23. Oktober 2008

Weltfinanzgipfel im L20-Format

Bis zuletzt scheint George W. Bush das Heft in der Hand behalten zu wollen, falls davon angesichts multipler Globalkrisen und des Niedergangs des US-Empires überhaupt noch die Rede sein kann. Plötzlich werden Dinge realisiert, die noch vor einem halben Jahr für unmöglich galten. Während Sarkozy und die Europäer noch von G8+5 redeten, hat Bush kurzerhand die Staats- und Regierungschefs der G20 zum Weltfinanzgipfel nach Washington eingeladen. Zu der bislang auf Finanzminister-Ebene tagenden G20 gehören folgende Länder: Neben den G8-Ländern (USA, Großbritannien, Deutschland, Frankreich, Kanada, Italien, Japan, Russland, die EU-Kommission), die EU-Ratspräsidentschaft (falls nicht G8), Australien als Industrieländer sowie Argentinien, Brasilien, China, Indien, Indonesien, Südkorea, Mexiko, Saudi-Arabien, Südafrika und die Türkei. Zusammengenommen repräsentieren diese Länder zwei Drittel der Weltbevölkerung und rund 90% der globalen Wirtschaftsleistung. Teilnehmen an dem für den 15. November vorgesehenen Gipfel sollen auch die Chefs von IWF und Weltbank, des Financial Stability Forums sowie der UN-Generalsekretär.



Man mag die Auswahl des Tagungsorts kritisieren (die Europäer hatten New York, die Entwicklungsländer explizit das UN-Hauptquartier gewollt) oder auch das Ansinnen Bushs, möglichst viel vom Modell des „demokratischen Kapitalismus“ (Bush) retten zu wollen – hier gibt ein konservativer Präsident am Ende seiner Amtszeit den Startschuss zu Umsetzung jenes L20-Modells (L=Leaders), das auch an dieser Stelle immer wieder vorgeschlagen und gefordert worden war (>>> W&E 11/2004, >>> W&E-Hintergrund 2006, >>> W&E-Hintergrund Mai-Juni 2007). Das L20-Modell gilt teils als pragmatischer Einstieg in eine weitergehende Reform des Global-Governance-Systems, teils hatten es die eigenen Protagonisten schon wieder aufgegeben, weil sie die Realisierungschancen nur sehr niedrig einschätzten. Es wäre jedenfalls ein deutlicher Schritt auf dem Weg zu einer Ablösung der G8 als zentraler weltwirtschaftlicher Steuerungsinstanz, hin zu einer deutlich verbesserten weltwirtschaftlichen Repräsentation der Staaten jenseits von G8.

Man darf gespannt sein, wie die amtierende G20-Präsidentschaft Brasilien auf die Bush-Initiative reagieren wird. Das diesjährige G20-Finanzministertreffen findet schon am 8./9. November in Sao Paulo statt. Interessant ist auch, dass der auch im Entwurf für die Abschlusserklärung des Doha-Treffens über Entwicklungsfinanzierung geforderte Weltfinanzgipfel (>>> W&E 10/2008) jetzt bereits vor Doha stattfindet. Interessanter noch aber ist, dass der Gipfel in Washington nur der Auftakt einer ganzen Serie von Gipfeltreffen werden soll. Ziel des Gipfels, so heisst es in der entsprechenden Verlautbarung des Weißen Hauses, sei es “to strengthen the underpinnings of capitalism by discussing how they (the leaders) can enhance their commitment to open, competitive economies, as well as trade and investment liberalization”. Aber das ist nur der Auftakt im Ringen um die Agenda für den Bretton-Woods-II-Prozess, das spätestens jetzt begonnen hat.

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