30. April 2009

Prall gefüllte Kriegskasse

Im Wiener Südwind-Magazin ist diese Woche ein Kommentar erschienen, in dem ich nochmals zentrale Entwicklungslinien um den IWF zusammenfasse. Ein Teil davon ist schon wieder überholt, so die Vermutung, China würde sich mit einem Kredit von 40 Mrd. Dollar an der Aufstockung der "Kriegskasse" des Fonds beteiligen. Wahrscheinlich wird China stattdessen in die von IWF-Chef Strauss-Kahn geplante Ausgabe von IWF-Anleihen (in Form von Sonderziehungsrechten - SZR) investieren. Dies hat den Vorteil, dass sie die Chinesen nicht so langfristig binden wie ein Kredit und der Druck auf eine Neuverteilung der Stimmrechte im IWF aufrecht erhalten werden kann. Hier ist der Kommentar:

Beim letzten G20-Gipfel in London sah sich der Chef des Internationalen Währungsfonds (IWF) voll bestätigt. Schon auf der letzten Herbsttagung der Bretton-Woods-Zwillinge hatte Dominique Strauss-Kahn gesagt: "Der IWF ist wieder voll da." Noch vor Jahresfrist drohte dem IWF die völlige "Irrelevanz" (so der Präsident der Englischen Zentralbank Mervin King), weil nach den Erfahrungen der Asien- und der Lateinamerika-Krise keiner mehr seine Kredite haben wollte und einige sogar frühzeitig zurückzahlten, weil sie die Politikdiktate aus Washington leid waren.
Jetzt haben die G20 (unter Einschluss der zehn wichtigsten Schwellenländer) dem Fonds die größte Aufstockung seiner Finanzmittel in der jüngeren Geschichte beschert. Sie sagten zu, die "Kriegskasse", d.h. die Kreditmittel um 500 Mrd. US-Dollar aufzustocken und damit zu verdreifachen.100 Mrd. davon kommen aus Japan, 75 Mrd. aus den EU-Ländern; der Rest soll über die Allgemeine Kreditvereinbarung (AKV) des Fonds von den anderen zahlungsstarken Ländern aufgebracht werden. Wie es heißt, sollen 50 Mrd. davon unmittelbar für die ärmsten Entwicklungsländer mit niedrigem Einkommen bereitgestellt werden. Weitere 6 Mrd. US-Dollar sollen für die konzessionäre Mittelvergabe aus Verkäufen von IWF-Gold kommen - eine Maßnahme, die bislang meistens als Tabu galt.

Überraschender noch ist, dass die G20 dem IWF grünes Licht für eine Neuausgabe von Sonderziehungsrechten (SZR) in Höhe von 250 Mrd. Dollar gaben. Dieses vom IWF selbst geschaffene Kunstgeld wird nach den IWF-Quoten anteilig an die Mitgliedsländer verteilt, weshalb allein 40% davon an die sieben stärksten Industrieländer gehen. Aber auch für die kleineren Mitgliedsländer bedeutet es neue Liquidität, wobei diese Mittel ohne die berüchtigte IWF-Konditionalität abfließen - ein Grund, warum etwa Deutschland dies lange Zeit blockiert hat. Auch wenn noch nicht bis ins letzte Detail klar ist, wie die Mittel aufgebracht werden sollen, sie erweitern den finanziellen Spielraum des IWF und bestätigen damit seine zentrale Rolle im Management der aktuellen Finanzkrise. Die große Frage ist allerdings, wie er diese Rolle in Zukunft ausfüllen wird, vor allem, wie sich die mit den IWF-Krediten verknüpften Konditionen künftig entwickeln werden und wie schnell die angekündigte Aufwertung der Länder des Südens im Fonds vonstatten gehen wird.
Was die überkommene Konditionalität betrifft, so ist diese in Form von Kürzungsauflagen, Zinssteigerungen und Abwertungen in der neuen Generation von Krediten, die seit dem letzten Herbst vor allem an osteuropäische Länder, aber auch an Pakistan und El Salvador vergeben wurden, noch überall sichtbar. Die Kreditabkommen erwähnen zwar auch die Notwendigkeit, soziale Sicherungsnetze in der Krise aufrechtzuerhalten; aber die Frage ist, ob die Tiefe der Krise und die Schärfe der Auflagen nicht doch Schnitte in die ohnehin schwachen sozialen Netze erfordert. Und wie die jüngste Entwicklung um Lettland zeigt, suspendiert der IWF die Auszahlung der Kreditmittel ohne großes Zögern, um immer mehr Ausgabenkürzungen zu erzwingen.

Derlei verträgt sich eigentlich nicht mit einer Formulierung im Abschlusskommuniqué der G20, wonach die neuen IWF-Mittel u.a. dazu dienen sollen, den betroffenen Ländern die Durchführung einer antizyklischen Politik zu ermöglichen (wie sie der IWF inzwischen ja auch den Industrieländern empfiehlt). Sollte das ernst gemeint sein, wäre es auch ein radikaler Bruch mit den krisenverschärfenden Politikempfehlungen, die sich der Fonds noch vor zehn Jahren in der Asienkrise leistete. Erste Anzeichen dafür, dass die IWF-Konditionalität kein auf alle Zeiten unveränderliches Korsett ist, zeigen sich auch in der derzeit laufenden Überholung der Kreditvergabeleitlinien des Fonds überhaupt. So wurde kürzlich mit den so genannten "Strukturellen Leistungskriterien" ("Structural Performance Criteria") eine ganze Konditionalitätslinie abgeschafft - ein gewisser Teilerfolg, wie auch das Europäische Netzwerk zu Schulden und Entwicklung (Eurodad) vermerkte.
Bedauerlich ist, dass die SZR-Erweiterung nicht gleichzeitig zu einer Erhöhung des Quotenanteils der Entwicklungsländer im IWF genutzt wird (z.B. durch eine asymmetrische SZR-Zuteilung zugunsten des Südens). Stattdessen wird auf das recht umständliche Verfahren einer weiteren Quotenreform gesetzt. Diese soll zwar auf Ende 2010/Anfang 2011 vorgezogen werden. Aber in Erinnerung ist noch, dass die letzte Quotenreform dem Süden gerade mal 2,5% mehr an Stimmrechten gebracht hat.
Großes Rätselraten herrscht unterdessen darüber, welche Strategie eigentlich China und die anderen Schwellenländer in der G20 in Bezug auf den IWF verfolgen. Fest steht, dass sie in London nicht auf einer Reform an Haupt und Gliedern insistiert haben, bevor sie neuen Finanzmitteln zustimmten. Andererseits: Wenn es stimmt, dass China allein 40 Mrd. Dollar an Krediten für den IWF zugesagt hat, ist schwer vorstellbar, dass es sich auf Dauer mit einer Mauerblümchenrolle im Fonds zufrieden geben wird.

