicht zuletzt – die blasse Visionslosigkeit in den Führungsetagen – nicht zuletzt auch im deutschen BMZ. Alles in allem ein überzeugendes Plädoyer dafür, die Finger in die eigenen Wunden zu legen statt auf andere zu zeigen, „die Chinesen“, „die Inder“ oder wen auch immer, die es wagen, die Monopolansprüche der alten Welt in Frage zu stellen.

16. November 2010

Zehn Jahre Weltstaudammkommission

Eine Globalisierungsbaustelle der besonderen Art feiert Geburtstag: Vor zehn Jahren, am 16.11.2010, stellte Nelson Mandela in London die Ergebnisse der zweijährigen Arbeit der Weltstaudammkommission (WCD) vor. Die Kommission war gebildet worden, nachdem die Proteste gegen die negativen Folgen von Großstaudämmen immer mehr zunahmen und auch die Weltbank wegen ihrer Finanzierung von Dämmen in die Schusslinie geriet. Initiatoren waren u. a. die Weltbank und IUCN („The World Conservation Union“. Der Auftrag der Kommission bestand darin, die Wirksamkeit von Großstaudämmen im Entwicklungsprozess zu prüfen und Alternativen für die Nutzung von Wasserressourcen und zur Energiegewinnung zu begutachten sowie international annehmbare Kriterien für Planung, Bau und Betrieb von Staudämmen zu entwickeln.

In ihrem Schlussbericht (>>> Dams and Development: A New Framework for Decision-Making) benannte die WCD sieben strategische Prioritäten für den Bau von Staudämmen:
* die Gewinnung von Akzeptanz,
* eine umfassende Analyse von Alternativen,
* die Altlasten existierender Dämme zu beheben,
* Flüsse und Lebensgrundlagen zu erhalten,
* Ansprüche anzuerkennen und den Nutzen zu teilen,
* die Einhaltung von Abmachungen und
* Flüsse für Frieden, Entwicklung und Sicherheit zu teilen.

„Das Vorgehen der Kommission war bahnbrechend, da sich erstmalig Befürworter und Kritiker dieser Technologie zusammensetzten und gemeinsam Empfehlungen erstellten, wie künftig die negativen Folgen für die Projektbetroffenen vermieden können“, sagt Heffa Schücking von der NGO urgewald. Die Kommission stellte fest, dass 40 bis 80 Millionen Menschen weltweit für Großstaudämme vertrieben und zwangsumgesiedelt wurden. Sie forderte neue partizipative Verfahren und Mitspracherechte für Flußanrainer bei Entscheidungen über Talsperren, um sicher zu stellen, dass nur solche Projekte in Angriff genommen werden, die verträgliche Lösungen für Mensch und Umwelt anbieten.

Doch auch dieser Fortschritt muss immer wieder verteidigt werden. „Die Wasserkraftindustrie versucht zur Zeit verstärkt, die Standards der WCD zu unterlaufen und ein eigenes unverbindliches Protokoll als Alternative zu etablieren“, so Schücking. „Wir fordern die Bundesregierung auf, das Protokoll nicht zu unterstützen und staatliche Unterstützung wie die Vergabe von Hermesbürgschaften an die Einhaltung der WCD-Empfehlungen zu knüpfen und sich dafür auch international einzusetzen.“ Bei der Vergabe einer Hermesbürgschaft für den Ilisu-Staudamm in der Türkei hatte die Bundesregierung auf die Einhaltung von Weltbankstandards gedrängt, die Empfehlungen der WCD aber weitgehend ignoriert. Im Juli 2009 zog sie die Bürgschaften zurück, da die türkische Seite zahlreiche Auflagen nicht erfüllt hatte. „Wären die WCD-Empfehlungen als Maßstab für das Projekt herangezogen worden, wäre die Bürgschaft gar nicht erst erteilt worden, da die türkische Regierung effektive Mitspracherechte für die lokale Bevölkerung stets abgelehnt hat“, meint Heike Drillisch von „GegenStrömung“, die das Ilisu-Projekt seit über zwölf Jahren verfolgt.

