25. Mai 2009

UN-Finanzgipfel: Chance oder Kollateralschaden?

Gastkommentar von Silke Weinlich*)

Vom 1. bis 3. Juni ist in New York bei den Vereinten Nationen eine Konferenz auf Ministerebene zur Wirtschafts- und Finanzkrise und ihren Auswirkungen auf die globale Entwicklung geplant. Angesichts heftiger Konflikte im Vorfeld ist es noch ungewiss, ob es den 192 Mitgliedsstaaten gelingen wird, sich auf eine gemeinsame Abschlusserklärung zu einigen, und wie aussagekräftig solch ein Konsensdokument sein wird. Es steht sogar zur Debatte, ob die Konferenz überhaupt zum geplanten Zeitpunkt stattfinden wird. (Nach einem Vorschlag der derzeitigen Präsidenten der UN-Generalversammlung soll die Konferenz auf den 24.-26. Juni verschoben werden. Eine endgültige Entscheidung soll morgen früh fallen. - RF) Dabei ist es außerordentlich wichtig, dass Industrie- und Entwicklungsländer die UN-Konferenz zu einem guten Ergebnis führen.

Erstens ist ein gemeinsames Vorgehen in der Krise dringend nötig. In einer immer stärker integrierten und vernetzten Welt lassen sich Wohlfahrt und Sicherheit im Norden und Süden weniger denn je getrennt voneinander betrachten. Gleichzeitig sind Entwicklungsländer, ohne selbst zu den Verursachern zu zählen, am stärksten von der Krise betroffen und können ihre Folgen alleine nur unzureichend abfedern. Zweitens würde eine nichtssagende Abschlusserklärung oder gar ein Scheitern der Konferenz der UN erheblichen Schaden zufügen. Mittel- und langfristig bieten aber auch neue Institutionen wie die G20 der Industrie- und Schwellenländer keine Alternative zur Inklusivität und Legitimität der UN. Sie können nur gemeinsam mit ihr Pfeiler einer effektiven und legitimen Global-Governance-Architektur bilden. Drittens sind viele der auf den New Yorker Verhandlungstischen liegenden Vorschläge innovativ und könnten der Welt nützliche Werkzeuge an die Hand geben, die nicht nur bei der Bewältigung der gegenwärtigen, sondern auch der Prävention zukünftiger Krisen helfen könnten. Hier handelt es sich z. B. um die Einrichtung eines International Panel on Systemic Risks in the Global Economy, das den globalen wissenschaftlichen Sachverstand in Bezug auf Zukunftsrisiken wie Pandemien, Klimawandel oder Nahrungsmittelknappheit bündeln und deren Ursachen, Wechselwirkungen und mögliche Auswirkungen auf die Weltwirtschaft und globale Entwicklung analysieren würde. Andere Vorschläge beinhalten die Einrichtung einer neuen Kredit-Faszilität zur kurzfristigen Mobilisierung von zusätzlichen Geldern für Entwicklungsländer, die Schaffung eines weltweiten Reservesystems, oder die Einrichtung eines globalen Wirtschaftsrats unter dem Dach der UN.

Die bevorstehende UN-Konferenz wurde auf der Folgekonferenz zur Entwicklungsfinanzierung in Doha im Herbst letzten Jahres gegen den Widerstand einiger Industrieländer beschlossen. Ihre inhaltliche Grundlage bilden neben Berichten des Generalsekretärs und von UN-Institutionen auch die jüngst veröffentlichten Empfehlungen der „Stiglitz-Kommission“, die 2008 vom Präsidenten der Generalversammlung einberufen worden ist. Diese Expertenkommission unter dem Vorsitz von Nobelpreisträger Joseph Stiglitz, der auch Bundesministerin Wieczorek-Zeul angehört, hat umfassende Vorschläge zur Reform des internationalen Währungs- und Finanzsystems erarbeitet.

Schwerwiegende inhaltliche Differenzen haben bislang die Konferenzvorbereitung geprägt und wurden ungewöhnlich intensiv auch über Verfahrensfragen ausgetragen. Auf der Oberfläche verlaufen die Konfliktlinien zwischen den Entwicklungs- und den Industrieländern, obwohl bei genauerer Betrachtung die Lager weniger klar sind. Die Industrieländer stellen die Bewältigung der aktuellen Krise in den Vordergrund und legen dabei einen Schwerpunkt auf die entwicklungspolitische Dimension. Sie sind darum bemüht, neue Finanzzusagen zu vermeiden und eine weiterreichende Rolle der Vereinten Nationen in Wirtschafts- und Sozialfragen (jenseits von Entwicklungspolitik) zu verhindern. Gleichzeitig wollen sie die G20-Beschlüsse zur Finanzkrise von der UN absegnen lassen.