Vieles, was sich derzeit außerhalb des Fonds tut, setzt indirekt auch den IWF unter Druck: Die bilateralen Währungsswap-Abkommen, die China mit Südkorea, Hongkong, Indonesien, Malaysia und zuletzt auch Argentinien geschlossen hat, machen diese Länder weniger abhängig vom IWF. Und die Fortschritte bei der Schaffung eines Asiatischen Währungsfonds wirken ebenso in diese Richtung wie die für Mai 2009 geplante Eröffnung der südamerikanischen Bank des Südens.

26. April 2009

Verdoppeln und verdreifachen: IWF und Weltbank in ihrem Element

Wer von „Notstand“ („emergency“) spricht, tut dies in der Regel, um außergewöhnliche Maßnahmen zu begründen. Dies ist auch in der Entwicklungspolitik nicht anders. Und so haben IWF und Weltbank auch bei dieser Frühjahrstagung wieder vieles im Köcher. Für den IWF geht es in erster Linie um die Umsetzung der Vorgaben des G20-Gipfels vom Anfang des Monats: Die Verdreifachung der Ausleihmittel will organisiert sein. Und so bemüht sich IWF-Chef Strauss-Kahn konsequent darum, neue Geber für den Fonds zu finden. Während inzwischen Japan und die EU, Kanada, die Schweiz, die USA und einige andere Länder neue Mittel auf dem Weg der bilateralen Kreditgewährung oder über die Ausweitung der Neuen Kreditvereinbarung (NAB) zugesagt haben (insgesamt 325 Mrd. Dollar), hüllt sich Strauss-Kahn, was den möglichen Beitrag Chinas betrifft, in Schweigen. Es scheint jedoch so zu sein, dass die angekündigte Auflage von IWF-Anleihen ein Weg ist, in den die Chinesen investieren würden, zumal wenn die Verzinsung in Sonderziehungsrechten stattfinden würde.

Was die eigene Kreditvergabe betrifft, hat der IWF auf dieser Frühjahrstagung vor allem zwei Projekte angekündigt:
* Das eine ist der Aufbau der neuen Flexible Credit Line (FCL) für Schwellenländer mit gesunden Fundamentaldaten; über dieses Notfallfenster haben sich bis jetzt immerhin drei Länder (Mexiko, Kolumbien und Polen) potentielle Stützungskredite gesichert. Die FCL scheint damit erfolgreicher zu sein als die inzwischen wieder abgeschaffte Contingent Credit Line (CCL), deren keiner beantragen wollte, weil durch eine Stigmatisierung auf den Kapitalmärkten befürchtet wurde. Das Interesse an der neuen FCL deutet Strauss-Kahn so, als wäre dieses Stigma jetzt im Verschwinden begriffen,.
* Hinzu kommt die angekündigte Verdoppelung der Kreditlinie für die ärmsten Länder in den nächsten zwei Jahren. Dabei sollen vor allem das Kreditfenster für die hochverschuldeten armen Länder („Poverty Reduction and Growth Facility“ – PRGF) und Kreditfazilität für die von externen Schocks betroffenen Länder („Exogenous Shock Facility“ – ESF) ausgeweitet werden.

Nicht nur der IWF ist in seinem Element, auch die Weltbank. Überhaupt wirkt ihr Präsident Bob Zoellick zuweilen wie befreit, seit er seine republikanischen Parteifreunde in der US-Administration losgeworden ist. Neu angekündigt hat Zoellick in Washington:
* eine Verdreifachung der Ausgaben der Weltbank für soziale Sicherheitsnetze und andere Maßnahmen der sozialen Sicherung auf 12 Mrd. Dollar über die nächsten zwei Jahre, darunter die Aufstockung der Fast Track Facility zur Milderung der Nahrungsmittelkrise um 1,2 Mrd. auf 2 Mrd. Dollar im Rahmen des vor einem Jahr beschlossenen Global Food Crisis Response Program; und
* eine Verdoppelung der Infrastrukturinvestitionen der Weltbank auf 55 Mrd. Dollar über die nächsten drei Jahre: Davon sollen 45 Mrd. über die neu geschaffene Infrastructure Recovery and Assets (INFRA)-Plattform und 10 Mrd. Dollar über die beim Privatsektorarm der Weltbank IFC angesiedelte Infrastructure Crisis Facility (ICF) bereitgestellt werden.

Nicht nur das Kommuniqué des Wirtschafts- und Finanzausschusses des IWF (IMFC), auch die Gruppe der 24, die die Entwicklungsländer bei IWF und Weltbank vertritt, hat in ihrem Kommuniqué diese finanziellen Expansionsschritte durchweg begrüßt und dabei lediglich angemahnt, dass dabei „unnötige Konitionalität vermieden“ werden müsse. Das freilich ist der entscheidende Punkt, in dem auch nach dieser Frühjahrstagung ungenügende Klarheit bleiben wird. Die von vornehmlich deutschen NGOs erhobene Forderung, die neuen Finanzmittel müssten vornehmlich als Schenkungen vergeben werden, fand bei der Nehmern in Washington keinen Nachhall.