Der WCD-Bericht findet sich >>> hier, eine deutsche Zusammenfassung >>> hier.

13. November 2010

Video-Film: Unter Freunden

12. November 2010

G20-Gipfel verfehlt globalen Deal über Ungleichgewichte

Auf eine Vertagung des Streits über globale Ungleichgewichte und Wechselkurse in das nächste Jahr einigten sich die Vertreter der 20 wichtigsten Ökonomien in Seoul. Das geht aus den Abschlussdokumenten des Gipfels hervor (>>> G20-Gipfel in Seoul: Unsere aktuelle Dokumentation). Statt einer konkreten Übereinkunft wollen die G20 jetzt erst einmal Kriterien („indicative guidelines“) entwickeln, um Länder mit exzessiven externen Ungleichgewichten, also Länder mit untragbaren Leistungsbilanzüberschüssen und –defiziten zu identifizieren. Der IWF soll dafür bis Mitte 2011 eine Vorlage machen. Welche Konturen diese indikativen Leitlinien haben und wie sie in die Praxis umgesetzt werden sollen, wusste freilich keiner der TeilnehmerInnen der Gipfelrunde zu sagen. Immerhin bleibt das Thema so auf der Tagesordnung, und die jetzt folgende französische G20-Präsidentschaft hat somit viel Raum, um mit Ideen und Vorschlägen für ein neues globales Währungssystem zu glänzen.

Etwas konkreter wurde die G20 in Bezug auf drei andere Themen. Die Dokumente segnen die neuen Kapital- und Liquiditätsstandards des Baseler Bankenausschusses (>>> Regulierungslücken allenthalben) und die kürzlich vom IWF-Vorstand beschlossene Stimmrechts- und Governancereform (>>> Durchbruch oder Reförmchen?) ab und proklamieren einen neuen entwicklungspolitischen „Seoul Consensus“ (>>> Seoul Consensus statt Washington Consensus). Der Consensus stellt Wachstum und Infrastrukturinvestitionen als Schlüssel zu mehr Entwicklungserfolgen in den Mittelpunkt.

Unter NGOs ist der Consensus nach wie vor umstritten. Jörn Kalinski von Oxfam Deutschland zeigte sich "sehr zufrieden, dass die G20 das Thema Entwicklung nachdrücklich auf die Agenda gesetzt haben“, bemängelte aber, dass die G20 mit ihrem Aktionsplan „auf halben Weg stehengeblieben“ seien. Peter Wahl von WEED bezeichnete den Seoul Consensus als „PR-Manöver“, mit dem „alte Rezepte der Privatsektorförderung als Innovation verkauft (werden), während z.B. von der Verpflichtung von Gleneagles, die Entwicklungshilfe für Afrika bis 2010 auf 50 Mrd. Dollar zu verdoppeln, nichts mehr zu hören ist“.

Insgesamt produzierte der Gipfel mal wieder Unmengen an Papier, durch die man/frau sich erst einmal durcharbeiten muss – eine schöne Aufgabe für das Wochenende. Ungeachtet dessen kann aber schon jetzt festgehalten werden: „Vielleicht der einzige große Gewinner des Treffens war der IWF“, bemerkte heute Morgen die New Yok Times treffend. „Die G20-Führer ratifizierten die Veränderungen in der IWF-Governance…, stockten mehrere Kreditprogramme des IWF auf… und ermächtigten den Fonds, bei der Bearbeitung der Ungleichgewichte zu helfen.“

11. November 2010

Seoul Consensus statt Washington Consensus

Der heute beginnende G20-Gipfel in Seoul ist der erste, der nicht in einem der alten G7-Länder stattfindet. Und er wird – so wollen es die Gastgeber – den Aufgabenbereich der Gruppe für Fragen der internationalen Entwicklungspolitik öffnen. „Ist das wünschenswert?“, so kann man fragen. Und die Antwort wird lauten: „Das hängt davon ab…“ Die Dokumente, die bislang vorliegen, ein Development Issue Paper der koreanischen Präsidentschaft und ein an die Öffentlichkeit gelangter Kommuniqué-Entwurf vom 3. November, lassen offensichtlich höchst gegensätzliche Bewertungen zu.