Einige Entwicklungsländer unter der Führung der ALBA-Gruppe (die 2001 vom venezolanischen Staatspräsidenten Chavez lancierte „Bolivarianische Alternative für Amerika“) versuchen hingegen, die Vereinten Nationen umfassend aufzuwerten. Sie identifizieren das weltweit vorherrschende Wirtschafts- und Sozialmodell als Hauptursache der gegenwärtigen Krisen und wirken auf ein radikales Umsteuern auf globaler Ebene hin. Diese Haltung wird besonders deutlich im ersten Entwurf des Abschlussdokuments, das der Präsident der Generalversammlung, der nicaraguanische Politiker, Diplomat und katholische Priester Miguel d’Escoto Brockmann, am 8. Mai vorgelegt hat. (Inzwischen liegt eine neuer Entwurf vor.- RF) Dieser Entwurf ist von den Industriestaaten – nicht zuletzt wegen gravierender Verfahrensfehler – nicht als Verhandlungsgrundlage akzeptiert worden. NGOs hingegen begrüßten, dass der Entwurf ähnlich den Empfehlungen der „Stiglitz-Kommission“ viele ihrer Forderungen aufgenommen habe, ja sogar über sie hinausgehe.

Die Intensität, mit der dieser Konflikt ausgetragen wird, muss vor dem Hintergrund der Machtverschiebungen im internationalen System interpretiert werden. Die vom bisherigen Krisenmanagement weitgehend ausgeschlossenen rund 170 Nicht-G20 Staaten fordern Mitsprache und berufen sich dabei darauf, selbst Hauptleidtragende der Krise zu sein. Obwohl innerhalb der Entwicklungsländergruppe immer weniger von einer einheitlichen Interessenlage die Rede sein kann, positionieren sich die Staaten des Südens nach außen hinter den polarisierenden Anführern. Damit tragen sie zu einer Verhärtung der Fronten bei und bestärken die Industrieländer in deren Überzeugung, dass die UN für die Behandlung von Wirtschafts- und Finanzfragen ungeeignet ist. Diejenigen Schwellenländer, die auf dem Finanzgipfel am 20. April in London mit am Tisch saßen und eine Vermittlerrolle einnehmen könnten, wirken im VN-Kontext der Nord-Süd-Polarisierung nicht offen entgegen. Dass sich die Auseinandersetzung zwischen Industrie- und Entwicklungsländern in der UN weiter radikalisiert – bei gleichzeitigem Stillhalten der Schwellen- und der kleineren Entwicklungsländer – ist demnach ein durchaus mögliches, wenngleich auch bedrückendes Szenario. Gelähmt und im Finanz- und Wirtschaftsbereich noch weiter marginalisiert würde die UN zum Kollateralschaden der Bemühungen zur Beilegungen der aktuellen Krisen. Dabei liegt eine starke Weltorganisation auch jenseits ihrer unersetzlichen Rolle als globalem Normen- und Standardsetzer im Interesse aller Staaten: Die G20 bedürfen einer legitimatorischen Absicherung; die Entwicklungsländer profitieren vom souveränen Gleichheitsgrundsatz, von technischer Hilfe und Mitsprache; und auch diejenigen Industrieländer, die bei G20-Entscheidungsprozessen außen vor sind, können in der UN ihre Positionen einbringen.

Mit Optimismus ist jedoch auch das Gegenteil, also eine durch die Krise angeregte positive Wendung, für die UN denkbar. Die Obama-Administration steht den Vereinten Nationen deutlich aufgeschlossener gegenüber als die Vorgängerregierung, was große Chancen birgt für eine Verbesserung der konfliktgeladenen Stimmung innerhalb der Organisation. Die G20-Staaten wären gut beraten, den Wert der UN als unverzichtbaren Kern des Multilateralismus zu erkennen, und sich für ihre Stärkung – mithin für Reformen – einzusetzen. Dabei könnten sie als konstruktive Brücke zwischen Nord und Süd fungieren. Die Konferenz zur Finanz- und Wirtschaftskrise und ihren Folgen für die globale Entwicklung wäre dabei ein guter Auftakt. Deutschland sollte darauf dringen, dass die UN auch in den kommenden Monaten als Diskussionsforum für Maßnahmen zur Beilegung der Krisen genutzt wird (Follow-Up Prozess). Deutschland sollte sich bei den europäischen Partnern ebenso wie bei Japan und den USA für konkrete Zugeständnisse einsetzen. Die bereits vereinbarten Ziele für die Öffentliche Entwicklungszusammenarbeit (Official Development Assistance ODA) von 0,7 % des Bruttonationaleinkommens dürfen – auch wenn die Zielerreichung derzeit fraglich erscheint – nicht zum Verhandlungsgegenstand werden, sondern müssen vielmehr Ausgangspunkt aller weiteren Erwägungen darstellen.

*) Die Autorin ist Mitarbeiterin des Deutschen Instituts für Entwicklungspolitik in Bonn.

Hinweis: Zum UN-Finanzgipfel ist ein neuer W&E-Hintergrund erschienen, der zugleich eine neue Serie "Globale Krise und Entwicklungspolitik eröffnet: >>> W&E-Hintergrund Mai 2009

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