25. April 2009

IWF und Weltbank erklären entwicklungspolitischen Notstand

Während die G7-Finanzminister krampfhaft nach „ermutigenden Zeichen“ für einen Wiederaufschwung der Weltwirtschaft suchen (>>> G7-Statement), erklären IWF und Weltbank in ihrem neuesten Global Monitoring Report (GMR) den entwicklungspolitischen Notstand. Der alljährliche Bericht, in dem die beiden Bretton-Woods-Zwillinge die Umsetzung der entwicklungspolitischen Millenniumsziele (MDGs) messen, trägt den Titel „A Development Emergency“ und schildert – nicht nur auf dem Titelfoto –, welch dunkle Wolken sich im Gefolge der globalen Krise über der Dritten Welt zusammenbrauen. Wie der Bericht darlegt, werden die meisten der acht MDGs bis 2015 verfehlt werden, darunter die Reduzierung des Hungers, der Kinder- und Müttersterblichkeit, die Bildungsziele und die Zurückdrängung von HIV/AIDS, Malaria und Tuberkulose.

Der Hauptautor des Berichts, Zia Qureshi, erklärte gestern auf Nachfrage, dass allenfalls in den Bereichen Halbierung der Einkommensarmut, Herstellung der Geschlechtergleichheit im Bildungssektor und Zugang zu sauberem Wasser gewisse Hoffnungen bestehen, bestimmte (Teil-)Ziele noch zu erreichen. In mehr als der Hälfte der Entwicklungsländer und in zwei Drittel bis drei Viertel der afrikanischen Staaten dürfte die Zahl der in extremer Armut lebenden Menschen 2009 drastisch zunehmen. Der Bericht schätzt, dass wegen der globalen Krise 55 bis 90 Millionen Menschen neu zu dem Heer der absolut Armen hinzukommen werden.

Die Krise überträgt sich auf die Entwicklungsländer auf verschiedene Art und Weise: durch den Einbruch des Handels, durch Preisverfall, sinkende Nachfrage, fallende Heimatüberweisungen und rückläufige ausländische Investitionen sowie sich verschlechternden Zugang zu den Kapitalmärkten. Im Ergebnis wird das Wachstum der Entwicklungsländer 2009 auf durchschnittlich 1,6% (gegenüber 8,1% in 2007/2007) abstürzen – für den Chefökonomen der Weltbank, Justin Yifi Lin, ein „fürchterlicher Verlust an Wohlstand“ und eine Krise vor allem auch der menschlichen Entwicklung. Der neue GMR benennt eine Reihe von Prioritäten, um die Misere abzuwenden, darunter die Bewahrung der Haushaltsspielräume im Süden und eine „Verdoppelung der Anstrengungen der Geber“. Genau dieses findet nach den eigenen Angaben des GMR jedoch nicht statt. Wie wir darin erfahren, lag die internationale Entwicklungshilfe trotz der Steigerung im letzten Jahr immer um 29 Mrd. Dollar noch unter den Versprechen des G8-Gipfels von Gleneagles (130 Mrd. Dollar jährlich bis 2010) und 20 Mrd. Dollar unter dem Ziel für Afrika (50 Mrd. Dollar jährlich bis 2010).

23. April 2009

Mr. Gloom: 4.100.000.000.000 Dollar

Wenn US-Starökonom Nouriel Rubini „Dr. Doom“ („Unheil“) ist, wie die New York Times formulierte, dann ist der Geschäftsführende Direktor des IWF, Dominique Strauss-Kahn, „Mr. Gloom“ („düster“). Kaum eine Institution korrigiert derzeit die Wirtschaftsprognosen so scharf nach unten wie der Internationale Währungsfonds. Vorgestern noch schätzte der Fonds in seinem neuesten Financial Stability Report die Verluste von Banken und anderen Finanzinstituten im Zuge der jüngsten Finanzkrise auf 4.100 Mrd. Dollar. Dabei hatte der US-Finanzminister gerade erst erklärt die Kapitalausstattung der Banken sei gut. Von den bis 2010 erforderlichen Abschreibungen von 4.100 Mrd. dürften laut IWF 2.700 Mrd. auf die US-Banken (fast doppelt so viel wie der Fonds im letzten Oktober schätzte), der Rest auf europäische und japanische Banken entfallen.

Dramatisch sind auch die neuen Wachstumszahlen, die gestern im World Economic Outlook veröffentlicht wurden. Für das laufende Jahr rechnet der Fonds mit einem Rückgang des globalen Outputs von 1,3% - ein Beleg für die „tiefste Rezession seit der Großen Depression“, wie der Bericht kommentiert. Ungleich stärker geht die Wirtschaftsleistung in den USA (-2,8) und der Eurozone (-4,2) zurück, Zahlen die die krampfhafte Suche vieler Ökonomen nach ersten Anzeichen für den Aufschwung oder die windelweiche Prognose der Europäischen Zentralbank (-1,7%) Lügen strafen. Für 2010 sollen die Zahlen zwar wieder in den positiven Bereich gehen, aber der IWF rechnet mit einer langen Phase, in der das Wachstum allenfalls auf niedrigem Niveau vor sich hindümpeln wird.

Die pessimistischen Zahlen des IWF sind ein spektakulärer Curtain-Raiser für die am Wochenende in Washington stattfindende Frühjahrstagung. Der Stern der beiden Bretton-Woods-Zwillinge befindet sich zwar spätestens seit der G20-Konferenz Anfang April wieder auf aufsteigender Bahn. Doch er leuchtet keineswegs. Youssef Boutros-Ghali, der neue ägyptische Vorsitzende des IWF-Wirtschafts- und Finanzausschusses (IMFC) befürchtet sogar, dass die Reformversprechen des Londoner Gipfels, so die Erhöhung des Gewichts des Südens im Fonds, angesichts der Konzentration auf die Wiederankurbelung der Weltkonjunktur den Bach runter könnten – von der überfälligen Konditionalitätsreform ganz zu schweigen. Die Befürchtungen treffen sich mit der Diagnose des Washingtoner Centres for Economic and Policy Research (CEPR). In einer rechtzeitig zur Frühjahrstagung herausgebrachten Studie stellt der linke Think-Tank fest: Die in letzter Zeit verabreichten Rettungspakete des IWF enthalten immer noch viel von der wirtschaftlich schädlichen Strukturanpassungsmedizin, die die Krise der Klienten verschärft statt zu beheben.