Die Übereinkunft soll „Seoul Consensus for shared growth“ genannt werden – in Absetzung vom überkommenen Washington Consensus, der die Entwicklungspolitik seit den 1980er Jahren bestimmt hat. Doch Nancy Alexander vom Washingtoner Büro der Heinrich-Böll-Stiftung sieht in dem Development Issue Paper, von wenigen Ausnahmen abgesehen, gerade einen Rückfall in diesen Washington Consensus. Chang Ha-joon, mit seinem Buch „Kicking away the ladder“ einer der führenden Kritiker der WTO-Doha-Runde, sieht im Gegenteil eher einen Fortschritt in die richtige Richtung, da das „One-size-fits-all“-Modell des Washington Consensus zurückgewiesen werde. Die meisten NGOs kritisieren vor allem die Wachstumslastigkeit des neuen Ansatzes.

In der Tat wird in den kursierenden Entwürfen der Fokus der internationalen Entwicklungspolitik von der Finanzhilfe auf Investitionen, Handel und Infrastruktur verschoben. Der neue Consensus soll auf acht „Säulen“ beruhen, um Wachstum im Süden zu beschleunigen, darunter die Förderung der Infrastruktur, die Sicherung privater Investitionen, finanzielle Inklusion, soziale Sicherung, Good Governance und Ernährungssicherheit. Dies ist etwas anderes als der Dreiklang von Liberalisierung, Deregulierung und Privatisierung (Entstaatlichung), auf dem der Washington Consensus beruhte. Selbst wenn stark auf die Generierung zusätzlichen Wachstums abgehoben wird, lässt sich bestreiten, dass es im Süden lediglich mit Umverteilung gehen wird. Die Frage lautet auch hier: Welches Wachstum? Darauf gibt der Seoul Consensus wohl keine Antwort. Aber sein Ausgangspunkt lautet ja auch: „Es gibt keine alleinige Formel für Entwicklungserfolg.“

So lässt sich die eingangs gestellte Frage vielleicht wie folgt beantworten:
* Sollte der Seoul Consensus dazu dienen, die G20 von ihren Hausaufgaben, die in erster Linie in der Reform des internationalen Währungs- und Finanzsystems bestehen, abzulenken, dann brauchen wir ihn nicht.
* Wenn er vorrangig dazu dienen sollte, die alten Industrieländer aus ihren internationalen Verpflichtungen (0,7%-Ziel etc.) zu entlassen, dann ist er ebenfalls überflüssig.
* Sollte der Seoul Consensus jedoch dazu führen, das bisherige Definitionsmonopol von OECD, Weltbank und IWF zu durchlöchern und aus den Wachstums- und Entwicklungserfolgen der Schwellenländer konzeptionelle Konsequenzen zu ziehen, dann ist er höchst willkommen.

10. November 2010

G20: Wachstum vs. Armutsbekämpfung?

Chinas Weitsicht und Keynes Weisheit: Der G20 ins Stammbuch!

Als „golden opportunity“ für eine Reform des internationalen Währungssystems sieht der preisgekrönte Keynes-Biograph Robert Skidelsky die Situation am Vorabend des G20-Gipfels (>>> A golden opportunity for monetary reform). In seinen Kommentaren wies der emeritierte Professor der Warwick University und Mitglied des britischen Oberhauses in der letzten Zeit mehrfach darauf hin, dass es grob zwei Strategien gebe, um die aktuellen Leistungsungleichgewichte zu bekämpfen, die Schwächung des chinesischen Anreizes zur Bildung von Devisenreserven und die Lösung des Beschäftigungsprobleme innerhalb der Defizit- und Überschussländer. Skidelsky im Wortlaut:

Im April 2009 schlug Zhou Xiaochuan, Gouverneur der Chinesischen Volksbank, die Schaffung einer „übernationalen Reservewährung“ vor, um die „inhärenten Risiken“ einer kreditbasierten nationalen Reservewährung zu beseitigen. Diese neue Währung, die aus den Sonderziehungsrechten (SZR) entwickelt werden sollte, würde im Laufe der Zeit die nationalen Reservewährungen ersetzen.
Ein „Substitutionskonto“ beim IWF würde es den Ländern ermöglichen, ihre bestehenden Reserven in SZRs umzutauschen. Das Prinzip dahinter ist, dass eine kollektive Versicherung billiger und somit weniger deflationär wäre als eine Selbstversicherung. Chinas geringerer Appetit auf Reserven würde sich in einer Aufwertung seiner Währung und einer Verringerung seines Handelsüberschusses niederschlagen.
Dieser weitsichtige chinesische Vorschlag hat das Reißbrett nie verlassen. Stattdessen haben die USA intensiven Druck auf China ausgeübt, den Renminbi neu zu bewerten. Das Ergebnis ist ein Wortgefecht, das leicht zu etwas Schlimmerem werden könnte.
Die USA werfen China vor, seine Währung zu tief zu bewerten, während China die lockere US-Geldpolitik dafür verantwortlich macht, die Schwellenmärkte mit US-Dollar zu überschwemmen. Das US-Repräsentantenhaus hat einen Gesetzentwurf verabschiedet, der zuließe, dass Zölle auf Importe aus Ländern wie China erhoben werden, die ihre Währungen zu ihrem Vorteil manipulieren.
Unterdessen hat die Abwertung des Dollars in Erwartung einer weiteren quantitativen Lockerung dazu geführt, dass die ostasiatischen Banken ihren Dollar-Kauf verstärkt und Beschränkungen für Kapitalzuflüsse eingeführt haben, um eine Aufwertung ihrer Währungen zu verhindern. Während die asiatischen Länder versuchen, das Kapital draußen zu halten, bewegt sich der Westen in Richtung Protektionismus.
Wir können aus den Erfahrungen der 1930er Jahre lernen. Bei Flut werden alle Boote angehoben; bei Ebbe entbrennt ein hobbesscher Krieg – jeder gegen jeden.
Dies führt uns zurück zu der vorzeitigen Zurücknahme der Konjunkturmaßnahmen. Da die Gesamtnachfrage in Europa und den USA geschwächt ist, wenden sich die Regierungen selbstverständlich den Exportmärkten zu, um die Arbeitslosigkeit im eigenen Land zu verringern. Doch können nicht alle Länder gleichzeitig Handelsüberschüsse erwirtschaften. Der Versuch, dies zu erreichen, muss zwangsläufig zu einer konkurrierenden Währungsabwertung und zu Protektionismus führen.
Schon Keynes bemerkte weise: „Wenn die Nationen lernen könnten, durch ihre Innenpolitik Vollbeschäftigung herbeizuführen … gäbe es keinen dringlichen Grund mehr, warum ein Land einem anderen Waren aufzwingen oder die Angebote seines Nachbarn zurückweisen müsste.“ Der zwischenstaatliche Handel „wäre nicht mehr das, was er derzeit ist, nämlich ein verzweifeltes Hilfsmittel, um die Beschäftigung im Inland aufrechtzuerhalten, indem ausländischen Märkten der Kauf von Waren aufgezwungen und die eigenen Käufe eingeschränkt werden.“ Stattdessen führte er zu „einem freiwilligen und ungehinderten Austausch von Waren und Dienstleistungen, unter beiderseitig vorteilhaften Bedingungen.“
Mit anderen Worten: Der heutige Aufruhr über Währungen und Handel ist ein direktes Resultat unseres Versagens, unsere Beschäftigungsprobleme zu lösen.

Den G20 sei’s ins Stammbuch geschrieben!