22. April 2009

Die Scheuklappen der Finanzmarktökonomik ablegen!

Gastkommentar des AK Postautistische Ökonomie e.V.

Krisenzeiten sind für gewöhnlich Zeiten tiefer Reflexion, in denen Handlungs- und Denkmuster hinterfragt und gegebenenfalls überwunden werden. Die Weltwirtschaft, und mit ihr auch die herrschende Lehre in den Wirtschaftswissenschaften, steckt in einer solchen Krise. Denn der Zusammenbruch des internationalen Finanzsystems und die sich daraus entwickelnde Weltwirtschaftskrise sind im Kern auf die von der Mehrheit in den Mainstream-Wirtschaftswissenschaften propagierte uneingeschränkte Marktgläubigkeit zurückzuführen. Eine Studie des Kiel Institute for World Economy belegt dies eindeutig.

Trotz einer offensichtlichen Ratlosigkeit und der klaren Mitverantwortung der herkömmlichen ökonomischen Theorie hält die Bundesregierung jedoch unbeirrt an ihren altgedienten Beratern fest. Unterstützt von Kernmodellen der ökonomischen Standardtheorie redeten diese jahrzehntelang einer Wirtschaftspolitik der Deregulierung, der Liberalisierung und des Lohnverzichts das Wort. Nach dem Bankrott dieser Modelle war zu erwarten, dass dieses Beratungsmonopol sein Ende finden wird. Der heutige Wirtschaftsgipfel der Bundesregierung macht jedoch erneut deutlich, wie wenig diese an einem echten Wandel interessiert ist. Dass ausgerechnet Wolfgang Franz und Hans Werner Sinn, beides ausgewiesene Anhänger marktliberaler Ansätze, den Gipfel beraten sollen, zeigt, dass die Bundesregierung weiterhin dem „alten“ Denken verhaftet bleibt. Um der Krise gerecht zu werden, muss aber ein breit gefächerter Ansatz gewählt werden.

Auch wenn ein erster Blick in die deutsche Universitäts- und Forschungslandschaft den Schluss der Alternativlosigkeit nahe legt, ergibt ein genauerer Blick ein ganz anderes Bild: Im Schatten der herrschenden Lehre haben sich über die Jahre hinweg alternative Ansätze in den Wirtschaftswissenschaften entwickelt. Zu nennen sind hier u.a. die Komplexitätsökonomik, die originäre institutionelle Ökonomik, der Post-Keynesianismus, die evolutorische Ökonomik, die Neo-Schumpeterianische Ökonomik, die Ökologische Ökonomik und die feministische Ökonomik. Um der Komplexität der Krise gerecht zu werden, ist es daher dringend notwendig, diese alternativen ökonomischen Ansätze zu Wort kommen zu lassen.

Unerlässlich ist zudem eine Debatte über das Verhältnis von Wissenschaft und Politik. Wir können nicht weiter zulassen, dass Vertreter einer bestimmten wirtschaftspolitischen Position unter dem Anschein der „Objektivität der Wissenschaft“ einen derart großen Einfluss auf die Politik einer ganzen Gesellschaft nehmen. Wir fordern, dass der besagten Vielfalt sowohl in der Lehre der Wirtschaftswissenschaft, in der Forschung, als auch in der sog. Politikberatung endlich Rechnung getragen wird. Erster Schritt: Das Beratergremium für den Wirtschaftsgipfel könnte durch Ökonomen wie Peter Bofinger (Sachverständigenrat), Jörg Huffschmid (Europäische Memorandumgruppe), Trevor Evans (HWR Berlin) oder auch aus dem Bereich der Politikwissenschaft durch die Genderexpertin Brigitte Young (Universität Münster) erweitert werden.

Weitere Möglichkeiten: Ethik nicht nur für Unternehmen, sondern auch für ÖkonomInnen. George DeMartino hat 2005 einen Ethikkodex für WirtschaftswissenschaftlerInnen vorgeschlagen. Wir haben diesen Vorschlag auch auf unserer Webseite www.paecon.de zugänglich gemacht. Schließlich kann aber nur eine plurale Wissenschaftslandschaft jenseits „mathematischer Traumwelten“ eine andere Ökonomik bewirken.

21. April 2009

G8-Agrarminister: Eingeständnis des Scheiterns

Es sollte ein historisches Event werden, dieses erste Treffen der Agrarminister im G8-Rahmen in Cison di Valmarino/Norditalien. Doch wenn es wirklich in die Geschichte eingeht, dann als erste hochrangige Zusammenkunft von Industrieländern, auf der offiziell zugegeben wurde, dass ein zentrales entwicklungspolitisches Millenniumsziel nicht erreicht werden kann. Wie das ansonsten dürftige Kommuniqué feststellt, sind wir „sehr weit entfernt davon“, das Ziel, die Zahl der unterernährten Menschen bis 2015 zu halbieren, zu erreichen. Die UN-Landwirtschaftsorganisation hatte im Vorfeld bekannt gegeben, dass die Zahl der chronisch Hungernden kürzlich erstmals die Milliardengrenze überschritten hat und der Anteil der Hungernden an der Gesamtbevölkerung der Dritten Welt damit schon fast wieder so hoch ist wie Anfang der 1990er Jahre.

Das Agrarminister-Treffen war als Reaktion auf die globale Nahrungsmittelkrise einberufen worden. Doch das Kommuniqué enthält nur allgemeine Absichtserklärungen, etwa: „Wir unterstreichen die Bedeutung der Steigerung öffentlicher und privater Investitionen in nachhaltige Landwirtschaft, ländliche Entwicklung und Umweltschutz.“ Konkrete Maßnahmen zur Bekämpfung des Hungers oder neue finanzielle Zusagen sucht man vergebens. Ansonsten soll alles Mögliche erst einmal untersucht werden, beispielsweise ein globales System der Lagerhaltung, um die Preisvolatilität zu bekämpfen, oder die Rolle der Spekulation bei den Preisausschlägen auf den Lebensmittel- und Rohstoffmärkten.

Es steht zu befürchten, dass das Nicht-Ergebnis des Treffens symptomatisch ist für die italienische G8-Präsidentschaft in diesem Jahr. Die Substanzlosigkeit der internationalen Politik der Berlusconi-Regierung ist legendär; ausgesprochen krass sind die drastischen Kürzungen am ohnehin bescheidenen Entwicklungshilfe-Etat. Geradeso eben vorbeigeschlittert an einem neuen Fettnäpfchen ist die Regierung in Rom auch wieder mal: Das ursprüngliche Programm des Agrarministertreffen sah zwei Gala-Dinner und eine Weinprobe vor. Diese wurden gerade noch rechtzeitig in Arbeitsessen umfunktioniert. Sonst wäre der „historische Agrargipfel“ womöglich noch als „Hummer-Gipfel“ in die Geschichte eingegangen.

5. April 2009

Wie weiter nach dem G20-Gipfel? Vier Prüfsteine und drei Merkposten

Die Mehrzahl der Kommentare zu den Ergebnissen des G20-Gipfels folgte, wie Paul Krugman, dem Tenor „Besser als erwartet“. Während Jeffrey Sachs, der in der Delegation von UN-Generalsekretär Ban Ki-moon war, schrieb, die harte Arbeit bestehe jetzt darin, die G20-Beschlüsse in die Praxis umzusetzen, meinte Avinasch Persaud, der auch Mitglied der Stiglitz-Kommission ist, der Gipfel sei zwar kein Wendepunkt, aber ein Grund, weniger pessimistisch in die Zukunft zu sehen. Besonders positiv fiel die Stellungnahme des Internationalen Gewerkschaftsbundes (ITUC) aus. Danach eröffnen die Gipfelergebnisse die „Chance für eine neue Globalisierung“, die der Deregulierung den Rücken zukehre und den Staat wieder in seine Rechte einsetze. Auch das europäische NGO-Netzwerk Eurodad konzediert, der G20- habe bessere Arbeit geleistet als die G8-Gipfel, wenngleich noch ein langer Weg zu gehen sei.

In der vielleicht ausführlichsten Analyse des Gipfelausgangs (>>> What Happened at the G20?) arbeitet Duncan Green von Oxfam vier Prüfsteine heraus, mit denen die Entwicklung nach dem Gipfel bewertet werden kann:

1. Beendigung der schädlichen IWF-Konditionalität. Hierzu habe ich in meiner eigenen Gipfelauswertung (>>> Der eigentliche Sieger ist der IWF) auf einen Passus im Kommuniqué hingewiesen, wonach die neuen Finanzmittel, die der IWF bekommt, nicht zuletzt verwendet werden sollen, um auch in den Schwellen- und Entwicklungsländern den Spielraum für eine antizyklische Politik zu erweitern. Eurodad sieht in den jüngsten Bemühungen um eine „Überholung“ der Kreditvergabepolitik des IWF einen ersten Teilerfolg im Kampf gegen die bisherige Policy-Konditionalität des Fonds.

2. Beschleunigung der Reform von IWF und Weltbank im Sinne der Stärkung des Gewichts der Entwicklungsländer. Hier fordert Oxfam als erste Schritte die Aufgabe des Vetorechts durch die USA und den Verzicht der Europäer auf einige Vorstandssitze. Das wären in der Tat Zeichen, dass es die Industrieländer diesmal ernst meinen.

3. Sofortige Initiativen der G20-Staatschefs für einen globalen Klimadeal. Damit bis zur Kopenhagen-Konferenz im Dezember zu warten, wäre zu spät. Die Klimapolitik ist in der Tat einer der schwächsten Punkte im Kommuniqué. Auch in Bezug auf eine „grünere“ Ausgestaltung der Konjunkturstimuli findet sich nichts in dem Papier.

4. Ein multilaterales Abkommen, das die Steueroasen zwingt, steuerrelevante Informationen automatisch auch an die Entwicklungsländer weiterzugeben. Nachdem die diesbezüglichen Initiativen in der OECD bestenfalls die Neuaushandlung bilateraler Doppelbesteuerungsabkommen mit den Industrieländern bringen werden, wäre wohl nur ein erweiterter multilateraler Rahmen ein geeigneter Weg, um endlich der Steuerflucht aus den Entwicklungsländern zu Leibe zu rücken.

Was hier fehlt, ist das gründliche Monitoring der versprochenen Reregulierung des globalen Finanzsektors. Hier wäre insbesondere das neue Financial Stability Board (FSB) genau zu beobachten. Interessant ist die Aussage von IWF-Chef Dominique Strauss-Kahn, der Fonds wolle sich in der Zusammenarbeit mit dem FSB selbst auf die Zuarbeit beschränken, während dem FSB künftig auch eine regelsetzende Rolle zukomme. Und dann sind da noch zwei Punkte, die in den Londoner Beschlüssen gar nicht vorkommen: eine neue Währungspolitik (hier findet sich nur das Gelöbnis, keinen Abwertungswettlauf zu veranstalten) und der Kampf gegen die Spekulation. Das könnten zentrale Themen auf dem UN-Gipfel zur Finanzkrise und ihren Auswirkungen auf die Entwicklungsländer Anfang Juni in New York werden.

3. April 2009

G20-Ergebnisse: Der eigentliche Sieger ist der IWF

Beim Londoner G20-Gipfel ist mehr herausgekommen, als ich erwartet hatte, aber weniger, als angesichts des dramatischen Versagens der alten Ordnung, die eigentlich eine deregulierte Unordnung war, notwendig wäre. Klar ist, dass den ersten Schritten von London weitere Schritte folgen müssen. Welche das sein sollten, kann ohne eine gründlichere Analyse der Abschlussdokumente nicht beantwortet werden. Lesen Sie meine ausführliche Analyse der Gipfel-Beschlüsse im Informationsbrief Weltwirtschaft & Entwicklung >>> hier.