9. November 2010

Endlich! Das Währungssystem kommt ins Bild

Endlich! Kurz vor dem G20-Gipfel in dieser Woche ist die Debatte um ein neues Weltwährungssystem voll entbrannt. Nachdem der Geithner-Plan den Weg zurück in die Zukunft (>>> Ein Ausflug nach Bretton Woods) geöffnet hatte, sagt jetzt auch Obama: „Wir können nicht weitermachen in einer Situation, in der einige Länder massive Überschüsse einfahren und andere massive Defizite einstecken.“ Unerwartete Unterstützung erhielt Obama vom indischen Premierminister Singh, der sagte, die Welt „braucht eine neue Balance zwischen Defizit- und Überschussländern“. Mit Indien plädiert erstmals ein großes Schwellenland aus dem G20-Kreis für einen Ausgleich zwischen Defizit- und Überschuss-Ökonomien in der Weltwirtschaft.

Den Coup der Woche landete allerdings Weltbank-Präsident Bob Zoellick, der in einem Gastkommentar in der Financial Times anregte, über ein neues Währungssystem nachzudenken, an dem „wahrscheinlich der Dollar, der Euro, der Yen und das britische Pfund beteiligt sein (müssen) sowie ein Renminbi, der sich auf eine Internationalisierung hin bewegt und dann auf eine offene Kapitalbilanz“. Er fügte hinzu, man sollte auch in Betracht ziehen, „Gold als einen internationalen Bezugspunkt zu Inflation, Deflation und künftigem Währungswert zu nutzen“. Immerhin nutzten die Märkte heute schon Gold „als alternative Form von Geldanlagen“.

Die letzte Bemerkung kann man getrost vergessen. Denn eine Rückkehr zum Goldstandard – in welcher Form auch immer – wäre unter den heutigen Bedingungen vor allem eine Steilvorlage für Spekulanten. Und tatsächlich hat ja Zoellicks Einlassung am nächsten Tag den Goldspekulanten einen Preissprung beschert. Doch den ersten Teil von Zoellicks Einlassungen hat man in dieser Form bislang nur von Sprechern des chinesischen Zentralbanksystems gehört oder von der Stiglitz-Kommission, die im letzten Jahr den Übergang zu einem neuen Reservesystem forderte. Es ist nicht ohne Ironie, dass jetzt der aus dem Stall der US-Republikaner stammende Weltbank-Präsident, der es gerade noch rechtzeitig vor dem Abgang der Bush-Administration geschafft hat, einen lukrativen Posten zu ergattern, die Notwendigkeit einräumt, den Dollar als Leitwährung durch ein multilaterales System abzulösen. Das sagt mehr als alles andere, wie dringlich die Diskussion um ein neues internationales Währungssystem geworden ist.

5. November 2010

Ungleichgewichte: Zurück in die Zukunft?

Der Chefkommentator der Financial Times, Martin Wolf, hat in seiner Kolumne in dieser Woche zwei Grafiken vorgestellt, die illustrieren, welche Länder die Konsequenzen des Geithner-Plans (>>> Ein Spaziergang nach Bretton Woods) am meisten treffen würden (s. Grafik). Der Plan sieht die Begrenzung der Leistungsbilanzdefizite und Überschüsse auf 4% des jeweiligen Bruttoinlandsprodukts vor und knüpft damit unmittelbar an die Vorstellungen von John Maynard Keynes auf der historischen Konferenz von Bretton Woods (1944) an. Er scheiterte damals an die USA, die sich als (damals noch) Überschussland keinen Anpassungsregeln unterwerfen wollten. Heute sind die USA im Lager der Defizitländer.