Ein historischer Tag? Vielleicht!

Von Duncan Green, London

Die große Frage ist, haben wir einen historischen Tag erlebt oder nicht? Die Antwort ist: „vielleicht, aber es ist zu früh, das zu beurteilen“. Aber immerhin ist es ein „vielleicht“. Für das Ende eines Gipfels bin ich ungewöhnlich optimistisch gestimmt. Mal sehen, ob der Optimismus berechtigt ist, schauen wir uns das Abschlussdokument des Gipfels an :

* Das Gipfel-Treffen: Ich kann mir nur sehr schwer vorstellen, wie man wieder zu den alten Zeiten zurückkehren kann, als die G8 zu ihren Treffen höflicherweise auch ein paar Entwicklungsländer zum Fototermin eingeladen haben. Es sieht so aus, als ob die Musik jetzt bei den G20 spielt, und die G8 sich vielleicht in ein untergeordnetes Gremium verwandeln werden. Das ist eine gewaltige Verschiebung des geopolitischen Kräfteverhältnisses, und heute ist vielleicht der Tag, da dies unumkehrbar geworden ist. Aber es gibt immer noch 172 Staaten, die „vor der Tür stehen“. Die Frage ihrer Repräsentation, besonders der afrikanischen Staaten (gegenwärtig ist nur Südafrika offiziell in der Gruppe der 20 vertreten), ist entscheidend. Den vier afrikanischen Staatschefs, die hier beim Gipfel anwesend waren (drei von ihnen auf Einladung von Gordon Brown), soll versichert worden sein, dass Afrika in Zukunft angemessen vertreten sein wird. Das ist wichtig.

* Institutionelle Gewinner und Verlierer: Der große Gewinner – abgesehen von der „Gruppe der 20“ selbst – ist der IWF, der eine massive Aufstockung seiner Finanzmittel und damit seines Einflusses erhalten hat. Eine zweischneidige Sache: Es ist einzusehen, dass der IWF am besten aufgestellt ist, um das Geld schnell an die Entwicklungsländer abfließen zu lassen, aber der IWF hat sich einen katastrophalen Ruf erworben, weil er den Entwicklungsländern eine ungeeignete Politik vorschreibt, weil er sie zwingt, in Zeiten der Rezession Arbeitsplätze abzubauen und die öffentlichen Ausgaben zu kürzen – das genaue Gegenteil von dem, was die EU und die USA selbst gerade tun. Der IWF war bis jetzt ein wilder Anhänger von Deregulierung und Liberalisierung und seine Entscheidungsgremien sind auf die reichen Länder ausgerichtet (Belgien und die Niederlande haben ebenso viele Stimmrechte wie China!). Dieser Gipfel hat dem IWF einen großen Scheck ausgestellt, für ein Versprechen, sich grundlegend zu reformieren. Wir müssen die Einlösung dieses Versprechens einfordern.

Der große Verlierer sind die Vereinten Nationen. Sie sind das Gremium, das alle Nationen repräsentiert, und doch war ihre Rolle hier marginal; sie werden im Text nur zweimal erwähnt: Einmal im Zusammenhang mit der UN-Klimakonferenz in Kopenhagen und zweitens indem sie aufgefordert werden, „die Auswirkungen der Krise auf die Ärmsten und Schwächsten zu beobachten“. Dies war abzusehen, ist aber trotzdem ein unzulässiger Ausschluss einer Institution, die de facto die G192 – die Gruppe aller Länder – darstellt, und die eine Menge wirklich guter Arbeit leistet.

2. April 2009

Gipfel der Deklarationen

Der G20-Gipfel hat noch mehr beschlossen als das unten genannte Komuniqué. Nämlich eine

>>> Declaration on strengthening the financial system
und eine

>>> Declaration on devilerung resources through the international finsncisl institutions

- insgesamt also viel Stoff zur Analyse für morgen.

Ach ja! Und dann hat noch die OECD die von den G20 angekündigte dreiteilige "Schwarze Liste" der Steuerparadiese veröffentlicht. Danach gibt es jetzt nur noch vier Länder, die zu den eigentlich "bösen Buben" gehören: Costa Rica, Malaysia (Labuan), die Philippinen und Uruguay. Alle anderen haben die "international vereinbarten Steuerstandards" (d.h. im Klub der OECD) entweder vollständig umgesetzt oder ihre Umsetzung angekündigt. Zu letzteren gehören Juristiktionen wie Liechtenstein oder Monoca, aber auch "andere Finanzzentren" wie Österreich, die Schweiz und Luxemburg. Und da sage noch einer, der G20-Gipfel sei nicht "der Anfang von Ende der Steuerparadiese" (Gordon Brown).

G20: Ein Wendepunkt der Krise? (Video)

Das Kommuniqué des Londoner Gipfels


>>> Das Kommuniqué des G20-Gipfels (Wortlaut; Kommentierung kommt später)

Welche Überraschungen am Tag des Gipfels?

Gastkommentar von Duncan Green, London

Der große Tag erwacht in einem Nebel von Konfusion und Presseberichten über Zerwürfnisse zwischen den Kontinentaleuropäern und den Angelsachsen. So werden die rivalisierenden Pressekonferenzen interpretiert, die Obama und Brown einerseits und Sarkozy und Merkel andererseits gestern gegeben haben. Heute wird sich zeigen, wie viel davon nur für das heimische Publikum bestimmt war – Sarkozy möchte in der französischen Presse sicher als starker Mann dastehen. Doch was bewegt sich in den Fragen, die für die Entwicklungsländer von Belang sind? Hier ist ein schneller Gang durch die Hauptpunkte:

* Rettungspaket für die Armen: Oxfam fordert ein Hilfspaket von 580 Mrd. Dollar für die Entwicklungsländer, darunter 25-41 Mrd. Dollar für die ärmsten (gemessen an ihrem Bruttoinlandsprodukt wäre das ein Konjunkturprogramm von ähnlicher Größenordnung wie das der reichen Länder). Wie es aussieht, wird hier ein Mix aus Finanzmitteln angekündigt werden, die im Wesentlichen an IWF und Weltbank fließen sollen. Wahrscheinlich wird es auch einige Ankündigungen geben, die Geld für den neuen Nothilfe-Fonds („Vulnerability Fund“) der Weltbank betreffen. Dabei dürften sich Deutschland und die USA Großbritannien als Geber anschließen. Doch die Hauptfrage ist hier, ob dies neues Geld sein wird oder nur frisch verpackte alte Zusagen; nach unseren Informationen wird es sich vor allem um letzteres handeln. Der IWF könnte die Zustimmung bekommen, rund 90 Mrd. Dollar (von insgesamt 250 Mrd. Dollar) in Form neuer Sonderziehungsrechte an Entwicklungsländer auszugeben. Davon wären vielleicht 19 Mrd. Dollar für Länder mit niedrigem Einkommen. Mehr Mittel könnten durch den Verkauf eines Teil des IWF-Goldes aufgebracht werden – ein Punkt, der in dem an die Öffentlichkeit gelangten Kommuniqué-Entwurf vom Wochenende auftauchte, aber gegen den es Widerstand von Seiten des IWF gibt.

* Reform der internationalen Institutionen: Wenn neues Geld in den IWF und die Weltbank gepumpt wird, ohne ihre Struktur und Politik umfassend zu reformieren, könnten sie fortfahren, anderen ihre verfehlte Politik aufzudrängen, die in den 1980er Jahren (Strukturanpassung) oder nach der Asienkrise Ende der 1990er Jahre (prozyklische Ausgabenkürzungen im Abschwung) so viel Schaden angerichtet hat. Angesichts der Dringlichkeit der Bedürfnisse der Entwicklungsländer akzeptieren wir, dass mit dem Geld nicht gewartet werden sollte, bis solche Reformen vollständig abgeschlossen sind. Aber es muss eine glaubwürdige Verpflichtung auf ihre Reichweite und einen Zeitplan geben. Das scheint bisher nicht der Fall zu sein – einige wenige Verpflichtungen werden zwar ständig wiederholt (so die Wahl der Spitzen von IWF und Weltbank aufgrund ihrer Qualifikation); doch alles andere wird wohl bis zur Frühjahrstagung von IWF und Weltbank verschoben. Das ist besorgniserregend.

* Steueroasen: Harte Verhandlungen gibt es über den künftigen Umgang mit diesen Juristiktionen, aber wir hören alle möglichen, sich widersprechenden Nachrichten. Unklar ist, ob es eine Schwarze Liste der „bad guys“ geben wird oder nur eine Drohung damit und ob Sanktionen verhängt oder nur angedroht werden. Ausgeschlossen scheint, dass man sich in dieser Frage auf ein multilaterales System verpflichtet, statt sich mit einer Serie bilateraler Abkommen zufrieden zu geben. Vom Tisch ist auch ein automatischer Informationsaustausch zwischen den Steuerbehörden, was potentiell desaströs ist – denn ohne automatischen Austausch müssen die Länder im Vorhinein wissen, wonach sie suchen. Ohne einen multilateralen Rahmen und ohne Informationsaustausch, was für Konzerne und Trusts ebenso gelten muss wie für Individuen, würde jede Vereinbarung zum Thema Steueroasen den Entwicklungsländern nur wenig bringen.

* Grüner New Deal: Das war der schwächste Punkt in dem vorab veröffentlichten Kommuniqué-Entwurf. Wir hören, dass China hier der größte Bremser ist, vielleicht weil es einen „grünen Protektionismus“ befürchtet. Jedenfalls dürften die Formulierungen hierzu schwach ausfallen, ohne Verpflichtung auf ein Monitoring des mit den Konjunkturprogrammen verbundenen CO2-Ausstosses. Die optimistische Sicht, wie sie die deutsche Regierung vertritt, geht davon aus, dass der nächste G20-Gipfel, der wahrscheinlich kurz vor der Kopenhagener Klimaschutz-Konferenz stattfinden wird, den Klimawandel als Hauptthema haben wird. Die Pessimisten jedoch sagen, dass hier eine große Chance verpasst wurde und der nächste G20-Gastgeber auf diesem Gebiet wahrscheinlich weniger engagiert sein wird als London. Ich sehe es so wie die Pessimisten. – So, jetzt liegt es ganz an den Politikern im Excel Centre, uns doch noch eine erfreuliche Überraschung zu bereiten!

Duncan Green ist Mitarbeiter von Oxfam UK; sein Blogeintrag erscheint auch auf der Website von Oxfam Deutschland.

1. April 2009

Vor dem Gipfel: Willkommen in der multilateralen Welt!

Der Tag vor dem eigentlichen Gipfel war doch noch mal – stärker als nach den Besänftigungen der letzten Tage erwartet – ein Tag der Positionierung. Auffallend, wie stark die Hauptlinien von den alten Industrieländern bestimmt wurden. Da machten Gordon Brown und Barack Obama auf Einheit – man wolle den gemeinsamen Kampf gegen die Krise. Ganz anders die neue französische-deutsche Achse Nicolas Sarkozy und Angela Merkel, die ungewöhnlich offen (und öffentlich) das bislang ausgehandelte Kommuniqué als zu lasch kritisierten und auf stärkere Positionen in Sachen Finanzmarktregulierung drängten: Jawohl, sie wolle die Welt verändern, so Merkel, und Sarko drohte schon mal mit Abreise. Der Gegensatz zwischen der angelsächsischen Weltsicht und dem sozialen Europa war wieder voll da.