Die Grafik zeigt sehr anschaulich, dass die Länder mit „exzessiven Defiziten“ (über -4%) Spanien, die Türkei und Südafrika sind, die USA aber nicht in diese Kategorie fallen. Unter die Länder mit „exzessiven Überschüssen“ (mehr als +5%) fallen China, Russland, Deutschland und Saudi-Arabien. Hochgradig von Rohstoffexporten abhängige Länder wie Russland und Saudi-Arabien, würden nach Geithners Überlegungen aus der Anpassungspflicht herausfallen, so dass die größte Anpassungslast China und Deutschland zu tragen hätten. Interessant dabei ist, dass das relative Gewicht des Überschusses bei Deutschland noch einmal erheblich größer ist als bei China. In absoluten Zahlen gemessen ist der chinesische Überschuss jedoch größer als der deutsche, während die USA mit ihrem Defizit den Vogel abschießen.

Da der Geithner-Plan die Leistungsbilanzdefizite in den Mittelpunkt stellt, müssten Anpassungsmaßnahmen nicht notwendigerweise an den Wechselkursen ansetzen. Das „Rebalancing“ könnte auch bei der Stärkung der Binnennachfrage (im Falle der Überschussländer) oder bei ihrer Drosselung bzw. der Stärkung der Exporte (im Falle der Defizitländer) ansetzen. In Bezug auf die Stärkung der internen Nachfrage hat China in den letzten Jahren wesentlich mehr getan als Deutschland, wo man auf einen neuen Exportboom nach der Krise spekuliert hat. Da nimmt es nicht Wunder, dass sich der deutsche Wirtschaftsminister Brüderle mit orthodoxen Argumenten an die Spitze der Neinsager gesetzt hat. Ob die Chinesen dem folgen, wird man mit Sicherheit erst beim G20-Gipfel in der nächsten Woche wissen, wenngleich neueste Meldungen dies befürchten lassen. Die Lage wird sicher nicht einfacher durch die jetzt eingeleitete neue Runde der geldpolitischen Lockerung in der USA (QE2). Vor allem in den Schwellenländern verstärkt dies die Opposition gegenüber den USA, da zu Recht eine neue Welle billigen und heißen Geldes befürchtet wird, das mittels der Zinsdifferenzen schnelle Gewinne machen will („carry trade“).

Zwischen Hoffen und Bangen: Ein koreanischer Blick zum Gipfel

Hochmut kommt vor dem Fall. Die Hauptursache für die aktuelle globale Krise war intellektueller Hochmut in Form des blinden Glaubens, die Märkte würden ihre eigenen Probleme und Widersprüche immer selbst lösen. Dreißig Jahre nach der Reagan-Thatcher-Revolution hat das ideologische Pendel begonnen, in die andere Richtung auszuschlagen, schreibt der ehemalige Außenminister Südkoreas, Yoon Young-kwan, der heute Professor für Internationale Beziehungen an der Universität Seoul ist. Und weiter:

Jedes Mal, wenn sich in den letzten hundert Jahren die Ansichten über die Beziehungen zwischen Staat und Markt in diesem Maße verschoben haben, folgte darauf ein großer politisch-ökonomischer Umbruch. Zum Beispiel markierte der Erste Weltkrieg das Ende des Laisser-faire-Liberalismus des neunzehnten Jahrhunderts und läutete eine Phase der staatszentrierten Wirtschaftssysteme ein. Die Große Depression und der Zweite Weltkrieg eröffneten die neue Ära des Bretton-Woods-Systems mit einer ausgeglicheneren Beziehung zwischen Staat und Markt.

Auf ähnliche Weise beendete die globale Finanzkrise 2008 drei Jahrzehnte Neoliberalismus, die von freiem Handel und der Globalisierung der Finanzmärkte gekennzeichnet waren. Wir wissen noch nicht, wie das vor uns liegende Zeitalter wird; wir können nur sicher sein, dass sich die Weltwirtschaft mitten in einer großen Übergangsphase befindet und dass die alten Verfahrensweisen nicht mehr funktionieren werden.

Die Hauptsorge in dieser Zeit der großen Unsicherheit ist, ob der Übergang zu einem neuen Paradigma bewältigt werden kann, ohne die internationale politisch-ökonomische Ordnung weiter zu destabilisieren...

Den vollständigen Kommentar finden Sie >>> hier.