Alles nur Klamauk vor dem eigentlichen Gipfel? Mit Bestimmtheit lässt sich das für die Demonstrationen und Scharmützel der Globalisierungsgegner heute in der Londoner Innenstadt sagen (wobei wir den Begriff „Globalisierungsgegner“ hier ausnahmsweise mal benutzen, obwohl er uns ansonsten zuwider ist). Die Ironie dieser Aktionen besteht darin, dass sie sich gegen eine Zusammenkunft von Staats- und Regierungschefs richten, die zwar immer noch ein Legitimationsproblem haben, weil sie faktisch eine von den G7 eingeleitete Erweiterung des alten elitären Kreises sind. Aber dennoch sind sie nicht einfach dasselbe wie die alte G7 oder G8, sondern ein Gremium, das auch die Sprecher der Dritten Welt nutzen, seien es nun Lula aus Brasilien oder Cristina Kirchner aus Argentinien, der chinesische Präsident oder der äthiopische Regierungschef als derzeitiger Sprecher der Afrikanischen Union.

„G20 – Willkommen in der multipolaren Welt“, textete da unser Autor Mark Weisbrot heute im Guardian. Und er hat Recht. Was derzeit passiert, ist der Wandel des Ad-hoch-Ausschusses zur Regierung der Welt, wie die G8 einmal genannt wurden. Das Neue kommt nicht im Christkindchenshemd eines Ernesto Cardenal, sondern als realpolitischer Prozess auf der Basis einer neu gewichteten weltwirtschaftlichen Kräftekonstellationen. Aber neu und Fortschritt ist es allemal.

Am Vorabend des G20-Gipfels: Bestenfalls ein Zwischenstopp

Es ist schon erstaunlich, wie breit gefächert das Interesse an einem Weltwirtschaftsgipfel diesmal ist. Heute bringt das Diskussionsportal Die Gesellschafter.de, das die Aktion Mensch (ehemals: Aktion Sorgenkind) betreibt, einen Kommentar von mir zum G20-Treffen. Hier ist der Text:

Selten waren die Erwartungen an einen Gipfel so hoch gesteckt wie diesmal. Wenn morgen in London der G20-Gipfel zusammentritt (je 10 Industrie- und Schwellenländer und diverse hohe Funktionäre internationaler Finanzinstitutionen), dann erhoffen sich die einen eine Neue Internationale Finanzarchitektur, die Finanzkrisen künftig unmöglich macht. Andere, wie der neue US-Präsident Obama, wollen „eine neue ökonomische Ära“ aus der Taufe heben. Doch nichts davon werden wir morgen erleben. Wenn es gut geht, wird London allenfalls ein Zwischenstopp auf dem Weg aus der globalen Wirtschaftskrise, die dramatischer ist, als fast alle das vermutet haben.

Wie so oft, wurden die großen Visionen in den Mühlen der Gipfelvorbereitung kleingekocht. Einige halten jetzt schon viel für gewonnen, wenn auf dem Gipfel dreierlei erreicht wird: eine Verständigung über laufende und möglichst neue Konjunkturprogramme, eine Versicherung, künftig keine „systemrelevanten“ Banken mehr Pleite gehen zu lassen und mehr Geld für den Internationalen Währungsfonds (IWF), der wie eh und je den erstrangigen Krisenmanager spielen soll. Doch das wäre kein Programm zur Bekämpfung der Ursachen, sondern bestenfalls ein Versuch, möglichst schnell zum Vorkrisenzustand zurückzukehren. Das System der „Schattenbanken“ und regulationsfreien Zonen, das uns die gegenwärtige Krise eingebrockt hat, bliebe ungeschoren. Die Macht solcher Institutionen wie IWF und Weltbank, die uns jahrzehntelang Deregulierung, Flexibilisierung und Privatisierung gepredigt haben, würde sogar noch erhöht (ähnlich heute auch >>> Korinna Horta und Barbara Unmüßig in ihrem G20-Kommentar).

Am letzten Wochenende gelangte der Entwurf für das Abschlusskommuniqué des Gipfels an die Öffentlichkeit. Am konkretesten sind darin noch die Punkte, die sich um die künftige Finanzausstattung der internationalen Finanzinstitutionen drehen, vor allem des IWF. Dessen „Kriegskasse“ soll um 250 oder sogar 500 Mrd. US-Dollar aufgestockt werden. Doch es wäre ein großer Fehler, diesen Organisationen mehr Geld zu geben, ohne sie zuvor an Haupt und Gliedern zu reformieren. In der Dritten Welt sind sie unbeliebt, weil sie meistens die Interessen der Industrieländer vertreten. Ihre Kreditauflagen zwingen dort nach wie vor zu einer Politik der Krisenverschärfung, während der IWF den Industrieländern seit neuestem zu antizyklischer Haushaltpolitik rät, d.h. zum Schuldenmachen. Die Besetzung der Führungspositionen von IWF und Weltbank machen die Industrieländer seit jeher unter sich aus. Einiges davon soll sich jetzt allerdings ein bisschen ändern.

Ja, „soll“ sich ändern! Wie oft habe ich das jetzt schon gehört. Von einer Neuen Internationalen Finanzarchitektur redet man jetzt schon über zehn Jahre. Davon, dass man die Armen in der Krise schützen und die Entwicklungshilfe auf 0,7% unserer Wirtschaftsleistung erhöhen müsse, sogar seit fast 50 Jahren! Nein, ich würde nicht viel auf den Londoner Gipfel setzen, um im Bild des Spielkasinos der Finanzmärkte zu bleiben. Doch wie gut, dass es schon bald einen weiteren Gipfel gibt – einen UN-Gipfel zur Finanzkrise Anfang Juni in New York, bei dem die Interessen der Entwicklungsländer im Mittelpunkt stehen sollen. So jedenfalls will es die im Zuge des Vorbereitungsprozesses eingesetzte Kommission unter Leitung des Wirtschaftsnobelpreisträgers Joseph Stiglitz. Bei diesem Gipfel sitzen alle mit am Tisch. Das macht die Sache nicht einfacher, könnte aber der Hoffnung auf eine „neue ökonomische Ära“ wirklich neue Nahrung geben.


Eine detaillierte Bewertung des Vorbereitungsstands am Vorabend des Londoner Gipfels findet sich auf www.weltwirtschaft-und-entwicklung.org.